Muss Deutschland die Ukraine stärker unterstützen? Nach Meinung von Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel muss Deutschland sich vor allem die Militärpolitik der USA als Vorbild nehmen, wie er bei Maybrit Illner verdeutlichte.
„Maybrit Illner“Sigmar Gabriel steht hinter Scholz: „Alles, was die USA machen, können wir auch machen“
In der Ostukraine steht die nächste schwere Offensive durch die russische Armee bevor, Mariupol könnte bald fallen. Vor diesem Hintergrund diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen über die Frage „Putins Offensive – Deutschland weiter defensiv?“
Neben den Gästen im Studio, Roderich Kiesewetter (CDU), Oberst a. D. der Bundeswehr, Claudia Major, Sicherheits- und Verteidigungsexpertin, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Erich Vad, Brigadegeneral a. D., waren zugeschaltet der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und die in Kyjiw geborene Grünen-Politikerin Marina Weisband.
Letztere verdeutlichte eindrücklich die aktuell herrschende Verwirrung, in welcher Form die Bundesregierung der Ukraine bereits geholfen habe und noch helfen werde, sowie die Forderung nach mehr Unterstützung.
„Maybrit Illner“: Grünen Politikerin Weisband verwirrt von der Regierung
„Ich werde sehr, sehr hart angeschnauzt, warum Deutschland nicht so hilft, wie die anderen es tun, warum Deutschland bremst“, berichtete Weisband. Sie versuche, ihren Freunden und Verwandten, die noch in der Ukraine leben, die Situation zu erklären und ihnen zu versprechen, dass sie nicht vergessen sind, aber sie sei selbst sehr verwirrt von dem Vorgehen der Regierung.
„Wir machen uns gerade nicht sehr beliebt. Die Leute haben sehr große Angst davor, wie der Konflikt eskalieren kann und was die Ukraine bis dahin noch alles verliert, wenn Putin sie zur Kapitulation zwingen will“, erklärte Weisband.
Macht Deutschland wirklich zu wenig, um die Ukraine zu unterstützen? Dazu nahm Sigmar Gabriel, zugeschaltet aus Goslar, Stellung. Der ehemalige Bundesaußenminister kritisierte die Leichtigkeit, mit der aktuell mit dieser Frage umgegangen werde.
Am Ende ginge es darum, ob wir den Konflikt erweitern oder ob wir ihn stabilisieren können. „Erweitern heißt, dass wir nicht nur die Ukraine unterstützen, sondern selbst Kriegsteilnehmer werden – und das will die NATO nicht“, so Gabriel. Seiner Meinung nach gebe es eine relativ einfache Lösung für die politische Debatte in Deutschland. „Zu sagen, alles, was die Vereinigten Staaten und die NATO machen, machen wir auch, und das, was die nicht machen, machen wir auch nicht.“
Marina Weisband sieht die Beziehungen zu den anderen westlichen Staaten dagegen deutlich anders. „Unsere europäischen Verbündeten sind sauer auf uns. Die internationalen Zeitungen schreiben schrecklich über Deutschland, kritisieren unsere Regierung, Mitglieder des Europaparlaments sind verwirrt und wissen überhaupt nichts mit unserer Reaktion anzufangen.“
Weisband: „Will die Bundesregierung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt?“
Eine grundlegende Frage stehe für die Grünen-Politikerin im Raum und sei bisher noch nicht beantwortet worden: „Will die Bundesregierung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt?“ Bundeskanzler Scholz habe das bisher nicht deutlich artikuliert, auch nicht in seiner Ansprache am Dienstag, in der er erklärte, dass man die Ukraine mit Geld unterstützen wolle.
„Ich weiß jetzt nicht, ob wir nicht ein bisschen viel in die Sprache von Herrn Scholz hineininterpretieren“, konterte Gabriel. Es sei doch klar, dass Deutschland, alle anderen Europäer und Europäerinnen, und die NATO wollen, dass die Ukraine sich erfolgreich verteidige. Dass der Krieg sich auf ein schnelles Ende zubewegt, davon geht der SPD-Politiker nicht aus: „Ich glaube nicht, dass, wenn Russland der Überzeugung ist, es habe jetzt im Donbass seine Ziele erreicht, dass dieser Krieg endet, ich glaube, dass das weitergehen wird.“
Vielleicht werde das nicht in der gleichen Massivität geschehen, doch aufgeben werde die Ukraine nicht. Deshalb werde es um eine langfristige Unterstützung auf allen Ebenen gehen, damit sie sich auf Dauer verteidigen könne. „Wir werden eher sowas wie einen immer wieder aufbrechenden Frozen-Konflikt erleben.“
Waffenlieferung könnte Eskalation herbeiführen
Dass man aktuell keine schweren Waffen liefere, könne man mit dem Verhalten der USA und der NATO erklären, beurteilte Gabriel. Die sehen davon ab, „offensichtlich, weil sie der Überzeugung sind, dass das eine Eskalation herbeiführen kann“. Er verstehe natürlich, dass die Ukraine ein stärkeres Eintreten in den Konflikt fordere, „aber die Entscheidung der NATO und des Westens ist, wir unterstützen, aber wir wollen nicht Kriegsteilnehmer sein“.
Auch zu den Vorwürfen, Olaf Scholz selbst verweigere sich der Lieferung der Waffen, nahm Gabriel Stellung. „In Deutschland entscheidet nicht der Bundeskanzler über den Export, das wissen auch die beteiligten Abgeordneten, sondern der Bundessicherheitsrat.“ Sollten die Ampelpartner damit nicht zufrieden sein, müssten sie im Bundessicherheitsrat eine andere Entscheidung herbeiführen. „Das jetzt so getan wird, als sei das alles eine Einzelentscheidung von Herrn Scholz, ist natürlich Unsinn.“
Seiner Meinung nach wäre die beste Linie eine mit den USA und der NATO abgestimmte, bei der jeder das liefere, was die Ukraine benötige und was die NATO für verantwortbar halte. Warum diese Abstimmung bisher nicht öffentlich geschehen sei, das mache auch ihn ratlos.
Deutschland müsse Teil dieser Abstimmung sein und offenlegen, dass man dieser Rolle der NATO und den Vereinigten Staaten folge. „Alles, was die USA machen, können wir auch machen, alles, was die USA nicht machen, sollten wir auch die Finger von lassen.“ (tsch)