Vermissten-DramaMorgens noch ein Kuss, dann begann für Kölner (49) ein monatelanger Albtraum

An einem Masten an einer Straße hängt ein Zettel mit dem Foto eines Mannes, darüber steht „Vermisst“.

Nach dem Verschwinden seines Lebensgefährten im Oktober 2020 hat Sascha L. in Köln zahlreiche Suchzettel, wie diesen, aufgehängt.

Der Kölner Sascha L. (49) ging durch die Hölle. Sein Lebensgefährte verschwand spurlos – und mehr als ein Jahr lang wusste der 49-Jährige nicht, was passiert war.

von Iris Klingelhöfer (iri)

Er war einfach weg. Von jetzt auf gleich. Als Sascha L. (49) am 9. Oktober 2020 von der Arbeit nach Hause kam, war sein Lebensgefährte Sherzod I. (35) aus der gemeinsamen Wohnung in Köln verschwunden.

„Wir haben uns am Morgen normal verabschiedet, mit einem Kuss an der Tür – alles schien in bester Ordnung“, erzählt Sascha L. jetzt im Gespräch mit EXPRESS.de. Für den Kölner begann ein Albtraum voller Fragen, auf die er erst rund anderthalb Jahre später Antworten erhalten sollte.

Kölner startet Suchaktion nach vermisstem Lebensgefährten

Sascha L. stand im Herbst 2020 wochenlang unter Schock. Er meldete seinen Lebensgefährten als vermisst, verteilte überall Zettel mit dessen Foto und startete Aufrufe im Internet. Auch Freunde des Paares sowie LGBTI-Organisationen halfen bei der Suche. Der 49-Jährige: „Es kam nicht ein Hinweis.“

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Auch die Polizei ermittelte – ohne Ergebnis. „Im November, sechs Wochen nach Sherzods Verschwinden, habe ich der Polizei seine Zahnbürste gegeben“, erzählt Sascha L. Für einen DNA-Abgleich, auch ohne Ergebnis. Schließlich wurde der Vermisste, der 2016 aus Kirgisistan geflohen war, sogar europaweit ausgeschrieben.

Der Kölner und der kirgisische Arzt waren seit rund zwei Jahren ein Paar. „Es war die schönste Beziehung, die ich hatte. Wir haben jeden Tag gelacht – und ich dachte: Das ist jemand, mit dem du alt werden kannst“, erzählt Sascha L. und kämpft mit den Tränen. Er habe mit seinem Heiratsantrag nur deshalb gewartet, weil Sherzod sich damals auf seine zweite Prüfung konzentrierte, um auch in Deutschland praktizieren zu können. Durch die erste war er durchgefallen.

Monate voller Ungewissheit und Hoffnung für Kölner

Wochen, Monate vergingen. „Ich hatte immer die Hoffnung, er kommt zurück. Dass er auf der Treppe sitzt und auf mich wartet. Aber es ist nicht passiert“, so der Kölner leise. Die Ungewissheit sei das Allerschlimmste gewesen. Sein Lebensgefährte hatte ihm einen Brief hinterlassen – darin die Aufforderung: Such' mich nicht.

Ein Mann in einem Arztkittel sitzt an einem Tisch.

Sherzod war Arzt und stammte aus Kirgisistan.

Sherzod habe auch in seinem Heimatland Phasen gehabt, wo er einfach mal verschwunden und dann wieder aufgetaucht sei, erklärt Sascha. An die Hoffnung klammerte er sich. „Es war mehr als ein Jahr der Ungewissheit – wo du denkst, der lebt noch. Beim Einkaufen ist mir einmal fast das Herz stehen geblieben, als ich jemanden sah, der genauso aussah wie er“, so der Kölner.

Nach anderthalb Jahren bekommt Kölner Anruf, der alles aufwühlt

Schließlich packte er Sherzods Habseligkeiten in Kisten und stellte sie ins Esszimmer, wo er sie jeden Tag anguckte. „Ich hatte das Gefühl, er ist noch da“,  sagt er und weint. Später lagerte er die Sachen bei seiner Mutter ein. „Wenn er doch wiederkommt, wollte ich sie ihm wiedergeben.“

Er trauerte, verdrängte aber auch mit der Zeit. Im März 2022 habe er schließlich das Gefühl gehabt, es sei ertragbar. Doch dann wühlte ein Anruf alles wieder auf. Der 49-Jährige machte Urlaub auf Gran Canaria, wo er und Sherzod zuletzt gemeinsam gewesen waren. „Ich war gerade drei Tage da, da rief die Vermisstenstelle der Polizei an“, erinnert sich Sascha.

Toter in Freden: Übereinstimmung zu Vermisstenfall aus Köln

Ein Toter im rund 300 Kilometer entfernten Freden (Landkreis Hildesheim) war als Sherzod I. identifiziert worden. Der Leichnam war bereits ein Jahr zuvor, am 4. März 2021, von einem Wanderer gefunden worden, konnte aber nicht identifiziert werden, weil er bereits stark verwest und größtenteils skelettiert war. Erst ein DNA-Abgleich ergab schließlich die Übereinstimmung zu dem Vermisstenfall aus Köln.

Laut Polizei gibt es keine Hinweise auf Fremdverschulden. Doch wie Sherzod I. genau gestorben ist, lässt sich nicht mehr feststellen. „Die Ermittlungen sind erstmal abgeschlossen. Sollten sich neue Hinweise ergeben, werden diese sofort wieder aufgenommen“, erklärt ein Sprecher der Polizei Hildesheim auf Nachfrage von EXPRESS.de. Unbekannt sei auch, welche Verbindungen der Tote nach Freden hatte.

„Ich habe erst kürzlich herausgefunden, dass Sherzod, bevor wir uns kennenlernten, mit einem Bekannten mehrfach in Göttingen war und deshalb die Gegend kannte“, erzählt Sascha L. Freden liegt rund 60 Kilometer von Göttingen entfernt. Dort wird der Arzt, der als suizidgefährdet galt, in Kürze auch seine letzte Ruhe finden. Sascha L.: „Er hat sich die Stelle ausgesucht. Ich bin auch überzeugt, dass er nicht gefunden werden wollte.“


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