„In naher Zukunft total normal“Weniger Arbeit, gleicher Lohn – kommt Briten-Trend nach Deutschland?

Eine Frau sitzt zuhause an einem Schreibtisch und arbeitet an einem Laptop.

In Großbritannien wurde das Pilotprojekt der Vier-Tage-Woche getestet. Ein Blick in die deutsche Zukunft? Das Symbolfoto zeigt eine Frau am Laptop.

Großbritannien und auch andere Länder haben es bereits getestet – die Vier-Tage-Woche als normale Arbeitswoche. Kommt der Trend nun auch nach Deutschland? 

Die Fünf-Tage-Woche – eine normale Arbeitswoche für die meisten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Aber wie wäre es mit vier Tage Arbeit, drei Tage Wochenende – und das zum gleichen Lohn wie zuvor?

Was für viele Beschäftigte nach Wunschdenken klingen mag, ist in Großbritannien – zunächst für ein halbes Jahr – für einige tausend Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Realität geworden.

Vier-Tage-Woche in Großbritannien steigert teilweise die Produktivität

Nach Ende des Pilotprojektes zieht der Großteil der beteiligten Firmen ein überaus positives Fazit: Mehr als vier von fünf wollen an dem Konzept festhalten.

56 von 61 Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen teilten nach Ende der Testphase mit, die Vier-Tage-Woche beibehalten zu wollen – 18 bestätigten das Konzept sogar bereits als dauerhaft eingeführt.

Diese Ergebnisse gehen aus einer am Dienstag (21. Februar 2023) veröffentlichten Analyse von Forschern und Forscherinnen aus Boston sowie Cambridge hervor, die das Projekt wissenschaftlich begleitet und Tiefeninterviews mit Beteiligten geführt haben.

„Vor Beginn des Projektes haben viele gezweifelt, ob wir eine Steigerung der Produktivität sehen würden, die die Verkürzung der Arbeitszeit ausgleicht – aber genau das haben wir festgestellt“, hält der Forscher Brendan Burchell von der Universität Cambridge fest.

Durchschnittlich stieg der Umsatz der beteiligten Unternehmen der Analyse zufolge während der Testphase in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres um 1,4 Prozent.

Die Krankheitstage gingen demnach während des Testzeitraums um rund zwei Drittel (65 Prozent) zurück und die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, fiel um mehr als die Hälfte (57 Prozent). Rund vier von zehn Beschäftigten gaben an, sich weniger gestresst zu fühlen als vor Beginn des Projektes.

An dem britischen Projekt nahmen sowohl Unternehmen aus dem Finanzsektor, der IT- und Baubranche sowie der Gastronomie oder dem Gesundheitswesen, aber auch ein Fish-und-Chips-Laden teil.

Insgesamt beschäftigen die beteiligten Firmen rund 2900 Angestellte. Einige Betriebe führten flächendeckend ein dreitägiges Wochenende ein, während andere den freien Tag der Angestellten über die Woche staffelten oder an Ziele koppelten.

Auch in anderen Ländern wird mit der Vier-Tage-Woche experimentiert, darunter Irland, Island, Belgien oder Australien. Einige deutsche Betriebe testen ebenfalls ähnliche Varianten aus.

Hohe Arbeitsbelastung und Stress führen zu mehr Konflikten

Der britisch-deutsche Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrt, sieht in dem Modell die Fortsetzung eines Trends: „Was jetzt noch wie eine Revolution wirkt, könnte schon in naher Zukunft total normal sein, so wie vor fast einem Jahrhundert die Fünf-Tage-Woche schnell zur Norm geworden ist“, sagte Lee im Gespräch.

Forscher Burchell berichtete, dass viele Angestellte selbst nach Wegen gesucht hätten, ihre Produktivität zu steigern. „Lange Meetings mit zu vielen Menschen wurden verkürzt oder komplett abgeschafft. Beschäftigte haben weniger Zeit totgeschlagen, sondern aktiv nach Technologien gesucht, die ihre Produktivität steigern“, wird er in der Auswertung zitiert.

Viele Betriebe berichteten, während der Corona-Pandemie seien hohe Arbeitsbelastung und Stress verstärkt als Konfliktfelder aufgekommen und es sei nach neuen Wegen und Lösungen gesucht worden. Hier nehmen Sie an unserer EXPRESS.de-Umfrage teil:

Wie aus den Befragungen hervorgeht, nutzten die meisten Beschäftigten den zusätzlichen freien Tag vor allem für die Erledigung alltäglicher Aufgaben wie Einkäufe oder Haushaltsarbeit.

Dies ermöglichte vielen wiederum, das eigentliche Wochenende stärker zur Erholung zu nutzen, mehr Zeit mit Familie oder Freunden zu verbringen und sich stärker ihren Hobbys oder einem Engagement zu widmen.

Systemrelevante Berufe durch Vier-Tage-Woche gefährdet?

Vereinzelt äußerten Beschäftigte jedoch auch Zweifel an dem Modell: So hatten einige die Sorge, dass sich ihre Belastung an den Arbeitstagen zu stark steigern könne. Auch Wirtschaftswissenschaftler Lee wirft die Frage auf, wie die Vier-Tage-Woche in systemrelevanten Branchen – wie etwa der Pflege oder dem Gesundheitswesen – funktionieren solle, wo es schlicht nicht möglich sei, die Produktivität zu steigern.

Das Risiko sei, dass die Attraktivität dieser Berufe abnehme, wenn das Konzept dort nicht funktioniere. „Das wäre schlecht, weil wir in diesen Berufen ohnehin schon Mangel haben“, sagte Lee. (dpa)