Comedy-Lady Nicole Jäger hat mit uns über ihr neues Buch, das Glücklichsein, ihre Gewichtsreduktion und schlimme Anfeindungen im Alltag gesprochen.
Comedienne Nicole Jäger halbierte ihr Gewicht – und spricht über Hass im Alltag

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Nicole Jäger beim Interviewtermin im Kölner Savoy Hotel. Die Stand-Up-Comedienne halbierte ihr Gewicht von 340 auf 170 Kilo.
Eine der gefragtesten Komikerinnen – und eine der auffälligsten: Nicole Jäger (42), die Frau, die ihr Gewicht halbiert hat. Jetzt wiegt sie 170 Kilogramm. Lange war sie nicht glücklich, fühlte sich ausgebrannt und leer, vermisste sich selbst.
Um ihr Leben zu reparieren, startete sie auf einen Roadtrip zu einem unbestimmten Ziel. Daraus entstanden ihr neuer Bestseller: „Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein“ (Rowohlt, 18 Euro) und das Programm „Walküre“ (13. November in Köln). Mit EXPRESS traf sie sich zum besonderen Gespräch, bei dem es auch um die Frage geht, wie es ist, wenn man anders aussieht als andere.
Nicole Jäger über den alltäglichen Hass – und wie sie ihr Leben änderte
Sie haben schwer abgenommen, sagen aber, dass Sie damit immer noch nicht fertig sind. Was ist jetzt Ihr Traum-Gewicht?
Nicole Jäger: Das gibt es nicht. Bei mir ist das Abnehmen inzwischen wie eine Reise geworden, bei der ich mein Ziel jederzeit ändern kann und mir die End-Zahl egal ist. Wenn ich einen Punkt erreiche, bei dem ich merke, dass er gut für mich ist, weil ich mich da wohlfühle, höre ich auf. Aber der ist noch nicht erreicht.
Was machen die neuen Maße mit Ihnen?
Nicole Jäger: Viele meiner Probleme waren auch nach 100 oder 150 Kilo weniger nicht verschwunden. Denn es war und ist nicht mein Problem, übergewichtig zu sein.
Wie meinen Sie das?
Nicole Jäger: Das ist das Problem der Menschen, die es gern zu meinem Problem machen wollen, weil sie mich aufgrund des Äußeren unterschätzen oder ablehnen. Ich erfahre immer wieder, dass ich in einer Gesellschaft lebe, die sehr großes Interesse daran hat, mich jeden Tag daran zu erinnern.
Geben Sie bitte ein Beispiel …
Nicole Jäger: Ich berichte in meinem Buch über ein Erlebnis in der französischen Stadt Carcassonne. Als ich die berühmte Zitadelle besuchen wollte, bin ich in eine Gruppe von Menschen geraten, die sich sehr bösartig über mich ausließen, verachtend, voller Hass, mit Sätzen wie „Wenn ich aussähe wie die da, wäre ich lieber tot“! oder „Vielleicht haben wir ja Glück, und sie stirbt hier gleich.“ So etwas kommt öfter vor.
Solche Sätze treffen natürlich sehr!
Nicole Jäger: Natürlich trifft mich das. Ich bin sensibel und nicht kugelsicher. Wenn Menschen, die einen nicht kennen, so offen wünschen, dass man stirbt, nur weil man ihnen optisch nicht gefällt, macht das was mit einem. Das sind die Sätze, die früher dazu geführt haben, dass ich mir einen Panzer zugelegt habe, bis ich mich entschied, damit aufzuhören. Ich wusste, das könnte mich umbringen.
Mit dem Problem sind Sie nicht allein …
Nicole Jäger: Stimmt. Mir schreiben viele Menschen, dass sie nicht mehr ins Schwimmbad gehen, sich nicht in ihre Kleider trauen, dass sie wahnsinnig unglücklich mit ihrem Körper sind – und dann verbringen sie ihr Leben damit, sich vor der Meinung anderer, wildfremder Menschen zu verstecken. Und irgendwann sitzen sie in einem Käfig, von dem sie selbst den Schlüssel weggeworfen haben. Ich sage denen: „Lasst das nicht zu, Ihr habt nur das eine Leben!“
Wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie selbst Ihr Leben ändern müssen?
Nicole Jäger: Das war ein längerer Prozess, die Summe einzelner Teile. Ich bin nicht eines Morgens mit dem Gedanken aufgewacht, ich hätte eine gute Idee für mein Leben. Es wäre auch gelogen, wenn ich behauptete, ich gehe heute durchs Leben und mein Körper wäre kein Thema mehr für mich. Natürlich ist er noch ein Thema. Ich mache ihn dazu, weil ich über ihn spreche und wir noch viele Dinge verändern müssen.

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Nicole Jäger und EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher beim Interview in Köln am 10. Mai 2025.
Sie haben mal gesagt, dass Fett Ihr Panzer gewesen sei. Wie meinen Sie das?
Nicole Jäger: Wenn man viel von außen aushalten muss, isst man sich einen Panzer an. Das geht vielen so. Übergewichtige sind nicht zu blöd, um zu verstehen, was ihr Problem ist. Aber es geht häufig nicht anders, und sie essen weiter, weil das Essen für etwas steht. Übergewicht ist keine Krankheit, Übergewicht ist das Symptom. Essen ist die Waffe. Kokser koksen, Alkoholiker trinken, Nymphomaninnen vögeln, ich esse. Man futtert sich ein dickes Fell an – mein Schutzschild. Das wieder abzulegen, erfordert Mut.
Sie haben einst im kleinen Kreis gearbeitet, in einer eigenen Praxis – mit Essgestörten, mit Bulimikern, Magersüchtigen und Menschen mit Esssucht. Jetzt sind Sie eine öffentliche Frau – wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf die Bühne zu gehen und über sich zu erzählen?
Nicole Jäger: Ich hätte meinen Job auch für den Rest meines Lebens weiter gemacht und wundere mich manchmal heute noch darüber, dass es anders kam. Auslöser war die Schnapsidee meines besten Freundes und heutigen Managers, der mich überredete, mehr aus meiner Arbeit zu machen. Und da er Drähte in die TV-Welt hatte, haben wir eines Tages eine Doku für den Sender ZDFinfo gemacht, die so gut lief, dass sie ins ZDF-Hauptprogramm kam.
Kein Problem für Sie – die Kameras, die Öffentlichkeit, dann die Bücher, in denen Sie so offen Auskunft über sich selbst geben?
Nicole Jäger: Komischerweise nicht. Schließlich hatte ich vorher noch nie vor einer Kamera gestanden, noch nie moderiert, noch nie öffentlich über mich gesprochen. Und es ging weiter: Der Rowohlt Verlag fragte, ob ich nicht ein Buch schreiben wolle. Wollte ich erst nicht: „Ich bin eine dicke Frau und soll übers Abnehmen schreiben – da werde ich doch mit Tomaten befeuert!“ Doch der Verlag insistierte, bis ich doch schrieb – und dann war mein erstes Buch „Die Fettlöserin“ über viele Wochen in der Bestenliste.

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Nicole Jäger auf der Bühne als Stand-up-Comedienne. Daneben ist sie auch Buchautorin und Moderatorin.
Und wie kamen Sie auf die Bühne?
Nicole Jäger: Der Verlag wollte eine Lesereise, und da kam wieder mein bester Freund ins Spiel: Das wird doch stinklangweilig. Niemand will eine fette Frau vorlesen sehen – du musst das performen, du bist witzig! So trat ich 2016 mit „Ich darf das, ich bin selber dick“ in Bonn erstmals auf die Bühne. Und die ganze Tournee war ausverkauft! Jetzt sitze ich hier und frage mich immer noch, wie das alles passieren konnte. Ich liebe alles daran, aber ich hätte nicht damit gerechnet und finde es heute noch abgefahren.
Ihr neues Buch heißt „Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein“. Haben Sie dieses Recht auch für sich in Anspruch genommen?
Nicole Jäger: Das gilt bei mir nicht jeden Tag, und nicht immer gleich dolle, aber meistens. Allerdings glaube ich nicht, dass Glücklichsein ein allgemeiner Gesamtzustand sein kann. Immer und immer richtig glücklich zu sein, wäre super anstrengend. Ich lebe jetzt in einem Zustand der Grundzufriedenheit. Ich kenne meine Schwächen, Fehler, Baustellen und weiß, dass es einen Weg der Änderung gibt.
Welche Baustelle haben Sie mit Ihrem Buch geschlossen?
Nicole Jäger: Hauptsächlich die, die in meinem Kopf war. Ich glaubte immer, ich muss erst eine Veränderung schaffen, bevor ich das Recht habe, mein Leben mit Leben zu füllen. Also muss ich erst erfolgreicher sein, muss ich erst abnehmen und anders aussehen, erst dann kann ich beginnen, mir das Leben zu erlauben, das ich wirklich führen möchte. Das ist falsch. Ich weiß seit meiner spontanen Reise ans Mittelmeer, über die ich das Buch geschrieben habe, dass dieser Moment sehr wahrscheinlich nicht kommt. Ich muss damit vorher anfangen. Seitdem bemühe ich mich, mein Leben jetzt schon mit Leben zu füllen.
Nicole Jäger: Nach einem Unfall saß sie ein Jahr lang im Rollstuhl
Nicole Jäger (geboren am 17. Juli 1982 in Hamburg) hatte mit 15 einen Unfall beim Trampolin-Sport, saß danach ein Jahr im Rollstuhl. Erreichte einst ein Höchstgewicht von 340 Kilo, nahm ab und arbeitete als Abnehm-Coach. 2014 drehte sie die ZDF-Doku „Meine Pfunde, Deine Pfunde – Kampf den Kalorien“. 2015 erschien ihr erstes Buch „Die Fettlöserin“, im Januar 2016 stand sie für ihr erstes Programm „Ich darf das, ich bin selber dick“ auf der Bühne.
Lebte über fünf Jahre in einer toxischen Beziehung in Verbindung mit häuslicher Gewalt – berichtet sie im Buch „Unkaputtbar“. 2022 machte sie in der Vox-Show „Showtime Of My Life – Stars gegen den Krebs“ mit – und wollte damit korpulente Frauen zur Krebs-Vorsorge animieren, weil die sich aufgrund negativer Erfahrungen mit Ärzten oft nicht zur Vorsorge trauen.