Krieg in der UkraineWie konnte es dazu kommen? Warum greift Putin eigentlich das Nachbarland an?

Warum greift Russland die Ukraine an? Menschen laufen am 1. März vor Kiew an völlig zerstörten Militärfahrzeugen vorbei. Seit fast einer Woche herrscht Krieg in der Ukraine. Warum eigentlich?

Warum greift Russland die Ukraine an? Menschen laufen am 1. März 2022 vor Kiew an völlig zerstörten Militärfahrzeugen vorbei. Seit fast einer Woche herrscht Krieg in der Ukraine. Warum eigentlich?

Warum greift Russland die Ukraine an? In Europa herrscht Krieg, in der Ukraine werden Menschen getötet, Hunderttausende fliehen. Wie konnte es nur dazu kommen? Warum greift Putin das Nachbarland an? EXPRESS gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

von Martin Gätke (mg)

Am vergangenen Donnerstag überfällt Russland die Ukraine – zum ersten Mal seit Jahrzehnten überfällt ein Land ein anderes. In Europa herrscht Krieg, Menschen sterben, Menschen fliehen, es wird Blut vergossen. Der 24. Februar markiert eine Zeitenwende: Russische Soldaten und Panzer rollen über die Grenze des Landes, nachdem er zwei Gebiete zu unabhängigen Staaten erklärt hatte.

Doch wie kam es eigentlich zu diesem furchtbaren Krieg? Warum greift Russland die Ukraine an? Warum macht Putin das? EXPRESS gibt die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine schwelt nicht erst seit vergangener Woche. Er ist bereits viele Jahre alt.

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Warum greift Russland die Ukraine an?

Rückblick: Als 1991 die UdSSR zerfiel, wurde die Ukraine (wieder) unabhängig – verblieb aber zunächst im Einflussbereich von Russland.

Das Land war seitdem gespalten: zwischen einem eher prorussischen Osten/Süden und einem eher proeuropäischen Westen/Norden. Das zeigten auch die Wahlen im Jahr 2004: Nachdem der von Russland unterstützte Viktor Janukowitsch Präsident geworden war, strömten zahlreiche Demonstranten auf den Maidan in Kiew. Sie bezichtigten die Gegenseite der Wahlfälschung. Es kam zu einer mehrwöchigen friedlichen Revolution – die „Orange Revolution“. Eine halbe Million Menschen kamen im Zentrum der Hauptstadt zusammen, um gegen den Wahlbetrug zu protestieren.

Mit Erfolg: Die Stichwahl wurde wiederholt, diesmal gewann Juschtschenko, der die Ukraine an die Europäische Union und den Westen annähern wollte.

Russland aber empfand das als Bedrohung seiner Einflusssphäre. Einige ehemalige Staaten der UdSSR und des Warschauer Paktes – wie etwa die baltischen Staaten – wurden in die Nato aufgenommen. Und die Ukraine stellte ein wichtiger Vorposten für die USA dar, um Putin weiterhin Paroli zu bieten.

Ukraine: Spannungen zwischen Ost und West

Auch die EU baute gleichzeitig ihre Beziehung aus, bot einigen ehemaligen Staaten der UdSSR eine Partnerschaft an – auch der Ukraine. Russland wiederum erhöhte ebenfalls den Druck auf das Land, vor allem wirtschaftlich.

Die Ukraine war hin- und hergerissen zwischen Ost und West.

Diese Spannungen wurden auch 2010 sichtbar, als die Ukrainer Janukowitsch zum (prorussischen) Präsidenten wählten. Drei Jahre später verweigerte er seine Unterschrift unter ein sogenanntes EU-Assoziierungsabkommen, das die Partnerschaft weiter ausbauen sollte. Er wollte stattdessen enger mit Russland zusammenarbeiten.

Die Folge: Es kam erneut zu Protesten auf dem Maidan in Kiew – Hunderttausende protestierten gegen Janukowitsch im ganzen Land: der „Euromaidan“. Der Unabhängigkeitsplatz wird zu einem Symbol.

Krieg in der Ukraine: Was sind die „Separatistengebiete“?

Die Folge: Das Land spaltete sich noch mehr. In einen proeuropäischen Westen und ein prorussisches Lager im Osten. Nach einem Demonstrationsverbot gewannen die „Euromaidan“-Proteste zwischen 2013 und 2014 weiter an Zulauf, es kam in Kiew zur blutigen Gewalt. Mindestens 75 Menschen kamen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben. Janukowitsch floh nach Russland.

Auf der Krim kam es daraufhin zu einem Aufstand, mit Unterstützung Russlands besetzten Separatisten das dortige Parlament und wichtige Flughäfen. Russland hält ein international nicht anerkanntes Referendum auf der Krim ab und gliedert sie als Landesteil ein. Die USA und die EU verhängen Sanktionen gegen Moskau. Daraufhin griffen auch die von Moskau unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine zu den Waffen und erklärten im Donbass die „Volksrepublik Donezk“ aus, Luhansk folgte.

Krieg in der Ukraine: Was war das Ziel des Minsker Abkommens?

Seitdem werden die Gebiete stark von Moskau unterstützt, Russland verstärkte die Truppen an seiner Westgrenze zur Ukraine. Nach blutigen Auseinandersetzungen in den Separatistengebieten wurde 2014 und 2015 das Minsker Abkommen unterschrieben. Die Hauptziele:

  • sofortige Waffenruhe
  • der Austausch von Gefangenen
  • humanitäre Hilfe

Es wurde nie umgesetzt, denn faktisch gab es immer wieder Gefechte in der Region.

Für die Ukraine war seitdem die Abspaltung der Gebiete im Osten eine immerwährende Bedrohung. Im Minsker Friedensabkommen wurde auch klar geregelt, dass die Gebiete schrittweise wieder in den ukrainischen Staat integriert werden sollen, völkerrechtlich gehören sie zur Ukraine. Doch Russland ignorierte das.

Krieg in der Ukraine: Was für Gründe nennt Putin?

Die nächste Eskalationsstufe zündete Putin dann im Frühjahr 2021, als er massiv Truppen im Grenzgebiet zur Ostukraine zusammenzog. Er drohte seitdem mit einem militärischen Eingreifen. In einem Aufsatz schreibt er, Russen und Ukrainer seien ein Volk. Das wird als Anspruch auf den Anrainer gelesen. Im Herbst 2021 werden zusätzliche Truppenkontingente und moderne Waffen an der Grenze stationiert. Bald waren es rund 150.000 Soldaten.

Die Forderung Putins: Die Ukraine dürfe kein Nato-Mitglied werden. Er forderte ein Ende der Nato-Osterweiterung, warf dem Westen vor, seine Zusagen zu brechen. Und nannte angebliche Garantien aus dem Jahr 1990. Ein Argument, das er auch bei der Annexion der Krim 2014 vorbrachte.

Krieg in der Ukraine: War die Nato wirklich eine Bedrohung für Putin?

Dabei hat es solche Garantien laut Historikern nie gegeben. Es gibt keine Belege dafür, dass die Nato Russland „hintergangen“ hat. Und auch ein Beitritt der Ukraine war lange kein Thema mehr: 2008 wurde dem Land zwar eine Nato-Beitrittsperspektive gegeben, allerdings liegt der Beitritt seither auf Eis. Und hätte auf absehbare Zeit auch nicht auf der Tagesordnung gestanden.

Auch Putins Vorwand, die Nato bedrohe Russland, ist eine Lüge. Die Nato-Russland-Grundakte von 1997 untersagt zusätzliche dauerhafte Stationierung von Kampftruppen in den Beitrittsstaaten. Erst als sich Beziehungen zu Russland immer weiter verschlechterten, wurden kleine Kontinente an der Ostflanke stationiert (rund 5000 Soldaten) – aber auch die waren viel zu klein, um eine echte Bedrohung für Russland darzustellen.

Krieg in der Ukraine: Am 24. Februar 2022 rollen die Panzer

Mit viel Diplomatie und jeder Menge Treffen hat der Westen versucht, Putins Bedenken zu zerstreuen. Mit bilateralen US-Russland-Gesprächen, mit dem Nato-Russland-Rat, mit einem Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ergebnislos. Am 21. Februar 2022 erkennt Putin die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten an, tags darauf stimmt auch die Staatsduma zu. Der Minsker Friedensprozess war damit gestorben.

Russische Soldaten sollen in die ostukrainischen Separatistengebiete entsandt werden. Drei Tage später rollen die Panzer, marschieren die Truppen. Wladimir Putin überfällt die Ukraine.

Krieg in der Ukraine: Was will Putin wirklich?

Was treibt Putin wirklich an, diesen Krieg in der Ukraine zu führen? 2005 bezeichnete der einstige KGB-Mann in einer Rede das Ende der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts, spricht von einer „Tragödie“. Will er die einstige Sowjetunion neu aufleben lassen?

Fest steht, dass er gewaltsam Grenzen verschieben will. Für ihn wäre eine Art Jalta-Konferenz 2.0 das angestrebte Ziel – mit ihr wurde 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg Europa unter den Siegermächten aufgeteilt, der Kontinent wurde in Einflusssphären geregelt. Dass viele ehemalige Sowjetstaaten wie die Ukraine sich dem Westen angenähert haben und sich viele Menschen dort eine echte Demokratie wünschen, will Putin nicht. Schon gar nicht, dass der Nachbar Mitglied eines westlichen Bündnisses wird. Dass die Ukraine ein souveräner Staat ist, der selbst über sein Schicksal entscheidet, ist ihm egal. Grenzen ebenso. Er will eine neue Weltordnung mit Waffen erzwingen.