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„Stammheim“Neuer ARD-Film räumt mit dem Mythos der RAF als cooler Rockband auf

Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) kommt in der JVA Stuttgart Stammheim an. Die Ex-Journalistin wirkt in der Gruppe der übrigen Gefangenen etwas isoliert. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) kommt in der JVA Stuttgart Stammheim an. Die Ex-Journalistin wirkt in der Gruppe der übrigen Gefangenen etwas isoliert. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Vor 50 Jahren begann der Prozess gegen die berühmte erste Generation des RAF-Terrors: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Das Dokudrama „Stammheim - Zeit des Terrors“, gedreht im Original-Zellentrakt von damals, liefert neue Perspektiven auf eine sehr anstrengende Clique.

Am 21. Mai 1975 begann im eigens für diesen Prozess errichteten „Mehrzweckgebäude“ der JVA Stuttgart Stammheim der Prozess gegen die erste Generation der RAF.

Jene Terroristen, die bis heute - fast auf den Tag genau 50 Jahre später - noch die klangvollsten Verbrechernamen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte tragen: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe.

„Stammheim - Zeit des Terrors“ verwebt Originalbilder mit fiktionalen Szenen

Besonders freundlich war man nicht zueinander bei der RAF, wie im ARD-Dokudrama „Stammheim - Zeit des Terrors“ zu sehen: Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) im Gespräch mit Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) beim Hofgang in der JVA Stammheim. Den Film plus eine Doku produzierte das Erste zum 50. Jahrestag des Prozessbeginns.  (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Besonders freundlich war man nicht zueinander bei der RAF, wie im ARD-Dokudrama „Stammheim - Zeit des Terrors“ zu sehen: Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) im Gespräch mit Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) beim Hofgang in der JVA Stammheim. Den Film plus eine Doku produzierte das Erste zum 50. Jahrestag des Prozessbeginns. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Im Dokudrama „Stammheim - Zeit des Terrors“, gedreht im Original-Zellentrakt von damals, liefern die Filmemacher Niki Stein und Stefan Aust neue Perspektiven auf eine ungemein anstrengende Clique, die sich auch untereinander nicht allzu grün war. Nach der Mediathek-Premiere war der Film am Montagabend im Ersten zu sehen.

Musikfan hinter Gittern: Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann, links) führt Terrorist Andreas Baader (Henning Flüsloh) zu seiner Zelle in Stammheim. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Musikfan hinter Gittern: Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann, links) führt Terrorist Andreas Baader (Henning Flüsloh) zu seiner Zelle in Stammheim. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

„Stammheim - Zeit des Terrors“ verwebt Originalbilder mit fiktionalen Szenen, wobei letztere klar dominieren. Insofern ist die Genrebezeichnung Dokudrama für den ARD-Film zum Jahrestag des Prozessbeginns technisch zwar korrekt, beim Zuschauen fühlt es sich aber wie ein normaler Spielfilm an.

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) soll beim beim Stammheim-Prozess aussagen. Von ihrem Zellentrakt zum Prozessgebäude war es nur ein kurzer Fußweg von 150 Metern. 50 Jahre liegt der Beginn der Verhandlungen nun zurück.
 (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) soll beim beim Stammheim-Prozess aussagen. Von ihrem Zellentrakt zum Prozessgebäude war es nur ein kurzer Fußweg von 150 Metern. 50 Jahre liegt der Beginn der Verhandlungen nun zurück. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Heinrich Breloer-Vibes mit dem Wechsel zwischen Inszenierung und Doku-Material plus Interviews vor Studiowänden kommen hier nicht auf. Man sieht wie die Terroristen Andreas Baader (Henning Flüsloh), Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov), Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) und Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak) in die JVA Stuttgart Stammheim eingeliefert werden. Meistens dabei: der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann), den es wirklich gab.

Die RAF als coole Rockband - das war einmal!

Oft hat Horst Bubeck erzählt, wie es im siebten Stock der JVA damals zuging. Dass die vier Gefangenen „unglaubliche Privilegien“ genossen, über eine Privat-Bibliothek, eigene Fernseher und mehrere Zellen gleichzeitig verfügten. Dass sie acht Stunden täglich zusammen sein durften und mehr Besuch empfingen als jeder andere. Dass er und seine 15 Kollegen eine Terrorgemeinschaft bewachten, der fast jeder Wunsch gewährt wurde.

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) wird in die JVA Stuttgart-Stammheim eingeliefert. Die wichtigen Köpfe der ersten RAF-Generation sitzen nun in Haft. Ab 21. Mai 1975 wird ihnen der Prozess gemacht. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) wird in die JVA Stuttgart-Stammheim eingeliefert. Die wichtigen Köpfe der ersten RAF-Generation sitzen nun in Haft. Ab 21. Mai 1975 wird ihnen der Prozess gemacht. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Baader, Ensslin und Co. kommen in diesem Film, der kürzlich entdeckte Tonbandaufnahmen der Stammheim-Prozesse auswertet, ziemlich unsympathisch rüber. Sehr viel schlechter jedenfalls als noch im starbesetzten Kinofilm „Der Baader Meinhof Komplex“ von 2008.

Kriminalkommissar Alfred Klaus (Heino Ferch) besucht Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) in ihrer Zelle. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Kriminalkommissar Alfred Klaus (Heino Ferch) besucht Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) in ihrer Zelle. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Damals inszenierten Bernd Eichinger (Drehbuch) und Uli Edel (Regie) die von Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck und Johanna Wokalek gespielten Top-Terroristen noch als aus dem Ruder gelaufene Bewegung radikal linker Zerstörungswut, die aber auch - in Teilen - sexy war. Auch dieser Film wurde übrigens von Stefan Aust, Autor des gleichnamigen Bestseller-Sachbuches „Der Baader Meinhof Komplex“, beraten.

Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak, links) spricht mit dem Vollzugsbeamten Horst Bubeck (Moritz Führmann) während des Hofganges. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak, links) spricht mit dem Vollzugsbeamten Horst Bubeck (Moritz Führmann) während des Hofganges. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

In „Stammheim - Zeit des Terrors“ wird das Narrativ der RAF als cooler Rockband samt Opfergang - der umstrittene (Selbst)mord im Zellentrakt - allerdings deutlich gebrochen. Vor allem Baader und Ensslin mobben Ulrike Meinhof auf übelste Art, sodass man letztere bemitleiden muss. Viel Selbstherrlichkeit, ja eine unangenehme Hybris der Terroristen schreibt der mittlerweile dritte größere deutsche Stammheim-Film den RAF-Charakteren in ihre Rollenprofile.

Psychospiele der Insassen - und ihrer Aufpasser

Reinhard Hauffs Film „Stammheim“ von 1986, übrigens mit dem jungen Ulrich Tukur als Andreas Baader, war der erste Versuch, sich zehn Jahre nach Prozessbeginn einen Reim auf das westdeutsche Trauma linker Terrorangriffe von innen zu machen. Ziemlich unangenehm, wenn auch nicht uninteressant ist es, die Psychospiele der Insassen, ihrer Aufpasser und anderer Staatsvertreter im neuen Film zu verfolgen.

Der Kriminaler Alfred Klaus (Heino Ferch, links) war 1971 am Aufbau der „Sonderkommission Terrorismus“ beteiligt. Er legte einen „Baader-Meinhof-Vorbericht“ vor - das erste wichtige polizeiliche Dokument zum Thema. Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann) spielt jedoch die weitaus größere Rolle im Film von Niki Stein.
 (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Der Kriminaler Alfred Klaus (Heino Ferch, links) war 1971 am Aufbau der „Sonderkommission Terrorismus“ beteiligt. Er legte einen „Baader-Meinhof-Vorbericht“ vor - das erste wichtige polizeiliche Dokument zum Thema. Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann) spielt jedoch die weitaus größere Rolle im Film von Niki Stein. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Unter anderem sieht man Heino Ferch als Kriminaler Alfred Klaus, der 1971 am Aufbau der „Sonderkommission Terrorismus“ beteiligt war. Er legte einen „Baader-Meinhof-Vorbericht“ vor - das erste wichtige polizeiliche Dokument zum Thema. Im Film spielt er eine ebenso kleine Rolle wie „Tatort“-Kommissar Hans-Jochen Wagner, der hier ebenso fiktional dem Staatsapparat dient.

Höchste Sicherheitsvorkehrungen begleiteten ihren Weg: Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) bei der Ankunft in der JVA Stuttgart Stammheim. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Höchste Sicherheitsvorkehrungen begleiteten ihren Weg: Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) bei der Ankunft in der JVA Stuttgart Stammheim. (Bild: SWR/Hendrik Heiden)

Während Justiz und Vollzug neutral, wenn auch leicht genervt dargestellt werden, fällt es schwer, sich den RAF-Insassen irgendwie nahezufühlen. Auch wenn es ein paar wenige Besuchsszenen der Kinder der Terroristen gibt, die auf tragische Weise rühren. Eigentlich - und das gilt vor allem für das Gespann Baader-Ensslin - schaut man hier einem Club von Unsympathen beim Geschichtemachen zu.

Dass sich die Autoren Stein und Aust auf dem bislang besten durch Quellen belegten Authentizitätspfad befinden, wird beteuert. Und es könnte nach Auswerten neuerer Quellen auch durchaus korrekt sein. Das Anschauen des RAF-Klientels in einem filmisch gut gemachten TV-Werk tut trotzdem irgendwie weh. (tsch)