„Passt mindestens gut in die Zeit“Moderator Jörg Thadeusz über seine Kritik an Jan Böhmermann

Moderator Jörg Thadeusz

Ganz entspannt: Moderator Jörg Thadeusz (hier eine undatierte Aufnahme) zählt zu den gefragtesten Fragern Deutschlands.

Moderator Jörg Thadeusz hat im großen EXPRESS.de-Talk über sein neues Buch, den Rummel um Jan Böhmermann und darüber, warum er beim Abschied aus Köln heulte, gesprochen.

von Horst Stellmacher (sm)

Er ist der kluge Mann für viele Fälle: Hier im Westen fällt Jörg Thadeusz (54) durch seine regelmäßigen, spannenden Radio-Talks bei WDR 2 auf, in denen er nicht nur spricht, sondern auch zuhört. Dort im Osten beim rbb moderiert er TV-Polit-Sendungen, die seinen Namen tragen. Mit WDR-Kollegin Katharina te Uhle (45) betreibt er einen Koch-Podcast.

Und er ist gerade mit seinem hochgelobten Roman „Steinhammer“ (KiWi-Verlag, 20,95 Euro) in den Bestsellerlisten. In „Steinhammer“ beschreibt er das Leben des Künstlers (und seines Verwandten) Norbert Tadeusz (1940 – 2011) und das Lebensgefühl im Ruhrpott der 50er Jahre. Viele Gründe für ein langes Interview.

Jörg Thadeusz über seine größten beruflichen Überraschungen, das Ruhrgebiet und die Interview-Kultur

An „Steinhammer“ lobt man auch, dass Sie Zeit und Zeitgeist der 50er gut getroffen haben …

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Jörg Thadeusz: ... und da bin ich sehr froh, dass das alles stimmt. Ich habe das auch schon anders erlebt, damals, als ich ein Buch über einen Piloten mit Flugangst geschrieben hatte. Nach der Veröffentlichung habe ich von einem richtigen Piloten erfahren, dass bei meiner Schilderung des Starts einer Verkehrsmaschine vieles falsch war. War mir total peinlich.

Sie schreiben über den Künstler Norbert Tadeusz, einen Cousin Ihres Vaters. Welche Rolle spielte er für Sie, als Sie jung waren?

Jörg Thadeusz: Er hat meinen Bruder und mich immer interessiert. Wir hatten Angst, ihn anzurufen, weil wir keine Ahnung von Bildender Kunst hatten und dachten, wir könnten uns nur blamieren. Aus heutiger Sicht weiß ich, wie doof wir waren.

Er wurde später Meisterschüler von Joseph Beuys. War seine Kunst Familien-Thema?

Jörg Thadeusz: Nee. Im Ruhrgebiet bestimmten Klischees das Leben. Es hieß: Ein Künstler ist abgehoben, verdient kein Geld, glaubt aber, er sei was Besseres. In Dortmund war ein Maler ein Mann, der die Wände anstreicht. Künstler gab es nur woanders – in Hamburg, Berlin oder Düsseldorf.

Horst Stellmacher (Sonntag-EXPRESS) und Jörg Thadeusz am 15. Juni 2023 in Köln

Talker unter sich: Jörg Thadeusz und EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher im Juni 2023 beim Gespräch in Köln.

Seit 30 Jahren arbeiten Sie auch für den WDR, haben seither viele Menschen befragt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Jörg Thadeusz: Hans-Dietrich Genscher. Ich hatte als junger Mensch irrigerweise gedacht, er sei ein Kumpel meines Opas und deswegen einen besonderen Narren an ihm gefressen. Als er im Studio merkte, dass ich mich auch dank Opa leidenschaftlich für ihn und seine Arbeit interessierte, wurde es ein tolles Gespräch. Ich erinnere mich auch gern an Gespräche mit SPD-Mann Peter Struck, sogar an das mit Sahra Wagenknecht, der ich allerdings heute sehr übelnehme, wie sie sich gebärdet und wie empathielos sie gegenüber den Menschen in der Ukraine ist.

Die größte Überraschung?

Jörg Thadeusz: Ein Gespräch mit Wolfgang Schäuble, vor dem ich Riesenbammel hatte, denn er galt als unbarmherziger Interviewpartner. Weil er als Innenminister Deutschland im Fadenkreuz des Terrorismus sah, sollte Angst unser Thema werden. Ich war erst gegen den Wunsch der Redaktion, den Film über das Attentat auf ihn zu zeigen, ich dachte, er habe den schon 1000 Mal gesehen. Doch während des Filmes raunte er mir zu: „Das sehe ich jetzt zum ersten Mal!“ – und von da ab hatten wir eine ungewöhnlich gute Gesprächstemperatur.

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Gab es auch Gegenbeispiele – also viel erwartet, fast nichts zurückgekommen?

Jörg Thadeusz: Ich halte immer für möglich und nachvollziehbar, dass mich mancher oder manche schlicht nicht leiden kann. Eine Schauspielerin, die ich sehr verehre, fragte ich übermütig, ob ich sie mit Muckelchen ansprechen dürfe. Da hat hinterher ihr Agent behauptet, ich hätte sie sexistisch diskriminiert. Das war mir ein bisschen dicke. Aber stolz konnte ich auf mich auch nicht wirklich sein.

Wie hat sich die Interview-Kultur geändert?

Jörg Thadeusz: Was ich wirklich unappetitlich finde, ist der Mangel an Respekt vor richtigem Wissen. Heute kann jeder überall seinen Senf dazugeben und wird dann noch von entsprechenden Leuten ernst genommen. Schrecklich!

Jörg Thadeusz spricht über seine Kritik an Jan Böhmermann

Sie gelten als einer der besten Fragensteller des Landes. Zufrieden mit dieser Lebens-Zwischenbilanz?

Jörg Thadeusz: Ja klar. Ich bin einverstanden mit meinem Lebensalter, ich finde es gerechtfertigt, dass ich Leuten Fragen stelle. Ich kann im Radio und Fernsehen sehr befreit sein. Ich denke auch nicht, dass ich ein weiterer gehässiger Medienlümmel sein muss, der sich für seine angebliche Furchtlosigkeit selbst auf die Schulter klopft. Ich vertraue darauf, dass es Menschen mögen, wenn sich andere gut unterhalten.

Spätestens seit Ihrer Attacke gegen Jan Böhmermann, der in seiner ZDF-Sendung Dieter Nuhr kritisiert hat, wissen wir, wen Sie mit „gehässigem Lümmel“ meinen. Warum so kritisch?

Jörg Thadeusz: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hören wir Kommentare, in denen kritisiert wird, wie hässlich wir Menschen miteinander umgehen. Das ist auch in Ordnung. Aber man sollte dann auch Zivilität demonstrieren und den Zuschauern nicht raten, jemandem die Fresse zu polieren, wie das Jan Böhmermann für Dieter Nuhr empfohlen hat. Das kann man privat machen, wenn man will. Aber im Fernsehen oder im Radio ist mir Aufmerksamkeit anvertraut und dieses Vertrauen sollte ich nicht enttäuschen. Aber Jan Böhmermann hat sehr viel mehr Fans als ich. Er passt also mindestens gut in die Zeit.

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Lassen Sie uns zum Schluss bitte privat werden: Sie sind im Ruhrgebiet geboren, leben und arbeiten im Rheinland und Berlin. Wo ist Ihre Herzens-Heimat?

Jörg Thadeusz: Keine Frage, Dortmund ist das Gravitationszentrum, das ist immer noch stark in mir. Von Dortmund kam ich nach Köln, und dann habe ich die Stadt 2001 aus sehr privaten Gründen verlassen und bin nach Berlin weitergezogen. Ich erinnere mich daran wie heute: Ich saß in meinem alten, aufgedonnerten Porno-Mercedes, den meine Freunde nur „Hotte“ nannten, hörte im Radio die Höhner mit „Dat Hätz vun der Welt jo dat is Kölle“ und heulte vor mich hin.

Ist das Gefühl geblieben?

Jörg Thadeusz: Ja. Immer, wenn ich am Bahnhof aussteige, fällt vieles von mir ab und ich denke nur: „Nä, nä, wat is dat schön!“ Das soll nicht Berlin schlechtmachen, aber Berlin kann manches nicht, was nur das Rheinland kann. Hier plumpst man immer noch mit einer Arschbombe ins Leben und denkt: „Ganz so schlimm is et nit. Et hätt noch immer jot jejange!“ Ein sehr schönes Motto in heutigen Zeiten.

TV-Moderator Jörg Thadeusz und seine Frau Anna Engelke im November 2008 in Berlin

Jörg Thadeusz 2008 mit seiner Ehefrau, der Journalistin Anna Engelke.

Jörg Thadeusz: Vom Ruhrpott-Kind zum gefragten Frager

Jörg Thadeusz wurde am 10. August 1968 in Dortmund als Sohn eines Elektrikers und einer Friseurin geboren. Sein Vater war ein Cousin des Malers Norbert Tadeusz (1940 – 2011, Meisterschüler bei Joseph Beuys), dessen Jugendjahre er in „Steinhammer“ beschreibt. Zivildienst bei der Johanniter-Unfallhilfe, Studium in Bochum (Geschichte, Neuere Geschichte, Politik). 1991 Start als Radio-Reporter und Moderator, u. a. bei 1Live. Seit 1999 im TV. Er war „Zimmer frei“-Außenreporter und moderiert seit 2013 „Thadeusz und die Beobachter“ im rbb-TV.

Seit 2017 tägliche Radio-Talkshow bei WDR2 (zwischen 19 und 20 Uhr). Mit WDR-Moderatorin Katharina te Uhle (42) hat er den Podcast „Hoffentlich schmeckts“. Er ist mit der Journalistin Anna Engelke (54) verheiratet (die von 2017 bis 2022 Sprecherin von Bundespräsident Steinmeier war). Die beiden wohnen in Berlin.