Schlimme ZuständeStart-up aus NRW will Pflege umkrempeln – rührende Story hinter Firmennamen

Ein Azubi zum Altenpfleger unterhält sich im Pflegeheim Eilenriedestift in Hannover mit einer Seniorin.

Pflegekräfte aus Osteuropa werden oftmals schlecht bezahlt. Das Start-up „marta“ will genau das verändern. Das Symbolfoto wurde am 19. September 2019 aufgenommen.

Um die Bedingungen für Pflegekräfte zu verbessern, die sich 24 Stunden um die betroffenen Menschen kümmern, haben zwei junge Männer aus Bonn 2020 ihr eigenes Start-up gegründet.

von Niklas Brühl (nb)

Der demografische Wandel ist in Deutschland längst angekommen. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes ist jede zweite Person in Deutschland heutzutage über 45 Jahre alt. Das bedeutet vor allem für die Zukunft, dass immer mehr Menschen im gesetzten Alter auf Betreuung und Pflege angewiesen sind.

Auch die beiden Bonner Philipp Buhr und Jan Hoffmann mussten bereits im engsten Familienkreis Erfahrungen mit Angehörigen machen, die es rund um die Uhr zu pflegen galt. Allerdings waren diese Erfahrungen oft negativ behaftet, sodass die beiden Männer Anfang 2020 ihr eigenes Unternehmen gründeten.

Mit ihrem Start-up „marta“ wollen sie den Markt für die 24-Stunden-Betreuung revolutionieren – und vor allem fairer machen. Im EXPRESS.de-Gespräch hat Gründer Philipp Buhr über seine Intention für die Gründung des Unternehmens, die aktuellen und akuten Probleme der Pflege und die rührende Geschichte hinter dem Namen seines Unternehmens gesprochen.

NRW: Bonner gründen Pflege-Start-up wegen schlechten Erfahrungen

Älteren, schwächelnden und sogar vielleicht demenzkranken Menschen eine Unterstützung sein – ihnen beim Kochen, Waschen und Haushalt helfen: Das ist die Aufgabe einer Pflegekraft, die sich rund um die Uhr um die betroffene Person kümmert. Die Pflegerin oder der Pfleger zieht dann bei der Person ein, wird damit ein großer Teil ihres Lebens. Allerdings muss dabei die Chemie stimmen – und zwar zwischen beiden Parteien, damit die älteren Menschen auch in den eigenen vier Wänden in Würde altern können.

Philipp Buhr hatte in der Familie selbst einen Fall, in dem eine angehörige Person auf die Rundum-Betreuung angewiesen war. Seine Erfahrungen sprechen für sich: „In unserem Fall war es eine große Fluktuation von Pflegekräften, die sich um das entsprechende Familienmitglied kümmern sollten. Immer wieder hatte es nicht gepasst und das Ergebnis war am Ende mehr schlecht als recht. Letztendlich war das Altersheim dann doch der letzte Ausweg. Das hat nicht nur der betroffenen Person das Herz gebrochen – denn irgendwo ist dieser Schritt auch immer ein Eingeständnis für die verloren gegangene Selbstständigkeit – sondern auch uns als Familie.“

Pflegeberuf: „Bei der 24-Stunden-Betreuung verdienen zu viele Parteien mit“

Für Buhr gibt es bei der 24-Stunden-Pflege ein weitreichendes strukturelles Problem: „Die Kräfte kommen zum großen Teil aus Osteuropa. Agenturen aus Deutschland buhlen um Beratungsverträge, bei einem Abschluss wird es dann an eine weitere Agentur im Ausland weitergeleitet. Erst dann wird aus einem Pool eine Pflegekraft ausgewählt, die in den meisten Fällen überhaupt nicht zu der pflegebedürftigen Person passt.“

Es würden zu viele Parteien an einem solchen Pflege-Deal mitverdienen, sagt Buhr. Für die Pflegekräfte bleibe dann häufig nur ein unzureichender Lohn übrig.

Außerdem würden bei diesem Vorgang viele Informationen verloren gehen – ist der pflegebedürftige Mensch dement? Wie schwer ist er und kann die Pflegekraft ihn im Notfall überhaupt aufhelfen? Ist er Raucher? „Das sind alles Faktoren, die passen müssen. Allerdings sollte dabei nicht auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen, sondern auch auf die der Pflegekräfte geachtet werden“, sagt „marta“-Gründer Buhr.

Start-up aus Bonn: 40 Mitarbeitende vermitteln Pflegekräfte

Aufgrund der eigenen schlechten Erfahrungen und den generellen Problemen der Brache haben sich Philipp Buhr und sein ehemaliger Mitbewohner und heutiger Mit-Gründer Jan Hoffmann gesagt: „Das muss besser gehen.“ Also gründeten sie 2020 ihr eigenes Unternehmen. Dabei vermitteln sie Pflege- oder Betreuungskräfte direkt an die betroffenen Personen – und umgehen damit die Agenturen im In- und Ausland.

Die Kräfte, die häufig aus Polen, Rumänien oder Litauen stammen, werden in ihrer Heimat von „marta“ interviewt, wodurch festgestellt werden kann, in welche Art der 24-Stunden-Betreuung sie vermittelt werden können.

Und das funktioniert: 40 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten mittlerweile bei „marta“, in Deutschland und im Ausland, um die Pflegekräfte zu akquirieren. 2021 vermittelte das Unternehmen knapp 500 Betreuungskräfte im gesamten Bundesgebiet.

Start-up aus Bonn: Berührende Geschichte hinter Firmennamen

Dabei hat sich das Unternehmen nicht nur auf Arbeitskräfte aus Osteuropa spezialisiert, Buhr fügt jedoch an: „Wenige Menschen in Deutschland sehen sich in der Lage dazu, ihr Privatleben für mehrere Monate komplett aufzugeben. Es ist ein Full-Time-Job, der nicht genug wertgeschätzt werden kann. Diesen Job kann man auch nicht das ganze Jahr über ausüben. Die Kräfte aus Osteuropa kommen für eine gewisse Zeit nach Deutschland, verdienen ihr Geld und wollen dann meistens wieder zurück zu ihren Familien in ihre Heimat – es ist eine Art der Saisonarbeit.“

Allerdings sei das Unternehmen für Bewerbungen von Pflegekräften aus ganz Europa offen, wie Philipp Buhr betont. Hinter dem Namen ihres Start-ups steckt übrigens eine berührende Geschichte. Denn nach all den schlechten Erfahrungen hatte Buhrs Familie irgendwann eine Pflegerin gefunden, die sich rührselig und mit großem Engagement um sein pflegebedürftiges Familienmitglied kümmerte – ihr Name war Marta.

„Sie ist zu einem Teil unserer Familie geworden, wir haben sogar mit ihr Weihnachten gefeiert. Marta ist ein Vorbild in dem, was sie tut und deswegen empfanden wir den Namen als passend“, sagt Philipp Buhr.