Bei der Heim-WM 2007 wurde Dominik mit dem DHB-Team Weltmeister. Nun hofft Handball-Deutschland auf eine Wiederholung des Wintermärchens. Wie stehen die Chancen?
„Europaweit einmalig!“Handball-Held Dominik Klein mit Köln-Appell – so klappt es bei der Heim-EM
Weltmeister beim Heimspiel! Das Wintermärchen 2007 erlebte Dominik Klein (40) als Teil der deutschen Handball-Nationalmannschaft hautnah mit. Bei der Europameisterschaft, die vom 10. bis 28. Januar 2024 nun wieder in Deutschland stattfindet, ist der ehemalige Profi-Handballer als TV-Experte für die ARD dabei.
Im Interview spricht der Familienvater, der 2018 seine Karriere als Aktiver beendet hat, über die Chancen der deutschen Mannschaft bei der Heim-EM, seine Rolle als Experte und die emotionale Rückkehr in die Lanxess-Arena in Köln, in der Haupt- und Finalrunde ausgetragen werden.
Dominik Klein im Interview: „Optimismus hat mich gepackt“
Herr Klein, was sind Ihre Eindrücke und Ihr Gefühl zur deutschen Mannschaft vor der EM?
Dominik Klein Anfang November war in München der „Tag des Handballs“ mit den beiden Spielen gegen Ägypten als Vorgeschmack auf die EM. Da war eine unfassbare Stimmung. Da hat mich der Optimismus wieder gepackt.
Warum?
Ich bin generell ein optimistischer Mensch, habe bei der Nationalmannschaft aber immer auch eine kritische Sichtweise. Nicht nur wegen meiner Expertenrolle, sondern auch, weil ich selbst beim THW Kiel lange unter Alfred Gislason gespielt habe. Die Spielzüge kenne ich noch aus dem Effeff. Für mich war wichtig, dass wieder ein Spielfluss zu sehen war. Sie haben einen sehr schnellen Ball gespielt, auch dank der Eingespieltheit der ersten sieben, acht, neun Spieler. Gerade die Rückraum-Achse mit Häfner, Knorr, Köster und Golla ist ein richtig cooler Stamm, der sich mittlerweile sehr gut auf dem Spielfeld kennt. Jetzt gilt es, von der zweiten Reihe – auch wenn ich den Begriff eigentlich nicht gerne verwende – einen gewissen Esprit reinzubringen. Da hat mir zum Beispiel gefallen, wie Nils Lichtlein als Linkshänder auf der Mitte aufgespielt hat. Auch das Zusammenspiel im Abwehrverbund mit dem Torwart hat funktioniert.
Was wäre für Sie denn ein Erfolg bei diesem Turnier?
Wenn bei dem Turnier eine Entwicklung stattfindet, würde ich das als Erfolg sehen. Sprich: Nimmst du die Euphorie aus dem Weltrekord-Spiel gegen die Schweiz voll mit? Steigerst du dich dann von Spiel zu Spiel? Ausrutscher darfst du dir bei diesem Turnier nicht mehr erlauben. Du brauchst aus der Gruppenphase den maximalen Erfolg. Die Standortbestimmung Frankreich als letztes Gruppenspiel braucht schon vorher eine Entwicklung. Erst dann kann man den Erfolg für das Turnier definieren.
Sie haben das Eröffnungsspiel im Fußball-Stadion in Düsseldorf vor über 50.000 Menschen angesprochen. Beflügelt das, oder kann das auch Ballast sein?
Ich sehe das in keiner Weise als Ballast, sondern nur die Vorfreude. Als Nationalspieler ist man ohnehin schon glücklich, dass man mit den Länderspielen für seine Leistung aus der Saison belohnt wird. Das wird ein Riesen-Erlebnis, das die Mannschaft genießen darf.
Handball-EM vor Fußball-EM: „Wir können es ja umdrehen“
Am Ende der Vorrunde steht das Spiel in Berlin gegen Frankreich an. 1995 zum ersten Mal Weltmeister, jetzt die am höchsten dekorierte Mannschaft. Wie schaffen es die Franzosen, immer wieder Topstars zu produzieren?
Ich durfte selbst zwei Jahre in Nantes spielen und das Sportfördersystem dort live erleben. Es gibt eine hohe Zentralisierung von Talenten. Aus einer ganzen Region kommen die besten Talente an einen Ort, gehen dort unter der Woche zur Schule und fahren am Wochenende wieder zu ihren Vereinen. Schule und Sport werden so kombiniert, dass die Talente vier, fünf Mal in der Woche auch vormittags trainieren können. Das gibt es bei uns nur punktuell in einigen Nachwuchsleistungszentren.
Was ist an einem guten Tag trotzdem drin gegen Frankreich?
Im Handball ist generell an einem guten Tag alles möglich. Im eigenen Land kann man durch die Stimmung und mit dem Rekordspiel in Düsseldorf auf eine Welle kommen, die man reitet. Was 2007 bei unserem WM-Sieg in Köln an Enthusiasmus und an Freude da war, das war Wahnsinn! Wenn das jetzt ansatzweise wieder so sein wird, bin ich sicher, dass es die Mannschaft beflügeln wird.
Dieser Enthusiasmus ist im Fußball aktuell gar nicht da. Könnte das bei zwei Turnieren im eigenen Land in einem Jahr ein Vorteil für den Handball sein?
Wir können es ja umdrehen: Nachdem uns das Sommermärchen 2006 zum Wintermärchen 2007 verholfen hat, können wir mit einer tollen Heim-EM Vorreiter sein, sodass die Fußballer sagen: Lass es uns so machen wie die Handballer! Unsere Basketballer haben mit dem Riesen-Job bei der WM schon vorgelegt. Bei deren Auftritt im „Aktuellen Sportstudio“ wurden bei mir Erinnerungen an die WM 2007 wach. Wie die sich untereinander verstanden haben. Man hat gespürt, dass da ein unfassbarer Zusammenhalt war. Es war eine Freude, zu sehen, wie eine echte Mannschaft für Deutschland den Titel geholt hat. Das wünsche ich mir für unser Team auch, vor allem diese Stimmung untereinander.
Timo Kastening hat das Zeug zum Publikumsliebling
Was ist das Erfolgsrezept, um eine Titelmannschaft entstehen zu lassen?
Den Zusammenhalt, den Esprit und die Stimmung 2007 führe ich vor allem darauf zurück, dass sich wirklich jeder als Teil dieses Turnier-Projekts gesehen hat. Da war der dritte Torwart, der 16. Feldspieler oder der Physio fester Teil einer eingeschworenen Gruppe. Es wird spannend, zu sehen, wie die Mannschaft das angeht und entwickeln will.
Haben Sie eigentlich den Heiner-Brand-Schnäuzer von der WM 2007 noch?
Dazu habe ich eine witzige Geschichte: Bei der Heim-WM 2019 wurden wir vom „Deutschen Sport & Olympia Museum“ in Köln angesprochen, nach alten Requisiten zu gucken, die man ausstellen könnte. Als ich die alte Kiste vom Dachboden geholt habe, lag da neben dem Trikot und Schuhen auch ein Badelatschen drin. Ich dachte mir: ‚Hä, warum habe ich denn einen Badelatschen aufgehoben?‘ Als ich den Badelatschen umdrehte, klebte da dieser Schnauzbart dran! Wahrscheinlich noch von der Party in der Kabine.
Und? Haben Badelatschen und Schnäuzer es ins Museum geschafft?
Das weiß ich gar nicht. Ich habe ihnen die ganze Kiste geschickt.
Juri Knorr wird als einer der potenziellen Stars des Turniers gehandelt. Wer könnte aus deutscher Sicht die große Überraschung werden?
Ob Überraschung das richtige Wort ist, weiß ich nicht, denn er ist eine Konstante: Aber Timo Kastening ist einer, der einen guten Lauf hat. Er ist in der Lage, der Nationalmannschaft die nötige Leichtigkeit und Lockerheit zu geben. Er hat eine gewisse Unbekümmertheit, Spielwitz und Sicherheit.
Er ist auch ein Typ, der Publikumsliebling werden kann, oder?
Das mag ich an ihm. Er hat immer dieses Grinsen im Gesicht, klaut in der Abwehr auch mal einen Ball. Das finde ich überragend.
Dominik Klein über Skandinavien-Trio: „Die kann man nachts wecken“
Wenn wir den Blick etwas weiten und auch andere Mannschaften einbeziehen: Wer wird der Superstar der EM?
Alle Teams haben ihre Stars. Und vor allem: Viele Mannschaften haben eine echte Breite an Stars. Da tue ich mir schwer damit, einen rauszupicken. Die Dänen zum Beispiel sind auch mit ihrer B-Mannschaft noch voll konkurrenzfähig.
So einfach lassen wir Sie nicht davonkommen. Wir wollen schon noch einen Namen hören …
Vielleicht Elias Ellefsen á Skipagøtu von den Färöer, der auch beim THW Kiel in der Bundesliga auf sich aufmerksam gemacht hat. Er ist ein echter Straßenhandballer. Er wird frei und unbekümmert aufspielen. Er hat es jedenfalls faustdick hinter den Ohren.
Welche Teams werden weit kommen?
Das skandinavische Trio aus Dänemark, Schweden und Norwegen muss man immer nennen. Die haben solch eine hohe Qualität. Die kann man nachts wecken, dann spielen die ihr Turnier runter. Frankreich ist der große Favorit neben diesen drei Teams.
Was ist mit Spanien?
Wenn ich sagen würde: Spanien kommt langsam in die Jahre, würde das dieser Truppe nicht gerecht werden, weil sie eben eine unglaubliche Erfahrung hat. Man sagt: Die Abwehr gewinnt Meisterschaften. Und da haben sie eine ausgeprägte Cleverness. Da haben sie die höchste Qualität von allen. Man muss Spanien also immer auf dem Schirm haben.
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Die Lanxess-Arena soll wie 2007 die Heimat für die deutsche Mannschaft in der Hauptrunde werden. Ein gutes Omen?
Ja, das freut mich total. Dieses weite Rund ist europaweit einmalig und das Wohnzimmer für den deutschen Handball.
Haben Sie einen Appell an das Kölner Publikum?
Mein Impuls ist: Lasst die Sau raus! Aber die Begeisterung brauche ich gar nicht fordern, die kommt automatisch. Und: Es liegt eben an der deutschen Mannschaft, das herauszukitzeln. Der schönste und prägendste Moment für mich war der Weg von Wiehl in die Kölnarena am Finaltag. Das werde ich niemals vergessen. Da standen Tausende Menschen. Da kriege ich jetzt gerade Gänsehaut, während ich das erzähle. So etwas wünsche ich den Jungs 2024 auch.
Klein: „Da sehe ich eine Entwicklung bei Alfred Gislason“
Hat sich ihr Blick auf den Handball als Experte eigentlich geändert?
Es war eine Entwicklung, ja. Jetzt achte ich gerne noch mehr auf Details – gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich. Ich würde schon von mir behaupten, ein großes Handball-Fachwissen zu haben, aber mein Ziel als Experte ist es eben, möglichst viele Zuschauer zu Hause mitzunehmen. Oma Hildegard aus Emsdetten soll schließlich auch verstehen, was wir da erzählen.
Was macht Alfred Gislason aus?
Seine Akribie und seine Analysen stehen sehr stark im Vordergrund. Auch wie er die Spieler vor dem Turnier analysiert und danach auswählt. Das ist ein enormer Aufwand, den er da betreibt. Er gibt dann ein System vor, lässt Spielern aber auch ihre Freiheiten in diesem System – das beste Beispiel ist Juri Knorr, den man nicht in ein Konzept einwickeln kann, der braucht kreative Freiheit. Da sehe ich eine Entwicklung bei Alfred Gislason. Früher hat er nicht zu viel Kreativität innerhalb seiner Vorgaben zugelassen.
Gislason geht auch immer sehr stark mit Gestik und Mimik am Spielfeldrand mit. Sind sie auch noch so mit vollem Körpereinsatz dabei?
Das hat bei mir schon im Kindesalter angefangen, ja. Da gibt es Fotos, wie ich im Hintergrund einen Sprungwurf mitgehe. Ich lebe und liebe den Handball und gehe voll mit. Ganz besonders intensiv ist das bei einem Tempogegenstoß. Wenn Rune Dahmke losläuft, stehe ich auf und laufe hinterher (lacht).
Wollen Sie eigentlich selbst auch mal Trainer werden?
Das schlummert in mir, ganz sicher. Das wird mit Sicherheit noch kommen. In der aktuellen Phase mit den Kindern, die ich aufwachsen sehen will, passt es noch nicht. Wenn ich Trainer bin, möchte ich es auch intensiv (vor-)leben. Diesen Rhythmus werde ich irgendwann finden.
Gibt es schon einen detaillierteren Plan?
Es kommt, wie es kommt. Ich treffe Entscheidungen gerne aus dem Bauch heraus – zusammen mit meiner Familie.