„Wünschen den Menschen immer Happy Birthday“Wagner-Söldner mit Horror-Bericht aus der Ukraine

Ein ukrainischer Soldat (l.) ist bei einer Verhörung eines Mitglieds der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner dabei. Er wurde in der Nähe von Bachmut am 12. März von den ukrainischen Streitkräften gefangen genommen.

Ein ukrainischer Soldat (l.) ist bei einer Verhörung eines Mitglieds der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner dabei. Er wurde in der Nähe von Bachmut am 12. März von den ukrainischen Streitkräften gefangen genommen.

Die russische Söldnergruppe Wagner spielt für die russische Armee im Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle: Zehntausende sollen US-Berichten zufolge im Einsatz sein, ein Großteil kommt aus den russischen Gefängnissen, sie sind Vergewaltiger, Pädophile, Mörder. Die US-Nachrichtenagentur Reuters hat nun mit einigen Männern sprechen können. 

von Martin Gätke (mg)

Vor allen Dingen rund um die seit Wochen heftig umkämpfte Stadt Bachmut kommen sie zum Einsatz: Söldner der paramilitärischen Gruppe Wagner. Die Stadt ist Hauptteil der nach der russischen Eroberung von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk etablierten Verteidigungslinie zwischen Siwersk und Bachmut im Donezker Gebiet.

Dort wird der Krieg besonders blutig geführt, sowohl die russische als auch die ukrainische Seite haben hohe Verluste zu vermelden. Vor allen Dingen Wagner-Söldner sind es, die in der Ostukraine sterben. Am vergangenen Freitag hatte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin die Eröffnung von 58 Rekrutierungszentren in 42 russischen Städten verkündet.

So versucht er mit aller Kraft, seine Truppen wieder aufzustocken. 

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Ukraine: Wagner-Söldner berichten über Rekrutierung, Ausbildung, Krieg

Die Nachrichtenagentur Reuters hat nun mit fünf Wagner-Söldner sprechen könne – Gefangene, die in der Ukraine gekämpft haben, um ihre Freiheit und die Begnadigung zu erlangen. Sie liefern bedrückende Insider-Berichte aus dem Herzen von Wagners Armee von russischen Straftätern. 

„Du warst ein Täter, jetzt bist du ein Kriegsheld“, so warb Prigoschin im vergangenen Jahr in den russischen Gefängnissen dafür, Wagner beizutreten. Er gab das Versprechen: Wenn die Männer sechs Monate Krieg überleben, würden sie begnadigt. Angesichts der grausamen Haftbedingungen in den russischen Straflagern für viele Tausende ein sehr willkommenes Angebot. 

Mörder, Diebe, Vergewaltiger, ein selbsternannter „Satanist“ – Reuters hat Kontakt zu Söldnern aufnehmen können, die sich nach dem Einsatz in Krankenhäusern von ihren Wunden erholen. Mit 11 der Männer sprach die Nachrichtenagentur, fünf von ihnen erklärten sich für Interviews bereit. Sie sprechen über die Rekrutierung in den Gefängnissen, die kurze, intensive Ausbildung, den Krieg.

Ukraine: Wagner-Verdienst weit höher als Durchschnittseinkommen

Ukrainische und westliche Fachleute erklärten immer wieder, die russischen Kämpfer, die in die Ukraine geschickt werden, seien schlecht vorbereitet. Rustam Borowkow (31), der sechs Jahre seiner 13-jährigen Haftstrafte wegen Totschlags und Diebstahls in der russischen Region Pskow abgesessen hatte, habe sofort gewusst, dass er Prigoschins Angebot annehmen wolle, als er davon hörte. 

Die Kämpfer würden monatlich 100.000 Rubel (1.300 US-Dollar) erhalten, mit der Möglichkeit zusätzlicher Prämien, erklärt er. Das liegt weit über Russlands durchschnittlichem Monatslohn von rund 65.000 Rubel. Für Borowkow aber sei die Aussicht auf Begnadigung der wichtigste Punkt gewesen: „Ich habe ein kleines Kind. Ich wollte zurück zu meiner Familie.“ 

Dann sei alles schnell gegangen: Es habe Lügendetektor-Tests gegeben, Drogen-Screenings. Zwei bis drei Wochen „intensives“ Training habe es gegeben, mehr als vier Stunden Schlaf pro Tag gab es nicht. Zum Vergleich: Die Grundausbildung für Infanteristen in den US-amerikanischen und britischen Armeen beträgt etwa 22 Wochen. 

Ukraine: „Manche erbrechen sich, manche weinen“

Dann seien die Männer an die Front geschickt worden. Viele hätten in der Gegend um Bachmut gekämpft, wo die intensiven Kämpfe Tausende von Menschenleben kostete. Nach US-Angaben hatte Wagner bis Mitte Februar mehr als 30.000 Opfer in der Ukraine verzeichnen, fast alles Sträflinge.

Dmitri Jermakow (38), verurteilter Entführer, erinnert sich, dass einige Kämpfer in den ersten Stunden an Front die Nerven verloren hätten. „Was sehen sie da? In Stücke gerissene Leichen. Und was tun sie? Manche erbrechen sich, manche weinen und manche wollen nicht aus dem Graben klettern. Die Angst übernimmt.“

Ein Haus in Tschassiw Jar in der Nähe von Bachmut brennt nach einem Artillerieeinschlag.

Ein Haus in Tschassiw Jar in der Nähe von Bachmut brennt Mitte März nach einem Artillerieeinschlag. 

Andere haben das alles eher als Nervenkitzel begriffen. „Es war unglaublich“, sagte Andrei Jastrebow, ein 22-jähriger Mann aus St. Petersburg, der wegen Autodiebstahls eine Strafe absaß. „So viel Adrenalin. Ich wünschte, alle echten Männer würden sich Wagner anschließen.“

Ukraine: „Wir wünschen den Menschen immer ‚Happy Birthday'“

Jermakow kämpfte nur vier Tage lang im Krieg, Mitte Dezember zog er sich eine schwere Wunde am Arm zu, als er einen verwundeten Kameraden in Sicherheit schleppte. Er sagte, sein Trupp sei damit beauftragt worden, eine Straßenkreuzung in der Nähe des Dorfes Pokrowske an der östlichen Zufahrt zu Bachmut einzunehmen und zu halten. Er beschrieb seinen letzten Tag an der Front als „totale Hölle“, als er 24 Stunden lang flach auf dem Boden lag, während ukrainische Panzer und Mörser seine Position beschossen und Drohnen über ihm flogen.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nimmt Ende Dezember 2022 an einer Beerdigung von einem seiner Wagner-Kämpfer außerhalb von St. Petersburg teil.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nimmt Ende Dezember 2022 an einer Beerdigung von einem seiner Wagner-Kämpfer außerhalb von St. Petersburg teil.

Dann beschreibt er ein skurriles Ritual: „Wir wünschen den Menschen immer ‚Happy Birthday', nachdem sie verwundet wurden, weil sie dem Tod knapp entronnen sind. Auch mir haben sie gesungen.“

Bizarr: Trotz der schrecklichen Erlebnisse an der Front empfänden laut den Berichten viele der Söldner „Dankbarkeit“ gegenüber Prigoschin. Einige würden gar weiterkämpfen wollen, nachdem sie genesen sind. Für sie böte eine Rückkehr zu Wagner eine Alternative zu ihrem kriminellen Leben, so erklären die Söldner es. 

„Die Leute arbeiten ohne freie Tage 12 bis 14 Stunden am Tag und verdienen bestenfalls 50 bis 60.000 Rubel [672 bis 806 US-Dollar, Anm. d. Red.] im Monat“, sagt Jermakow, der zwei kleine Töchter hat. „Ich werde zur Firma [Wagner] zurückkehren und definitiv 150.000 Rubel [2.000 US-Dollar] im Monat verdienen können.“

Ein anderer Söldner erklärt: „Meine Tochter kann, wenn sie groß ist, Bankwesen studieren oder die Polizeiakademie besuchen.“ Und sie werde keine Probleme haben, „weil ihr Vater im Gefängnis war. Ist das nicht eine Motivation? Natürlich ist es das.“