Religion spielt in vielen TV-Krimis eine wichtige Rolle. Doch nur selten färbt die Spiritualität des Drehbuchs auch auf die Darsteller ab. Mit „Die Tote vom Jakobsweg“ (ARD) öffneten sich für Hauptdarsteller Michael Epp ganz neue Türen, wie er im Interview erzählt.
„Ich bin überzeugt, dass es da draußen etwas gibt“So denkt Michael Epp über Glaube und Spiritualität

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Michael Epp (41) spielte schon in oscarnominierten Werken wie „The Brutalist“. Nun verkörpert er im ARD-Krimi „Die Tote vom Jakobsweg“ einen ehrgeizigen Kommissar. (Bild: Puria Safary)
Längst gehen viele Menschen den berühmten Jakobsweg nicht mehr nur aus religiösen Gründen. Es geht darum, dem hektischen Alltag zu entfliehen und in der Natur neue Kraft zu schöpfen. Ähnliche Motive bewegen auch den international erfolgreichen Schauspieler Michael Epp, Pilger-Pläne zu schmieden. Denn seine Rolle im neuen ARD-Krimi „Die Tote vom Jakobsweg“ (Donnerstag, 22. Mai, 20.15 Uhr, ab 20. Mai in der Mediathek) sowie die Dreharbeiten in Galicien haben auf ihn abgefärbt, wie er im Interview sichtlich bewegt erzählt. Der 41-Jährige verkörpert einen Ermittler, der nicht nur einem Mordfall nachgeht, sondern auch sich selbst sucht. Als Hauptkommissar David Acosta landet er in Santiago de Compostela - an einem Ort, der für Millionen Pilger spirituelle Bedeutung hat. Anlässlich der Filmpremiere spricht der deutsch-britische Schauspieler über seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Glaube. Und er macht deutlich, weshalb er trotz großer internationaler Projekte (“Der Brutalist“, „Spencer“) die Arbeit am deutschen Filmset besonders schätzt.
teleschau: In Ihrem neuen Film spielt der Jakobsweg eine zentrale Rolle: Könnten Sie sich vorstellen, selbst zu pilgern?
Michael Epp: Auf jeden Fall. Um ehrlich zu sein, träumte ich schon vor den Dreharbeiten davon. Der Gedanke geistert schon seit 15 Jahren in meinem Kopf herum - auch weil einige Familienmitglieder den Weg schon gegangen sind. Jetzt, wo ich noch mehr darüber weiß, bin ich fest entschlossen. Es gibt so viele verschiedene Gründe, warum sich Menschen dieser Herausforderung stellen - in dem einen oder anderen habe ich mich wiedererkannt. Vielleicht muss ich auch einmal einen Stein umdrehen, der schon lange am Wegesrand liegt, um zu sehen, was sich darunter verbirgt.
teleschau: Ganz alleine?
Epp: Nicht unbedingt. Während der Dreharbeiten sind wir am Set zu einer wunderbaren Gemeinschaft zusammengewachsen. Und viele von uns haben spontan beschlossen - wenn aus dem Film im glücklichen Fall eine Reihe werden sollte - ein oder zwei Wochen vor Drehbeginn aufzubrechen und als Team quasi einen Teil des Jakobsweges zum Set zu laufen. Viele von uns konnten sich dieser Energie einfach nicht entziehen.
„Ich schlage mich mit meinen Vaterinstinkten ganz gut“

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Im neuen Donnerstags-Krimi im Ersten überzeugt Michael Epp als Hauptkommissar David Acosta. (Bild: ARD Degeto Film/La Diapo Fotografía)
teleschau: Wenn Sie könnten: Mit welcher Figur, die Sie jemals gespielt haben, würden Sie gerne einmal auf Wanderschaft gehen?
Epp: In dem Film „The Chronology of Water“, der in diesem Jahr in die Kinos kommt und mit dem Kristen Stewart ihr Regiedebüt gibt, spiele ich eine der Hauptrollen. Es geht um eine Vater-Tochter-Beziehung. Der Charakter, den ich spiele, ist leider kein ganz so guter Vater. Ich würde also gerne mit dieser Figur auf Wanderschaft gehen, um einen neuen Zugang zu dem Ganzen zu finden und so die Beziehung zu meinem eigenen Vater wieder aufleben zu lassen. Ich könnte dieser Figur die richtigen Fragen stellen.
teleschau: Die da wären?
Epp: Ich habe eine achtjährige Tochter. Zu wissen, dass meine Partnerin und ich ein so wunderbares kleines Wesen geschaffen haben, ist das Schönste. Viele Fragen des Vaterseins würde ich aber am liebsten mit dieser Filmfigur besprechen: Was bedeutet es, Vater zu sein? Was gebe ich weiter? Wir lassen unsere Kinder mehr und mehr los, verlieren Kontrolle, während sie ihre eigene Persönlichkeit und ihren Humor entwickeln - ihr Glück liegt nicht immer in unserer Hand. Das ist beängstigend, aber auch schön. Die meisten Entscheidungen treffe ich aus dem Bauch heraus. Natürlich frage ich mich oft, ob das richtig ist - aber ich denke, ich schlage mich mit meinen Vaterinstinkten im familiären Umfeld ganz gut.
„Ich bin auf der Suche“

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Worin sich internationale Filmsets und deutsche Produktionen unterscheiden, erzählt Michael Epp im Interview. (Bild: 2023 Getty Images/Hannes Magerstaedt)
teleschau: Es scheint, als seien Sie obendrein sehr gläubig ...
Epp: Sagen wir, ich bin auf der Suche. Ich finde, dass es in der Welt, in der wir leben, immer schwieriger wird, an irgendetwas zu glauben, weil es so viele Einflüsse gibt. Aber ich bin überzeugt, dass es da draußen etwas gibt. Ich habe es nur noch nicht für mich entdeckt. Vielleicht kann mir der Jakobsweg die Antworten geben.
teleschau: Inwiefern beeinflusste die Arbeit an dem Film Ihre Sicht auf den Glauben?
Epp: Vor allem die Pilger und Pilgerinnen, die mir täglich in den Gassen in Santiago begegnet sind, ließen mich Teil von etwas Größerem werden. Ob ich es nun Spiritualität oder Religionsnähe nenne - ich bin einfach nur sehr glücklich darüber, dass Menschen die Kraft haben, etwas Neues anzufangen, ein altes Kapitel zu beenden oder den Jakobsweg für jemand Verstorbenen zu laufen. Das ist inspirierend und macht mich glücklich. Diese Energie und Liebe - ich unterschätzte das gewaltig - ging in meine tägliche Arbeit über. Das war für mich ein Denkanstoß, mein Leben wie es ist, nicht für selbstverständlich zu nehmen.
teleschau: Was hat Sie besonders berührt?
Epp: Wir haben vor der Kathedrale von Santiago gedreht, auf einem größeren Set. Es war eine der letzten Szenen des Films. Wir hatten viele Statisten und Schauspieler versammelt, aber wir konnten nicht den ganzen Platz absperren. Plötzlich tauchte eine Pilgerin auf, fiel vor der Kathedrale auf die Knie und begann furchtbar zu weinen. Aber es waren keine Tränen der Trauer. Jeder spürte, dass sie etwas loslassen konnte. Wir traten alle zurück, um ihr den Raum zu geben, den sie brauchte. Ein kurzer Drehstopp war eine Frage des Respekts.

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Kommissar David Acosta (Michael Epp) und seine Kollegin Mercédes Navarro (Mercedes Müller) sind ein gutes Team, wenn es um die Ermittlungen in einem Mordfall geht. (Bild: ARD Degeto Film/La Diapo Fotografía)
teleschau: Es muss eine ergreifende Atmosphäre gewesen sein ...
Epp: Ja, es ist unglaublich, wie viele Pilgerinnen und Pilger zu jeder Zeit durch die Gassen strömen. Am Anfang war ich eher zurückhaltend, aber in Santiago sind die meisten Menschen sehr offen. Ich erlebte einen ständigen Austausch von Geschichten, auch wenn es nur beim Kaffeeholen war. Es spielte keine Rolle, dass ich ein Schauspieler bin. Der Umgang ist sehr unvoreingenommen, ehrlich, fröhlich und auf Augenhöhe, das habe ich so noch nicht erlebt. Es ist zu viel gesagt, dass ich ein Teil dieser Pilgerreise geworden bin, aber die Energie hat auf mich und meine Arbeit abgefärbt.
Das Handy mal aus der Hand ...
teleschau: Sind Sie der Meinung, dass wir in der heutigen Zeit vielleicht nicht mehr genügend Raum haben, um derart spirituelle Erfahrungen zu machen?
Epp: Einerseits ja, andererseits suchen viele Menschen Spiritualität als Antwort auf turbulente Zeiten. Wir leben in einer Zeit, in der uns beigebracht wird, ständig auf der Überholspur zu sein, um nichts zu verpassen. Jeder muss für sich einen Weg finden, durchzuatmen und sich eine Auszeit vom Alltag, von Social Media oder der Arbeit zu nehmen. Es ist schon ein Anfang, das Handy mal bewusst aus der Hand zu legen. So banal es klingt, aber wie viele Menschen geben zu, dass sie handysüchtig sind? Als wäre es überlebenswichtig, zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar zu sein oder jede Minute zu wissen, was in der Welt passiert.
teleschau: Sie sind also die Ausnahme von der Regel?

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Kommissarin Mercédes Navarro (Mercedes Müller), Hauptkommissar David Acosta (Michael Epp) und Kommissar Adrían Martinéz (Dirk Borchardt) ermitteln gemeinsam in Galicien. (Bild: ARD Degeto Film/La Diapo Fotografía)
Epp: Nein, nicht unbedingt. Ich habe mir sehr strenge Regeln auferlegt, als ich merkte, dass ich mich nicht mehr so richtig auf Bücher einlassen konnte. Das war wirklich ganz klassisch: Eine ganze Seite lesen und umblättern, ohne zwischendurch fünfmal woanders hinzuschauen? Unmöglich. Als das nicht mehr ging, habe ich mir ein altes Klapphandy gekauft, um telefonisch erreichbar zu bleiben - auch für meine Familie -, aber um mich vom Internet abzugrenzen.
teleschau: Ein Schauspielstar, der bereits mit Größen wie Kristen Stewart oder Natalie Portman gearbeitet hat - ohne Smartphone?
Epp: (Schmunzelt). Ja, so konnte ich mich nicht nur wieder besser auf Bücher einlassen, sondern auch auf menschliche Interaktion. Ich wurde nicht mehr ständig in diese Parallelwelt hineingezogen. So konnte ich den Moment mehr genießen. Ohne politisch zu werden: Wenn das jeder machen würde, wäre die Welt ein bisschen besser.
„Ich kann mir nicht die Rosinen rauspicken“
teleschau: Wie sind Sie nach all diesen internationalen Projekten wieder zum Krimi hierzulande gekommen?
Epp: In den letzten vier, fünf Jahren arbeitete ich vor allem international und durfte sehr spannende Sachen machen. Dies gipfelte mit dem für zehn Goldjungen nominierten Film „The Brutalist“ bei der diesjährigen Oscar-Verleihung. Aber ich fand den deutschen Markt schon immer sehr spannend. Auch weil meine Familie in Berlin lebt. Als dieses Projekt aufkam, sagte mir das Produktionsstudio, dass es vor allem darum ginge, das klassische Krimi-Genre neu zu interpretieren.

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In „Die Tote vom Jakobsweg“ geht es um den Mord an einer Mitarbeiterin des Pilgerbüros von Santiago de Compostela. Michael Epp selbst kann sich vorstellen, auf Pilgerreise zu gehen. (Bild: 2023 Getty Images/Sebastian Reuter)
teleschau: Wie das?
Epp: Christian Huck, der Kameramann, und der Regisseur Adolfo J. Kolmerer, der zuletzt die erfolgreiche Mystery-Thriller-Serie „Oderbruch“ inszenierte, sind - wie ich finde - eines der spannendsten Duos aktuell in Deutschland. Sie schaffen es, viele verschiedene Zutaten, Altes und Neues stimmig zu inszenieren, mit einer tollen Erzählstruktur.
teleschau: Können Sie sich mittlerweile Ihre Rollen aussuchen?
Epp: Nein, nicht unbedingt. Ich bin froh, wenn mich jemand für ein tolles Projekt vorschlägt - ich kann mir nicht die Rosinen rauspicken. Solange ich ehrlich arbeite, ist es legitim, auch ein Projekt anzunehmen, das die Rechnung bezahlt. Ich hoffe, „Die Tote vom Jakobsweg“ geht weiter. Dieser Film muss sich auf dem Markt keinesfalls verstecken. Ja, ich drehte bereits mit Größen wie Natalie Portman und Kristen Stewart - trotzdem war der Galicien-Krimi mein absolutes Highlight letztes Jahr. Es war mehr als nur ein Job. Die Macher schufen eine familiäre Atmosphäre, aus der ein Freundeskreis entstand. Ein gutes Drehbuch und ehrliche Motivation sind mir wichtiger als ein Millionenbudget oder ein Oscar im Regal derer, mit denen ich arbeite.
„Auch Weltstars sind zugänglich“
teleschau: Sie lassen sich scheinbar nicht vom Glamour Hollywoods blenden. Vielleicht wegen der Starallüren berühmter Kollegen?

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Michael Epp ist Vater einer achtjährigen Tochter. Über die großen Fragen des Vaterseins würde er gerne auf einer Pilgerreise nachdenken. (Bild: 2023 Getty Images/Gerald Matzka)
Epp: Nein, damit habe ich noch keine Erfahrung gemacht. Ich würde sogar sagen, dass es im internationalen Bereich eher weniger vorkommt. Das liegt vielleicht auch daran, dass gerade die Leute, von denen man Starallüren erwartet, von fünf Assistenten umgeben sind, ihnen jedes Problem sofort abgenommen wird, bevor es überhaupt auftaucht und sie dadurch tiefenentspannt sind. Die Hollywoodstars, die ich bisher kennenlernen durfte, waren wirklich extrem hilfsbereit. Natalie war wirklich die netteste Kollegin. Da habe ich ganz vergessen, dass sie ein Weltstar mit mehreren Oscars auf dem Kaminsims ist.
teleschau: Wirkt sich die Tatsache, mit Weltstars zu spielen, wirklich nicht auf Ihr Spiel oder Ihre Nervosität aus?
Epp: Nein, überhaupt nicht. Auch Weltstars wie Natalie sind zugänglich. Sie hat sogar mal gesagt, dass ein Satz von ihr besser zu meiner Rolle passt. Das sind dann die Momente, in denen das Klischee, dass Schauspieler nichts hergeben wollen, nicht stimmt. Je berühmter man ist, desto schneller geht es am Set wirklich nur noch um den Job. Was aber komisch war - für weniger berühmte Leute wie mich - als Natalie oder Guy Ritchie einfach auf mich zukamen und sich vorstellten. Ich dachte nur: „Ja, ich weiß, wer du bist. Du machst seit 20 Jahren großartige Filme. Ich bin doch der No-Name hier.“ Mit Guy bin ich schließlich um die ganze Welt gereist. Wir wurden eine wunderbare Filmfamilie und Guy Ritchie hat oft für uns gekocht. Das war wirklich lustig.
teleschau: Für viele unvorstellbar.
Epp: Ich bin davon überzeugt, dass die Außendarstellung solcher Prominenter wie eine Maske ist. Sie spielen eine Rolle für ihre Fans. Wenn sie die Maske abnehmen, sitzen wir am selben Tisch, trinken aus denselben Gläsern und gehen auf dieselbe Toilette.
Beim Wein mit George Clooney
teleschau: Hatten Sie - als Fan - wirklich nie einen klassischen Fan-Moment?
Epp: Gut, einmal war ich zugegebenermaßen sehr aufgeregt. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich habe einen sehr guten Freund, der auch mit George Clooney befreundet ist. Einmal sind wir alle zusammen essen gegangen. Oh, mein Gott. In Italien. Mit wunderbarem Wein natürlich. Es war eine unglaubliche Atmosphäre. Nach dem Essen und der Verabschiedung musste ich alleine in eine Bar gehen und noch einen Absacker trinken, um alles zu verarbeiten. Ich musste sogar erst mal laut schreien, weil die Situation so absurd war (lacht). Vielleicht lag es daran, dass es privat war und nicht auf der Arbeit. Herr Clooney ist eine Legende - Ich wusste nicht, wie mir geschah.
teleschau: Wie kommt es, dass wir Deutschen nicht nur George Clooney so sehr lieben, sondern gerade auch das Format des Krimis?
Epp: Ich glaube, dass es uns auch ein Stück weit antrainiert wurde, das zu mögen. Man weiß bei diesem Format einfach, was man bekommt - und genau das macht seinen Reiz aus. Es bietet seit Jahren kontinuierlich Spiel, Spaß und Spannung zugleich. Der Ablauf ist vertraut: Es geschieht ein Mord, der Fall wird gelöst, und dann geht es weiter. Diese Verlässlichkeit unterscheidet es von anderen Formaten, etwa aus dem Bereich der Komödie, die oft nicht das gleiche Qualitätsniveau halten konnten. Für viele ist es daher wie ein Überraschungsei für Erwachsene - eine berechenbare Auszeit vom Alltag, die man nicht mehr missen möchte.
teleschau: Sie sind viel unterwegs, leben aber in Berlin - warum nicht London, wo Sie doch zwei Staatsbürgerschaften haben?
Epp: In den vergangenen Jahren verbrachte ich viel Zeit in Großbritannien - unter anderem wegen Dreharbeiten für „Jack Ryan“, eine Marvel-Serie sowie einen Film mit Jason Statham. London war daher durchaus ein Thema für einen möglichen Wohnortwechsel. Letztlich ist Berlin aber nicht nur günstiger als London, trotz steigender Lebenshaltungskosten, sondern bietet auch eine besondere Lebensqualität: Es wirkt oft wie ein großes Dorf, ohne die typische Hektik anderer Metropolen wie New York oder London. Für mich ist Berlin deshalb der beste Kompromiss aus all den Städten, in denen ich bisher gelebt habe. (tsch)