Christian Jähnke (42) lebte jahrelang als Obdachloser in Köln, ging mit zwölf auf den Strich am Hauptbahnhof. Er erzählt, wie es damals war.
Jahrelang obdachlos in KölnChristian (42): „Die werden nicht mehr als Menschen gesehen“

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Christian Jähnke (42) lebte jahrelang in Köln auf der Straße.
Aggressive Bettler, Obdachlose, die an Haltestellen auf dem nackten Boden schlafen und eine Stadt, die immer mehr verwahrlost: Seit Wochen berichten Leserreporterinnen und Leserreporter über die Situation in Köln und machen sich Luft.
Christian Jähnke (42) verfolgt die Diskussion sehr aufmerksam. Denn er war einer von „denen“ – ein Kölner Obdachloser, der sich in der Stadt herumtrieb, Leute anbettelte, an einer Unterführung schlief und auf den Strich ging.
Christian (42): „Mann aus Nippes vermittelte mich in der Szene“
„Ich habe zehn Jahre auf der Straße gelebt und weiß, wie es ist, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein und sich jeden Tag Gedanken machen zu müssen, wo pennst du, wo bekommst du Essen und Getränke her“, erzählt Christian am Donnerstag (12. Juni 2025) gegenüber EXPRESS.de.
Der 42-Jährige war als Kind in ein Heim nach Neukirchen-Vluyn gekommen. „Da gab es einen Mitbewohner, der mir das Straßenleben schmackhaft gemacht hat. Er war selbst Stricher – und ich war gerade mal zwölf Jahre alt...“, erklärt Christian. Gemeinsam seien sie nach Köln abgehauen.
Er erinnert sich, dass sein Kumpel ihn dort mit einem Mann aus Deutz bekannt gemacht habe. „Er sagte zu mir, dass ich bei dem schlafen könnte. Ich bin dann mit und bekam eine Cola. Danach hatte ich ein Blackout und bin am nächsten Morgen mit Schmerzen aufgewacht“, so der heute 42-Jährige. Er vermutet, dass in der Cola K.O.-Tropfen waren und er vergewaltigt wurde.
Schnell wurde Christian zum Stricher. „Erst habe ich mich davor geekelt, aber irgendwann war es normal für mich. Auch, weil ich schnelles Geld machen konnte“, sagt er. Ein Mann aus Nippes, der im Rollstuhl saß, habe ihn in der Szene vermittelt.
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„Ich war schon damals groß gewachsen“, erzählt Christian, der heute 1,98 Meter misst. Dadurch sei er in die Schwulenkneipen in der Kölner Innenstadt hineingekommen und habe bei Kölsch auf die Freier gewartet.
„Als ich richtig in der Szene drin war, habe ich zehn, elf Freier pro Tag gemacht. Da haben die Freier auch nicht mehr einen auf netten Onkel gemacht“, erinnert er sich und ergänzt: „Wenn es gut lief, hatte ich 500 D-Mark. Davon habe ich dann Koks oder Speed, vermischt mit Bier getrunken.“
Ab und zu habe er auch bei den Freiern geschlafen. Oder an der Unterführung hinter dem Gulliver, einer Überlebensstation für Obdachlosen. Christian: „Dort habe ich andere Obdachlose kennengelernt. Pinkie, Speedy und wie sie alle hießen. Weil ich da ja erst 12, 13 Jahre alt war, haben sie mich beschützt.“ Auf der Straße würden eigene Regeln, eigene Hierarchien herrschen.
Jahrelang obdachlos in Köln: So kam Christian von der Straße weg
Mit 15 sei er dann nach Berlin, mit 16 aber wieder zurück nach Köln. „Da habe ich unterhalb der Domplatte geschlafen“, erzählt er. In den 90ern und Anfang der 2000er-Jahre habe man auch noch auf der Straße leben können, meint Christian.
„Aber jetzt werden die Obdachlosen beleidigt, bespuckt und angezündet. Die werden nicht mehr als Menschen gesehen“, sagt er. „Ich finde, dass Obdachlose mehr von der Politik unterstützt werden müssten.“
Den Absprung, erzählt er, habe er schließlich geschafft, weil er 2010 unter anderem wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Doch auch nach seiner Entlassung sei es zunächst nicht leicht gewesen. „Ich brauchte zwei Jahre, um meine Wohnung zu akzeptieren. Der Drang nach Freiheit war groß“, erklärt er.
Inzwischen ist Christian nach eigenen Angaben ehrenamtlich in Stralsund, wo er jetzt zusammen mit seiner Ehefrau lebt, aktiv, gibt Essen an Jugendliche aus und kümmert sich um sie. Der 42-Jährige: „Es ist ein Projekt, bei dem ich der Gesellschaft etwas wiedergeben kann – die haben mir geholfen, jetzt helfe ich denen.“