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Kurioses über KehrichtWarum Müll schon in der Steinzeit ein Problem war

Ein gelber Bagger fährt in den Müll, der sich in einer Hausmülldeponie stapelt.

Überall auf der Welt gab und gibt es Müll. Deponien (wie diese hier im Rhein-Main-Gebiet auf einem undatierten Foto) können für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Fundgrube sein.

Müll, insbesondere Plastikmüll, ist eine der (hausgemachten) Geißeln unserer Zeit. Aber es gibt rund um Unrat auch unglaublich Spannendes.

Abfall allüberall – leider landet er viel zu oft nicht da, wo er hingehört. Dass wir im Müll-Zeitalter leben, dass besonders (Plastik-)Verpackungen zum immer größeren Problem werden und die Müllflut Mensch und Umwelt schwer belastet, soll hier nicht kleingeredet werden. Doch Müll kann auch eine Wissenschaft für sich sein: „Garbology“ heißt die.

In jedem halbwegs guten TV-Krimi guckt der findige Ermittler in die Tonne: Selbst wenn sich dort nicht die Tatwaffe findet, so doch meist Indizien, die auf die Lebensumstände des Bösewichts deuten.

Phänomen Müll: Schon Neandertaler warfen weg

Und der Hausmüll kann auch Nicht-Kriminelle „überführen“: Bereits 1992 entlarvte der Anthropologe William Rathje Unstimmigkeiten zwischen dem, wie Menschen ihr eigenes Verhalten schilderten und dem, was in ihrem Müll gefunden wurde. So stapelten sich in den Abfalltonnen von Müttern, die angeblich stets frisch für ihre kleinen Kinder kochten, Berge von Babygläschen. Andere erklärten, überwiegend frisches Gemüse zu essen – in ihrem Hausmüll spielten allerdings Chips und Schoki die Hauptrollen. Einer, der sich von Berufs wegen durch Müllberge wühlt, ist Historiker Roman Köster, der das Buch „Müll: Eine schmutzige Geschichte der Menschheit“ geschrieben hat.

Er sagt: „Müll existiert, seit es Menschen gibt. Schon die Neandertaler haben Dinge aussortiert und weggeworfen, z. B. zerbrochene Pfeilspitzen oder abgenagte Tierknochen.“ Mit der Sesshaftwerdung des Menschen (10.000 bis 6000 Jahre vor unserer Zeit) startete die Abfallgeschichte: „Wenn der Ort der eigenen Hinterlassenschaften nicht mehr verlassen wurde, war man mit Fäkalien und Essensresten konfrontiert. All diese Sachen konnte man achtlos liegen lassen, aus der Behausung bringen oder sogar auf einen Haufen schichten. Mit den frühesten menschlichen Siedlungen konnte (und musste) der Müll zum Problem werden.“

Daher hatten antike Kulturen Abfallbeseitigungsstrategien. Zum einen wurde der Müll aus Städten in Gewässer abgeleitet: So hatten die Mesopotamier ein ausgeklügeltes Kanalsystem, ebenso die Römer, die über die Cloaka Maxima ihre Abfälle im Tiber entsorgten. Zum anderen gab es die Sammlung von Müll, schreibt Köster: „Die Maya wiesen Plätze für die Entsorgung organischer Abfälle aus. In Troja scheint der Müll einfach vor die Tür gekehrt worden zu sein, aber in Athen lassen sich im 5. Jahrhundert vor unserer Zeit bereits eine Straßenreinigung und so etwas wie eine Mülldeponie nachweisen.“ Im Mittelalter war Müll ein logistisches (Fuhrwerke kamen nicht durch die Abfallberge) und ein hygienisches (Mischung von Abfall und Trinkwasser) Problem. Jahrhunderte später galt „Städtehygiene“ als Gradmesser der Zivilisation – mit der Müllabfuhr als deren Botschafter.

Müll-Rekorde von zutiefst traurig bis ziemlich verblüffend

  1. 2023 gab es in Deutschland 380,1 Millionen Tonnen Abfälle, laut Angaben des Statistischen Bundesamtes waren das 4,8 Prozent weniger als noch im Jahr 2022.
  2. Allein an Plastikmüll produziert die Menschheit pro Tag das Gewicht von 100 Eiffeltürmen (der Eiffelturm wiegt 10.100 Tonnen).
  3. Werden keine drastischen Maßnahmen ergriffen, fallen 2050 laut Experte Roman Köster weltweit 3,4 Milliarden Tonnen Hausmüll an: Das wären 75 Prozent mehr als aktuell.
  4. In den Ozeanen treiben gigantische Müllstrudel. Der größte, der „Great Pacific Garbage Patch“ zwischen Hawaii und Kalifornien, ist mehr als viermal so groß wie Deutschland.
  5. Eine einzige Plastiktüte braucht 20 Jahre, bis sie zerfällt, eine Plastikflasche sogar über 450 Jahre. Ganz abgebaut wird Kunststoff aber niemals komplett. Er zerfällt vielmehr nur in immer kleinere Teile, so der Nabu. Die nehmen Fische und andere Meeresbewohner – und damit letztlich auch wir Menschen – durch die Nahrung auf.
  6. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, aber auf sieben Hügeln. Der „heimliche achte“ Hügel ist der Monte Testaccio (50 Meter hoch), ist Müll. Sein Inneres besteht aus Milliarden Amphoren-Scherben – es war die größte Müllhalde des alten Roms.
  7. In Norwegen wurde eine Müllhalde aus der Frühzeit, eine sogenannte „Midden“ entdeckt: 300 Meter lang, acht Meter hoch.

Mit dem Supermarkt kamen die Müll-Massen

Einer der größten Mülltreiber heutzutage ist das „System Supermarkt“, mit dem die Massenproduktion kam. „Sie hat fundamental verändert, wie Kleidung, Elektrogeräte und Lebensmittel hergestellt und verkauft werden. An Fleisch kann man das gut erklären: Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das Vieh zweimal in der Woche in den Städten geschlachtet und dann recht teuer auf regionalen Märkten verkauft. Das alles ändert sich durch die Massentierhaltung, die globale Produktion, die Logistik,“ erläutert Roman Köster. Toll für Verbraucher, weil alles auch wesentlich billiger wurde – in Wahrheit ist das aber teuer bezahlt: mit noch mehr Müll.