Corona-Zahlen in Bayern explodierenBürger sind sind entzweit: Was steckt dahinter?

Bayern kämpft mit immer höher steigenden Corona-Zahlen. Auch die Bürger sind entzweit: Während die einen endlich lockerere Maßnahmen fordern, wollen die anderen härtere Maßnahmen, um die Infektionswelle einzudämmen. Auf dem Foto (aufgenommen am 26. Oktober 2021) zu sehen: Eine violette medizinische Maske, die auf einer Straße liegt, während im Hintergrund die Altstadt von Mühldorf am Inn zu sehen ist.

Bayern kämpft mit immer höher steigenden Corona-Zahlen. Auf dem Foto (aufgenommen am 26. Oktober 2021) zu sehen: Eine violette medizinische Maske, die auf einer Straße liegt, während im Hintergrund die Altstadt von Mühldorf am Inn zu sehen ist.

Die Corona-Zahlen in Bayern steigen und steigen und steigen. Das Kabinett beriet deshalb eigens mit den Landräten aus den heftigsten Hotspots im Südosten. Doch warum explodieren die Zahlen momentan so in Bayern?

München. Seltsame Vorgänge in Bayern. Am Montag noch war Bayerns Corona-Landkarte durchweg rot bis tief dunkelrot - am Dienstag (26. Oktober) gab es, vorübergehend, plötzlich wieder viel Grün und Gelb. Allerdings ist über Nacht keineswegs eine Corona-Wunderheilung des Freistaats geschehen.

Vielmehr hat das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zwischenzeitlich die Farbskala der Karte geändert: Am Dienstag stand Grün - einige Zeit lang - nicht mehr für Sieben-Tage-Inzidenzen bis 35, sondern für Werte bis 100. Doch das währte zunächst nicht lange: Am Abend war erst einmal wieder alles beim alten - also tief rot.

Corona-Lage in Bayern zunehmend kritisch

Die Lage hat sich nicht verbessert - im Gegenteil: Seit Tagen explodieren die Inzidenzzahlen, besonders in Südbayern. Landkreise wie Mühldorf am Inn oder Berchtesgadener Land sind unrühmliche Corona-Spitzenreiter in Deutschland. Unter den weitgehend ungeimpften, aber regelmäßig getesteten Schulkindern stieg die Sieben-Tage-Inzidenz im Freistaat zuletzt auf Rekordwerte.

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In einigen Gegenden werden bereits die Intensivbetten knapp. Die Situation bringt auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU), von Anfang an ein Mahner in Sachen Corona und ein Verfechter einer harten Linie im Kampf gegen die Pandemie, zunehmend in Erklärungsnot. Am Dienstag beriet das Kabinett mit Landräten aus den heftigsten Corona-Hotspots über die Lage - noch ohne konkrete Folgen.

Explodierende Zahlen in Bayern

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Bayern ist zuletzt stark gestiegen. Binnen knapp zwei Wochen hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz mehr als verdoppelt, am Dienstag lag sie laut Robert Koch-Institut (RKI) bei 186,7 - nur in Thüringen und Sachsen waren die Werte noch höher als in Bayern. Ein Treiber der Inzidenz in Bayern sind die hohen Zahlen unter Kindern und Jugendlichen.

Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) meldete am Dienstag die Inzidenzrekorde von 431 für die Altersgruppe sechs bis elf Jahre und 409 für die Gruppe zwölf bis 15. Auch in Bayern spielt sich die Pandemie derzeit vor allem bei den Ungeimpften ab: Sie machen nur ein gutes Drittel der Bevölkerung aus, die Inzidenz bei ihnen war jüngst aber fast neunmal so hoch wie bei den Geimpften.

In Bayern ist die Krankenhaus-Ampel noch auf grün

Die sogenannte Krankenhaus-Ampel steht dennoch weiter auf Grün: Der Schwellenwert für Gelb (1200 Klinik-Einweisungen binnen einer Woche) wurde mit 426 ebenso wenig erreicht wie der Wert für Rot: 352 Patienten liegen mit Corona auf Intensivstationen, der Schwellenwert liegt bei 600. Allerdings: Beide Werte steigen aktuell stark an.

Zuletzt waren 1449 Krankenhausbetten mit Covid-19-Fällen belegt - 40 Prozent mehr als eine Woche zuvor. Viele fürchten, dass die Ampel in einigen Wochen auf Gelb oder direkt auf Rot springen könnte - dann müsste die Staatsregierung handeln. Offen ist aber nach wie vor, was genau dann bei Rot passieren soll.

Warum steht Bayern im Vergleich so schlecht da?

Darauf gibt es, so die Staatsregierung, keine einfache Antwort. „Es gibt jetzt nicht die eine Erklärung“, sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach der Kabinettssitzung und spricht von einer „Vielzahl von Einzelaspekten und Parametern“. Genannt werden immer wieder regional niedrige Impfquoten, teilweise auch die Grenznähe zu Österreich oder Tschechien.

Fakt ist: Insgesamt sind in Bayern laut RKI „nur“ 64,1 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft - das ist der niedrigste Wert der „alten“ Bundesländer. Bundesweit sind es 66,3 Prozent. Jedenfalls handle es sich eher um diffuse Ausbruchsgeschehen, sagt Herrmann, manchmal nach einer Party oder einer Hochzeit.

Was sagen Bayerns Hotspot-Landkreise?

Auch dort gibt es keine einheitliche Antwort. Aus Miesbach heißt es: „‚Schuld‘ sind die Lockerungen - es ist ja quasi alles wieder erlaubt, daher kommen die Menschen einfach mehr „physisch“ zusammen.“ In den Landkreisen Straubing-Bogen und im Berchtesgadener Land wird auf ein verstärktes Infektionsgeschehen in Schulen und Kitas verwiesen, in Berchtesgaden zudem auf Reiserückkehrer aus den Balkanstaaten zum Ende der Sommerferienzeit.

Und auch im Landkreis Mühldorf am Inn, der Region mit der aktuell höchsten Inzidenz in Deutschland, sieht man eine Mischung: Lockerungen und Reiserückkehrer spielten etwa eine Rolle. Die Impfquote allein scheint dagegen nicht als Begründung für die hohen Zahlen in diesen Landkreisen zu taugen. Zwar gibt es unter ihnen auch solche mit Quoten weit unter dem bayerischen Durchschnitt - andere kommen dem Landesschnitt aber nahe oder übertreffen ihn sogar.

Bayerns Ministerpräsident Söder unter Druck 

Früher hatte Söder regelmäßig darauf verwiesen, dass der Freistaat bei den Corona-Zahlen im Mittelfeld liege. Seit die Zahlen explodieren, ward er bei Kabinetts-Pressekonferenzen allerdings nicht mehr gesehen.

Tatsache ist: In den vergangenen Monaten hatte Söder, der im vergangenen Herbst noch mit dem Slogan „Winter is coming“ gemahnt und gewarnt hatte, unter wachsendem Druck aus der Gesellschaft und vom Koalitionspartner Freie Wähler um Parteichef Hubert Aiwanger mehr und mehr Lockerungen zugestimmt. Zwar könne die Situation aktuell nicht mit der vor einem Jahr verglichen werden, auch angesichts der Impfungen, heißt es. Besorgniserregend sei sie aber allemal. Und jetzt steht wieder der Winter vor der Tür.

Wie reagiert die Staatsregierung?

Die Staatsregierung verzichtet zunächst auf eine Verschärfung mit Maßnahmen. Die aktuelle Corona-Verordnung wird unverändert verlängert, bis zum 24. November - bis dahin fordert Bayern vom Bund eine tragfähige Rechtsgrundlage, um weiterhin Corona-Maßnahmen beschließen zu können.

Welche Möglichkeiten für Bayern gäbe es?

Die Staatsregierung befindet sich in einer Zwickmühle: Einen neuen Lockdown will sie nicht, auch nicht für Menschen ohne Impfschutz, wie Staatskanzleichef Herrmann betont. Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte seien kaum zu überwachen, erklärt er. Aber was dann?

Tatsächlich gehen die Erwartungen in der Bevölkerung inzwischen weit auseinander: Die einen fordern ein Ende aller Maßnahmen, andere kritisieren zu schnelle Lockerungen der vergangenen Monate. Viel Spielraum hat die Staatsregierung auch gar nicht: Regeln wie 3G und 3G plus stärker überwachen? 2G ausweiten - also Nicht-Geimpfte von manchen Dingen ausschließen? Wieder bestimmte Personenobergrenzen etwa bei Veranstaltungen einführen? Die Impfquote weiter erhöhen? Aber was, wenn Menschen einfach nicht wollen?

Am Wahrscheinlichsten scheint aktuell noch eine neuerliche Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler auch am Platz nach den Herbstferien. Doch auch dazu ist im Kabinett nichts Konkretes in Sicht. (dpa)