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Erster Russen-General mit Klartext„Uns wurde eine harte Lektion erteilt“

Generaloberst Wladimir Tschirkin, ehemaliger Befehlshaber der russischen Bodentruppen (Archivbild).

Generaloberst Wladimir Tschirkin, ehemaliger Befehlshaber der russischen Bodentruppen (Archivbild).

Aktualisiert

So glasklar hat bislang noch niemand aus der russischen militärischen Führungsriege den Kreml kritisiert: Putins ehemaliger Kommandeur der Landstreitkräfte spricht deutliche Worte über den Ukraine-Krieg.

Wladimir Tschirkin lässt das beschönigende Propaganda-Blabla, das sonst in Putins Medien zu lesen ist, in vielen Teilen ganz weg. Ungewohnt deutlich kritisierte der ehemalige Befehlshaber der russischen Bodentruppen im Radio von „RosBisnesKonsalting“ (RBK) die Kriegsführung des Kremls in der Ukraine.

Russland sei damals „wieder einmal“ nicht auf den Krieg vorbereitet gewesen, so seine Worte.

Generaloberst Tschirkin erklärte in einem Interview mit dem Sender weiter, dass man zudem  „traditionell den Gegner unterschätzt und unsere eigenen Streitkräfte überschätzt“ habe.

Vor allem bezog sich der General auf Putins ursprünglichen Plan, Kyjiw in nur drei Tagen einzunehmen. Russland leide unter dem „Tiflis-Syndrom“ und habe gehofft, es laufe ab wie beim fünftägigen Krieg mit Georgien im Jahr 2008.

„In den ersten Wochen wurde uns eine harte Lektion erteilt“

Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele brach damals in der Südkaukasus-Republik ein Krieg um die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien aus. Russland marschierte ein, zerstörte einen großen Teil der Infrastruktur der Ex-Sowjetrepublik. Auch damals gingen zahlreiche Provokationen von Russland voraus. Insgesamt dauerte der Krieg im Südkaukasus fünf Tage

Im Falle der Ukraine sei es „nicht so gekommen“, erklärt Tschirkin. „In den ersten Wochen wurde uns eine harte Lektion erteilt, und der ehemalige Verteidigungsminister versuchte, sich aus der Situation herauszureden, indem er das Geschehen als ‚Geste des guten Willens‘ bezeichnete.“ 

Der habe „die gesamte russische Geheimdienstgemeinschaft“ für den Rückzug aus Kyjiw verantwortlich gemacht und gesagt, die russische Militärführung sei mit falschen Informationen versorgt worden. Demnach habe es geheißen, „70 Prozent der ukrainischen Bevölkerung sind für uns und 30 Prozent gegen uns“.

Laut Schätzungen des ukrainischen Generalstabs und des britischen Geheimdienstes hat Russland in seinem Ukraine-Krieg über 1,1 Millionen Tote und Verwundete zu verzeichnen (Stand: November 2025).

Das Interview hat auch unter den ukrainischen Bloggern Wellen geschlagen. Denys Kazanskyi meint, dass solche Aussagen noch nie zuvor auf einer so hohen Führungsebene zu hören waren. „Tschirkin räumte faktisch das Scheitern der militärischen Sonderoperation ein und erklärte, Putin sei unvorbereitet in den Krieg gezogen, weil er die Lage falsch eingeschätzt habe, was zu schweren Verlusten geführt habe“, schrieb Kazanskyi auf X.

Kein Wunder: In Russland kann derlei öffentliche Kritik am Krieg zu Anklagen mit Gefängnisstrafen von mehreren Jahren bis zu 15 Jahren führen. Seit Kriegsausbruch haben die russischen Behörden ihre Bemühungen zur Unterdrückung von Kritik verstärkt, haben Dutzende unabhängige Medien und Aktivistengruppen als „ausländische Agenten“ und „unerwünschte Organisationen“ diffamiert und deren Aktivitäten unter Strafe gestellt.