Auto weg, Firma weg, Elternhaus weg, Onkel totFlut-Opfer Pierre (35): Ich konnte mich nur noch am Glas festhalten

Schreiner Pierre Sebastian aus Dernau zeigt, wie er sich vor der Flut rettete.

Pierre Sebastian steht Mitte September in der Halle der Schreinerei oben hinter der Glasscheibe. Wie am 14.Juli 2021, als das Wasser stieg.

Von heute auf morgen kann (fast) alles im Leben vorbei sein. Die Flutopfer im Hochwassergebiet können das leidvoll bestätigen. Pierre Sebastian (35) ging am 14. Juli ebenfalls durch die Hölle. Der Schreiner erzählt uns seine Geschichte.

von Markus Krücken (krue)

Dernau. Stellen Sie sich vor, Sie stehen hinter einer Glasscheibe und davor steigt das todbringende Hochwasser Millimeter auf Millimeter an. Wo ihre Eltern sind, wissen Sie nicht. Lange auch nicht wie es der Partnerin geht.

Erst Tage danach werden Sie erfahren, dass Sie Angehörige verloren haben. Pierre Sebastian (35) hat diesen Horror durchgemacht, im Ahrweiler-Hochwasser vor acht Wochen.

Ein surreal klingendes Interview mit einem, den nichts mehr erschrecken kann. Das aber leider die Wahrheit ist.

Alles zum Thema Hochwasser

Herr Sebastian, wie haben Sie den 14. Juli heute in Erinnerung?

Wir sind mit der Feuerwehr um 16 Uhr in Aktion getreten. Wir hatten gehört, es kommt Wasser. Erst hieß es, 4,40 Meter, dann 5,60 Meter. Wir beschlossen, das Dorf zu aktivieren, starteten einen Aufruf via Facebook, mobilisierten so 120 Mann und füllten gemeinsam 40 Tonnen Sand in Säcke. Ich bin mit meiner Frau dann ins Auto und wir haben über Lautsprecherdurchsage an verschiedenen Punkten im Dorf gewarnt: „Es kommt Wasser, so wie 2016. Räumt die Keller leer.“ Aber dann ging es los.

Was geschah?

Es war 19 Uhr. Es wurde spannend. Man sah an den Campingplätzen schon, dass mehr Wasser kommen würde als 2016. Dann hat mein Feuerwehr- und Kollege in der Schreinerei Christian gesagt: „Ich bleibe bei der Feuerwehr als Einsatzleiter und du fährst in den Betrieb.“ Ich habe dann per Whatsapp unsere Mitarbeiter zusammengetrommelt, meine Frau kam auch, und wir haben angefangen zu retten, was vermeintlich noch zu retten war. Wir haben an Maschinen versucht hochzutragen, was hochzutragen ging. Aber ab 22.30 Uhr dann war das sinnlos. Dann wurde das Tor eingedrückt vom Wasser und wir waren quasi eingeschlossen. Es dauerte drei Minuten, dann war die Firma vollgelaufen.

Was für Szenen spielten sich ab?

Wir stiefelten die Treppe hoch und hatten das Wasser schon bis zu den Brustwarzen stehen. Es war abartig, was das für eine Wassermasse war. „Die Empore ist heute Nacht unsere“, sagte ich den Jungs. Kollege Mike sagte: „Mach mal einen Strich an die Wand, damit wir sehen wie schnell das Wasser weiter steigt.“ Kollege Tobi antwortete: „Brauchst du nicht. Du kannst die Treppenstufen zählen.“ Es stieg ja stufenweise. Das war hammerhart. Zum Glück ist die Empore noch einmal gute 3,80 Meter hoch, und es gibt einen Dachaufgang von dort. Das hieß: Es gab noch eine Reserve.

Worauf zeigen Sie gerade?

Da, hinter der Glasscheibe, haben wir dem Elend dann durch die Scheibe zugeguckt. Als es dunkel wurde, sind wir aufs Dach. Wir wussten ja nicht, was noch kommt. Es war zappenduster. Es sah sarkastisch gesprochen aus wie auf der AIDA, nur leider eine schlechtere Situation. Und dazu stank es dermaßen.

Ahrweiler-Hochwasseropfer Pierre: „Mein Wagen ist Richtung Rotterdam geschwommen“

Gestank auch?

Die ganze Halle hat dermaßen nach Heizöl gestunken, davon bekamst du Kopfschmerzen. Wir haben keine Sekunde geschlafen. Zum Glück wurde das Wasser dann mit der Zeit endlich weniger. Am Morgen, als das Wasser hüfthoch stand, sind wir dann raus. Um zu sehen, was aus unseren Wagen geworden war.


Sie möchten helfen?

Bei der Hilfsaktion des DuMont-Verlags haben sich die drei großen Kölner Medien EXPRESS.de, „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ und ihre Verlage mit den beiden großen Geldinstituten Sparkasse KölnBonn und Kreissparkasse Köln zusammengetan und eine sechsstellige Summe an die „Aktion Deutschland Hilft“, dem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, gespendet.

Empfänger: Aktion Deutschland Hilft

Institut: Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE62 3702 0500 0000 1020 30

Spendenstichwort: KStA-Fluthilfe


Wahrscheinlich alles Schrott?

Die Firmenwagen sind heile geblieben, weil sie etwas aufwärts am Berg standen. Nur mein privater Wagen nicht. Der ist Richtung Rotterdam geschwommen.

Und Ihr Haus?

Der Weg ist nicht weit. Nass wie wir waren, sind wir dann nach Hause gestiefelt. Auch mein Haus hätte es fast getroffen. Zum Glück ist der Keller nicht vollgelaufen. Fazit bis dahin: Auto im Arsch, Firma im Arsch. Dann kam der Gedanke: Was ist in Marienthal mit meinen Eltern? Ich setzte mich aufs Fahrrad und habe dann das Elend im Tal erst gesehen, bis dahin waren wir ja hier wie auf einer Insel.

Was geschah mit Ihren Eltern?

Ich sagte zu meiner Frau: In Marienthal bei den Eltern liegt eine Fahrradbrücke im Haus. Weiter kam ich an dieser Stelle nicht, das Wasser stand noch zwei Meter hoch. Ich fuhr zurück. Was ich da noch nicht wusste: Meine Eltern hatten Glück. Die Bundeswehr hat sie um 11 Uhr aus dem Resthaus geholt. Sie hatten oben auf dem Speicher gesessen und ausgeharrt. Sie kamen dann mit dem PKW kurz darauf zu uns nach Hause gefahren, den Wagen hatten sie zum Glück oben auf dem Weinberg geparkt. Alles, was sie besessen hatten, war sonst weg. Das Haus, das kernsaniert war, ist weg. Die Küche, die ich mal gebaut hatte, weggeschwommen. Im Wohnzimmer war quasi die Fahrradbrücke. Sie kamen nass an und bei uns im Wohnzimmer haben wir ihnen dann erst mal trockene Klamotten aus dem Schrank gesucht und gegeben. Über ihren Zustand brauche ich nicht sprechen. Ich kann Ihnen Fotos zeigen.

Was ist das für ein Haus?

Das Haus meiner Verwandtschaft. Hier haben mein Patenonkel, meine Tante und auch mein Vetter es leider aus dem Erdgeschoss nicht mehr rausgeschafft. Die sind da gefunden worden. Dabei war im Erdgeschoss ja die Treppe nach oben. Aber alles „hätte hätte“ nützt am Ende im Nachhinein nichts. Es ist halt doof gelaufen.

Wie haben Sie das erfahren?

Gewissheit hatte ich erst am Freitagabend, als ich sie als Feuerwehrmann in der Kirche identifiziert habe. Ich habe die drei Leichen neben den dreizehn anderen da plötzlich live liegen sehen. Als dann bei der Beisetzung die drei Urnen nebeneianderstanden, ging bei mir gar nichts mehr. Da macht der Kopf nicht mehr mit. Da hat die Feuerwehrärztin mich aus dem Verkehr gezogen.