Kanzler sorgte für große WutWichtige Wahl könnte für Scholz jetzt richtig unbequem werden

Olaf Scholz bei einer Bundeswehrtagung am 10. November 2023.

Olaf Scholz hat mit seinen Äußerungen zu den geplanten Abschiebungen für viel Kritik gesorgt. Auch aus der eigenen Partei lösten seine Forderungen viel Unmut aus. Hier sieht man den Bundeskanzler bei einer Bundeswehrtagung am 10. November 2023.

Unter Kevin Kühnert galten die Jusos als Krawalltruppe. Doch zuletzt wurde es still um den SPD-Nachwuchs. Nun wird ein neuer Vorsitz gewählt. Für Kanzler Scholz könnte es unbequem werden.

In den vergangenen Jahren ist es ruhig geworden um die Jusos. Das hat sich vor wenigen Wochen geändert. Da fanden sie deutliche Worte – und die richteten sich ausgerechnet an ihren Genossen Bundeskanzler Olaf Scholz (65).

Dieser hatte im „Spiegel“ Abschiebungen „im großen Stil“ in Aussicht gestellt. Die Jusos waren erzürnt: „Eine Forderung direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“, postete die SPD-Jugend auf X, vormals Twitter. „Ich könnte kotzen bei diesem Zitat“, schrieb Juso-Vize Philipp Türmer (27).

Jusos fahren scharfen Kurs gegen Olaf Scholz

Zum ersten Mal seit Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt wurde, gehen die Jusos, und damit überhaupt Teile der SPD, den Kanzler so laut an. Kann dieses neue Selbstverständnis zwei Jahre vor der Bundestagswahl ein Problem für Scholz werden – ähnlich wie es der frühere Juso-Chef Kevin Kühnert (34) mit seiner „No GroKo“-Kampagne einst war?

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Die Kandidatinnen und Kandidaten für den Juso-Vorsitz, der an diesem Freitag in Braunschweig gewählt wird, sprechen dafür. Sarah Mohamed (31) aus Nordrhein-Westfalen und Philipp Türmer aus Hessen scheuen keine Kritik am Kanzler.

In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe kündigten sie einen scharfen Kurs gegen Scholz an. Die Jusos müssten die SPD und den Kanzler vorantreiben, sagte Mohamed. Türmer betonte: „Ich halte es für dringend notwendig, dass wir Jusos den Kanzler und seine Linie ab sofort deutlich kritischer begleiten.“

„Laut, kritisch und links“

Mohamed und Türmer seien „laut, kritisch und links“, sagt Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze der Deutschen Presse-Agentur. Heinze ist Sprecherin des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) und Akademische Rätin an der Universität Trier.

Inhaltlich verfolgten beide dasselbe Ziel: Die Jusos als klar linkes Korrektiv in der SPD zu positionieren. „Was sie unterscheidet, ist der Weg dahin“, meint Heinze.

Mohamed fordert die Jusos auf, wieder mehr auf die Straße zu gehen. Sie sollten sich stärker mit Gewerkschaften, Klimabewegung, antirassistischen und feministischen Gruppen vernetzen. Der „taz“ sagte sie in einem Interview: „Ich scheue auf jeden Fall die Konfrontation nicht.“

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Türmer, ein Juso-Urgestein, will die Verteilungsfrage stellen. Dafür brauche es eigenständige Jusos, die mehr Konflikt mit der Partei suchten, meint er. „Wenn ich den Eindruck habe, dass der Kanzler keine sozialdemokratische Politik macht, dann werde ich mich auch hart von ihm abgrenzen.“

Das ist ein ganz anderer Kurs als der von Jessica Rosenthal (31), der bisherigen Juso-Chefin. Sie stand für einen deutlich ruhigeren Führungsstil als etwa ihr Vorgänger Kühnert. 2021 zog Rosenthal in den Bundestag ein, führte die Jugendorganisation aber weiter. „In einer solchen Konstellation ist es viel schwieriger Kritik zu äußern als ohne Mandat“, sagt Heinze.

Es gibt Leute in der SPD, die sagen, Kühnerts Fußstapfen seien zu groß gewesen. Unter Rosenthal habe eine klare Linie gefehlt. Sie habe die Chance verpasst, die „49ers“ im Bundestag zu organisieren. 49 der 206 SPD-Abgeordneten waren zum Zeitpunkt der Bundestagswahl unter 35 Jahren alt – also Jusos. Doch der Effekt der jungen Wilden verpuffte, die vermeintlich linke Revolution im Parlament blieb am Ende aus.

„Wir wollen mitentscheiden“

Rosenthal zieht sich als Juso-Vorsitzende zurück, weil sie ein Kind erwartet. Mit ihrer Leistung an der Spitze der SPD-Jugendorganisation ist sie zufrieden: „Wir haben deutlich gemacht: Es reicht uns nicht, dass andere über unsere Zukunft entscheiden. Wir wollen mitentscheiden“, sagt sie.

Forderungen der Jusos hätten sich auch im Koalitionsvertrag wiedergefunden: die Abschaffung des Paragrafen 219a, die Cannabis-Legalisierung, die Einführung des Bürgergelds oder die Ausbildungsplatzgarantie.

Nun aber stehen die Jungsozialistinnen und -sozialisten nicht nur vor einem Führungswechsel, sondern auch vor einem Richtungswechsel. „Ich gehe davon aus, dass von den Jusos wieder mehr Krawall kommen wird, spätestens auf dem Parteitag im Dezember“, sagt Heinze.

Die größten Streitpunkte dürften die Migrations- und Asylpolitik sowie der Umgang mit den starken Umfragewerten der AfD sein. „Dass die Jusos mit der Forderung des Bundeskanzlers nach mehr Abschiebungen nicht einverstanden sind, haben sie ja bereits deutlich gemacht.“ In den Programmen von Jusos und SPD gebe es deutliche Unterschiede – so dass Reibereien zwischen Jugend und Mutterpartei abzusehen seien.

Bundeskanzler Olaf Scholz äußert sich zu dieser Konfrontation vorerst nicht. Zum zweiten Mal in Folge ist er nicht beim Juso-Bundeskongress anwesend – die Einladung nach Braunschweig hat der Kanzler, der selbst eine Juso-Vergangenheit hat, aus terminlichen Gründen ausgeschlagen. Dass er nicht kommt, spreche ebenfalls „für die konflikthafte Beziehung zwischen Jusos und SPD“, sagt Wissenschaftlerin Heinze.

Viele Jusos sind aufgebracht. Doch Scholz werde den neuen Wind schon spüren, meint Türmer. Er sei sich sicher, „dass die Botschaften und Forderungen der Jusos von diesem Kongress so laut sein werden, dass er sie – egal wo er gerade ist – wahrnehmen wird“. (dpa, da)