Werbung für Vibratoren„Hilfe, muss ich jetzt mit meinem Kind über Sex reden?”

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Sexspielzeug flimmert in vielen Werbepausen über den Bildschirm und provoziert Fragen von Kindern.

Berlin – Erst kommt das Haarshampoo, dann die Unfallversicherung und im Anschluss wird ausführlich der neueste Vibrator angepriesen: Spots für Sexspielzeug sind fester Bestandteil der Fernsehwerbung – und das habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, sagt Verena Weigand, Bereichsleiterin Medienkompetenz und Jugendschutz der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).

Viele Eltern fühlen sich von Werbung mit Sex-Inhalten bedrängt

Genauso angestiegen sind die Beschwerden von Eltern, die die Landeszentrale erhält. „Viele Eltern fühlen sich durch die Werbung gedrängt, völlig unerwartet aus dem Stehgreif heraus Fragen ihrer Kinder zu sexuellen Themen zu beantworten“, sagt Weigand. Und viele fragen sich: Ist das überhaupt erlaubt, was im TV gezeigt wird? „Die ausgestrahlte Werbung für Sexspielzeug verstößt bislang nicht gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags“, erklärt Weigand, die die TV-Spots selbst kritisch sieht – genauso wie die bundesweit zuständige Kommission für Jugendmedienschutz, die die Werbeclips geprüft hat und die darin abgebildete Kommerzialisierung von Sexualität kritisiert.

Müssen Eltern ihre Kinder spontan aufklären?

Ein Verstoß gegen geltende Bestimmungen wären die Spots nur, wenn sexuelle Handlungen ausführlich dargestellt oder problematische Rollenbilder gezeigt würden. Solche Werbesendungen laufen nicht im Fernsehprogramm. Das Thema Sex wird durch die Werbung dennoch – meist ungewollt – präsent im Wohnzimmer vieler Familien.

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„Mama, was ist ein Satisfyer? Und ein Orgasmus?“

Häufig lassen die Kinderfragen nicht lange auf sich warten. Ein Beispiel: „Mama, was ist ein Satisfyer? Und ein Orgasmus?“ Was ist jetzt die richtige Antwort, fragen sich viele Eltern. Müssen sie ihr Kind nun spontan komplett aufklären? „Es kommt auf das Alter an“, sagt Albert Wunsch, Erziehungswissenschaftler und Buchautor aus Neuss. „Kleine Kinder können den Zusammenhang der Werbung noch nicht begreifen. Hier müssen Eltern sich nicht gedrängt fühlen, ihren Kindern Sexualität umfassend zu erklären.“ Anders sei es bei Kindern ab etwa acht Jahren. „Sexualisierte Werbung kann hier eine Reihe an Gedanken und Fragen auslösen, auf die man dann auch eingehen sollte“, sagt der Sozialpädagoge.

Kinder am besten nicht allein fernsehen lassen und offen sein

Wunsch sieht Werbung für Sexspielzeug ebenfalls kritisch – gibt aber den Eltern eine große Mitverantwortung. „Wenn der Fernseher zu Hause rund um die Uhr läuft und Kinder ungefiltert mitschauen, muss man sich nicht wundern“, sagt er. Eine erste einfache Lösung sei es, Kinder nicht allein fernsehen zu lassen, sondern vorab genau auszuwählen, was geschaut wird. 

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David Schulz, Sexualpädagoge beim Bildungskollektiv BikoBerlin, plädiert dafür, jederzeit offen für jegliche Fragen von Kindern zu sein und nicht zu verkrampft mit dem Thema umzugehen. „Vielen Eltern passiert es, dass sie zu sehr mit ihrer Erwachsenenbrille auf kindliche Sexualität schauen“, sagt er.

Dabei müsse man sich im ersten Schritt erst einmal klarmachen, dass auch Kinder schon eine Sexualität hätten und ihren eigenen Körper in der Regel völlig unvoreingenommen und spielerisch erkundeten. Genauso unbedarft würden sie ihre Fragen stellen. „Häufig reicht eine einfache, ehrliche Antwort schon aus“, sagt Schulz.

Fragende Kinder sind bereit für die Antwort

Verena Weigand sieht es ähnlich. „Eltern können davon ausgehen, dass Kinder, die Fragen stellen, auch bereit sind für die Antworten“, sagt sie. Dabei müssten Eltern sich aber nicht genötigt fühlen, alle Fragen direkt vor dem Fernseher zu beantworten. „Wenn man sich erst noch eine gute Antwort überlegen möchte, kann man das Gespräch auch auf einen ruhigen Moment verschieben.“

Käme beispielsweise die Frage auf, was Sexspielzeug überhaupt sei, könnten Eltern antworten, dass auch Erwachsene gerne mal miteinander ein Spielzeug ausprobierten. Wer sich schwer mit solchen Themen tue, könne sich auch entsprechende Kinderbücher zur Hilfe nehmen. Weigand: „Es gibt viele tolle Bücher für verschiedene Altersgruppen, die das Thema sehr gut aufbereiten.“ Aufgrund der großen Verunsicherung, die Eltern spüren, hat die BLM eine neue Elternbroschüre herausgegeben. Diese kann zwar nicht vor sexualisierter Werbung schützen, aber Eltern auf Gespräche mit ihren Kindern vorbereiten.

Ein vertrauensvolles Umfeld schaffen

Nicht nur auf Fragen sollten Eltern vorbereitet sein, meint Verena Weigand, sondern auch auf die Folgen, die sexualisierte Werbung mit sich bringen kann. „Werbung für Sexspielzeug hat beispielsweise die unterschwellige Botschaft, Sexualität funktioniere nur über Konsum und Technik“, sagt sie. Ebenso sieht es Albert Wunsch. „Es gibt Werbungen, die ein Pärchen zeigen, das direkt nach dem Kennenlernen mit einem Kondom gemeinsam verschwindet. Das ist eine Darstellung von Ruck-Zuck-Sexualität, die zu sexueller Verrohung führen kann.“

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Um das zu verhindern, empfiehlt er allen Eltern, zu Hause ein vertrauensvolles Umfeld für Kinder zu schaffen. „Im besten Fall trauen sich Kinder, ihren Eltern jegliche Frage zu stellen.“ Für ihn ist Sexualerziehung Elternaufgabe. Sie sollten entscheiden, wann der richtige Moment der Aufklärung gekommen ist –Einmischung von außen, durch Werbung, Schule oder andere Einrichtungen hält er nicht für sinnvoll.

Sexualerziehung nicht ausschließlich Elternaufgabe

Sexualpädagoge David Schulz findet hingegen, dass Sexualerziehung nicht ausschließlich Elternaufgabe sein sollte. Er selbst geht in Schulen und spricht mit Schülern über Sexualität. „Kinder und Jugendliche verbringen dort meist mehr Zeit als zu Hause. Es wäre schwierig, bestimmte Lebensbereiche einfach auszuklammern.“ Was ihm vor allem auffällt: „Kinder stellen uns ganz andere Fragen als ihren Eltern.“ Selbst Klassenlehrer dürften an den Workshops nicht teilnehmen. „So schaffen wir ein Umfeld, in dem Kinder alles fragen dürfen, was sie interessiert. Ganz frei von Scham.“ (dpa)