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Ein Jahr Krieg in EuropaJunge Ukrainerin gibt sich mutig: „Kein armes sowjetisches Land“

Eine junge Frau steht auf einer Straße in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw. Sie guckt in die Kamera.

Ruslana (24) steht im Herzen von Kyjiw. Das Bild ist vor dem Krieg entstanden.

Schon ein Jahr wütet der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Der 24. Februar 2022 hat das Leben vieler Menschen verändert – so auch das Leben von Ruslana (24) aus Kyjiw. Im Interview mit EXPRESS.de erzählt sie genau ein Jahr nach Kriegsbeginn ihre Geschichte.

von Maria Isaak (mi)

Der 24. Februar 2022 brachte das geopolitische Gleichgewicht der Welt ins Wanken. Das Vorrücken der russischen Truppen in die Ukraine zerstörte das Leben von Millionen Menschen. Ruslana ist eine von ihnen. Sie verlor ihre gesamte Existenz binnen 24 Stunden. 

Die junge Ukrainerin hatte alles, was sie brauchte im Leben: einen guten Job in einem renommierten IT-Unternehmen, eine große Wohnung im Herzen Kyjiws und einen großen Freundeskreis. Im Interview mit EXPRESS.de am 24. Februar 2023 – genau ein Jahr nach Kriegsbeginn – schildert die 24-Jährige, die inzwischen in Kanada lebt, wie schlagartig ihr schönes Leben eine Höllenfahrt wurde.

„Niemand wusste, was er tun oder wohin er fliehen sollte“

Ruslana, wie hast du den 24. Februar vor einem Jahr erlebt?

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Ruslana: Am 23. Februar 2022 gab es bereits viele Gerüchte über den Beginn des Krieges, an die niemand glaubte. Aber für den Fall der Fälle nahm ich die wichtigsten Dokumente und meine Katze mit. Ich verließ Kyjiw und fuhr zu meiner Mutter.

Am 24. Februar wurde ich morgens von einem Anruf aus Kanada geweckt – der Krieg hatte begonnen. Ich erinnere mich, dass ich den ganzen Tag mit den Nachrichten verbrachte. Niemand zu Hause konnte essen oder schlafen, niemand wusste, was er tun oder wohin er fliehen sollte. Wir verbrachten den ersten Tag in einem Schockzustand.

Wie konntest du flüchten?

Ruslana: Am 28. Februar 2022 beschloss ich, das Land mit meiner Mutter zu verlassen. Wir konnten tagelang nicht schlafen und hatten Angst. Es sah so aus, als würden wir für ein bis zwei Wochen bei Freunden in Polen bleiben können. Ich hatte meine Mutter, einen kleinen Koffer und meine Katze dabei. Unser Weg begann in Ternopil (Westukraine), dann ging es etwa fünf Stunden nach Lwiw (Lemberg). Die Straßen waren voller Autos, überall war Stau. Alle Menschen flohen in den Westen des Landes. Am Bahnhof in Lwiw warteten wir etwa vier Stunden auf den Zug. Es war sehr schwierig, in den Zug zu kommen, die Leute waren in schrecklicher Panik.

Ich erinnere mich, dass viele Kinder weinten. Die Augen der Frauen waren voller Angst. Das war nur der Anfang unserer Reise, die etwa 36 Stunden von Lwiw bis ins polnische Przemyśl dauerte (normalerweise zwei Stunden, 96 km). Der gesamte Wagon war mit Menschen vollgestopft, sodass für mich und Sam (ihre Katze, Anm. d. Red.) nur noch im Lokführer-Wagon ein paar Zentimeter Platz war. Dort standen wir die ganze Fahrt. Ich erinnere mich, dass es nach etwa 20 Stunden sehr schwierig wurde. Wir kamen der Grenze etwas näher und hielten immer wieder an. 

Ich war furchtbar müde, ich fror, ich wusste nicht, wie es weitergehen würde. Wir wurden von Freiwilligen „gefüttert“, die extra gekommen waren, weil unsere Vorräte zu diesem Zeitpunkt aufgebraucht waren. Diese fremden Menschen verpflegten uns und gaben uns heißen Tee. An die letzten zehn Stunden erinnere ich mich nur noch sehr wenig, ich war sehr müde. Während der gesamten Fahrt schlief ich etwa zwei Stunden und davon nur eine im Sitzen. Den Rest der Zeit stand ich nur da und wartete.

Es muss Anfang März gewesen sein. Um 9 Uhr morgens standen wir auf dem Bahnsteig in Przemyśl (Polen). Es schien, als sei man dem Krieg entkommen, aber es lag noch ein langer Weg voller Tränen, „Dokumentenkramerei“ und Nervenzusammenbrüchen vor uns. Zurzeit lebe ich mit meiner Katze in Kanada. Meine Mutter lebt in Polen. In meinen Gedanken bin ich immer zu Hause, in der Ukraine. Selbst am anderen Ende der Welt konnte ich der Tortur des Krieges nicht entkommen.

Welche Gedanken hast du, während wir hier miteinander sprechen?

Ruslana: Ich glaube, wie alle Ukrainerinnen und Ukrainer empfinde ich unerträglichen Schmerz für jeden Menschen, der wegen der russischen Soldaten gestorben ist. Ein schreckliches Gefühl der Ungerechtigkeit kommt in mir auf, weil die Menschen das Recht auf Leben „zurückgewinnen“ müssen. Beleidigt fühle ich mich, weil sie – die russischen Soldaten – mein Leben und das von Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern ruiniert haben. Dass jemand gezwungen ist, alles zu verlassen, was er hat, ist schrecklich. Jeden Tag kämpft man für das Überleben. Mein Vater kämpft an der Front.

Ich denke an alle, die geblieben oder gegangen sind. Niemand gewinnt, niemandem tut dieser Krieg gut. Alles, was ich will, ist ein friedliches Leben für die Ukrainerinnen und Ukrainer, dass sie – die Russen – uns in Ruhe lassen und einen kilometerlangen Zaun im Norden (Belarus) und Osten (Russland) bauen. Denn aus irgendeinem Grund denken viele Menschen, dass dies Putins Krieg ist. Aber wie wir sehen können, unterstützt die Mehrheit der russischen Bürgerinnen und Bürger diese Politik. Nehmen Sie hier an unserer Umfrage teil:

Was erhoffst du dir von der Zukunft – für dich und für dein Land?

Ruslana: Ich hoffe auf ein baldiges Ende des Krieges. Dass, alle in ihre Heimat zurückkehren und dort glücklich werden. Natürlich wird nicht alles wieder so, wie es war, aber wir werden stärker, stressresistenter und entwickeln uns noch schneller als zuvor. Jetzt weiß die ganze Welt über uns Bescheid. Wir werden berühmt sein – und zwar nicht wegen der Tragödien, sondern wegen unserer Leistungen in diesem Krieg.

Wir sind nicht länger ein armes sowjetisches Land mit Kolchosen. Die Ukraine entwickelt sich, vor allem im IT-Bereich, rasant weiter. Wir haben moderne Unternehmen, von der Gastronomie bis zur Bekleidungs- und Möbelherstellung. In der Ukraine gibt es gute Ärzte und viele Bildungsprojekte. Wir sind eine fleißige Nation, die studieren, sich weiterentwickeln und frei sein will. Wir sind definitiv nicht auf dem gleichen Standard wie Russland.