Kommentar zur TürkeiDiese Wahl ist schon jetzt eine echte Katastrophe

Ein Mädchen hält aus einem fahrenden Auto eine Türkei-Flagge und freut sich

Am Abend der Wahl fahren Anhängerinnen und Anhänger des bislang amtierenden türkischen Präsidenten Erdogan in Duisburg-Marxloh mit ihren Autos über die Straßen, Hupkonzerte ertönen, türkische Flaggen werden geschwenkt.

Es wird eng für Erdogan, aktuell stehen die Zeichen auf Stichwahl. Doch schon jetzt steht fest: Der amtierende Präsident hat besser abgeschnitten, als es viele prognostiziert hatten. Und sollte es zur zweiten Wahl kommen, dürfte Erdogan der Favorit sein. Ein Kommentar.

von Martin Gätke (mg)

Was für ein Wahl-Krimi in der Türkei: Die beiden Balken, die das Rennen der beiden Kandidaten, von  Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu anzeigen, könnten nicht enger beieinander liegen: Am Montagmorgen erreichte Erdogan knapp über 49 Prozent, Kilicdaroglu rund 45 Prozent.

Das Endergebnis wird wohl erst in 14 Tagen feststehen, wenn die Stichwahl entschieden ist. Doch schon jetzt kann Erdogan einen wichtigen ersten Sieg feiern: Prognosen hatten vorhergesagt, dass die Opposition wesentlich stärker aus der Wahl hervorgeht. Doch es gibt viele Türkinnen und Türken, die Erdogan weiterhin als „starken Mann“ betrachten, als Heilsbringer – und das trotz der desaströsen vergangenen Monate in der Türkei. Vor allem die Menschen, die in Deutschland für Erdogan ihr Kreuzchen gesetzt haben, könnten das Zünglein an der Waage sein.

Türkei-Wahl: Erdogan darf auf Deutschland hoffen

Nicht nur in Ankara, auch in Duisburg sind noch in der Nacht zu Montag hunderte Erdogan-Anhängerinnen und -Anhänger auf die Straßen gegangen, haben gefeiert, haben Fahnen geschwungen, sind in Konvois durch die Stadt gezogen.

Alles zum Thema Recep Tayyip Erdogan

Experte über Türkei-Wahl in Köln: „Das hat Parallelen zu Putin-Anhängern“

Obwohl die Türkei immer weiter verarmt, obwohl dort Inflationsraten um die 70 Prozent herrschen, obwohl Meinungsfreiheit oder Rechtsstaat wenig gilt, wählen knapp die Hälfte der Türkinnen und Türken Erdogan – in Deutschland mutmaßlich wesentlich mehr.

Millionen Menschen wissen kaum, wie sie in der Türkei über die Runden kommen sollen. Erdogan, so sieht es derzeit aus, hat die Menschen trotzdem erneut in Massen mobilisiert – obwohl es lange so aussah, als wäre es diesmal anders. Dass er trotz der schlechten Bilanz in seinem Land so viele Menschen erreicht, dürfte zahlreiche Gründe haben: Er diffamiert den politischen Gegner, unterdrückt Pressefreiheit – und erreicht die Türkinnen und Türken im Ausland. Jene also, die nicht unter den der desaströsen Lage in der Heimat leiden. Auf ihre Stimmen darf Erdgan nun hoffen.

Türkei-Wahl: Aus demokratischer Sicht eine Katastrophe

Vor allem aus Deutschland: Erdogan hat hierzulande früh in den Wahlkampf investiert, hunderte AKP-Abgeordnete waren seit September auf Tour in Moscheengemeinden oder Kulturverbänden. Und haben im Stillen mit ihren Verschwörungsmythen Ressentiments gegenüber den Demokratien im Westen geschürt. Ihr Weltbild mit klaren Feindbildern, ihre Propaganda kommt scheinbar auch bei dieser Wahl an. Aus demokratischer Sicht ist diese Wahl schon jetzt eine Katastrophe.

Nun muss die Türkei 14 Tage lang weiter bangen – und kommt es zu einer Stichwahl, ginge Erdogan nach aktuellen Zahlen als Favorit ins Rennen. Für ihn könnte es reichen, seine Basis zu konsolidieren und ein paar Wählerinnen und Wähler von Sinan Ogan, dem dritten Bewerber, auf seine Seite zu ziehen. Für Kilicdaroglu dürfte es schwer werden, den Abstand von knapp 4,5 Prozentpunkten in zwei Wochen wettzumachen.