RekordinflationSparer können sich über EZB-Nachricht freuen, doch es gibt auch Verlierer

Jetzt also doch: Angesichts der Rekordinflation hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) jetzt zu einem drastischen Schritt entschieden. Der dürfte vor allem alle Sparer freuen. 

Gute Nachrichten für alle Sparer: Erstmals seit Juli 2011 erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen im Euroraum. Getrieben von der Rekordinflation schafft die EZB die Negativzinsen ab und kündigt eine Serie von Zinserhöhungen an.

Der Schritt fällt angesichts der Rekordinflation mit 0,5 Prozentpunkten deutlicher aus als noch im Juni von der Notenbank in Aussicht gestellt. 

Gute Nachricht für Sparer: EZB schafft die Negativzinsen ab

Zur Freude von Millionen Sparern beschloss der EZB-Rat am Donnerstag (21. Juli), den Negativzins für geparkte Gelder von Geschäftsbanken von zuletzt minus 0,5 Prozent in einem Schritt auf Null zu setzen. Damit beenden die Euro-Währungshüter nach acht Jahren die Phase der Negativzinspolitik.

Nun können Bankkunden wieder auf Sparzinsen hoffen und damit rechnen, dass Geldhäuser sie nicht mehr mit Minuszinsen bestrafen, wenn sie hohe Summen auf dem Konto haben.

Welche Auswirkungen das für Verbraucher sonst noch hat, erfahren Sie oben im Video!

Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt zugleich von null Prozent auf 0,50 Prozent. Die neuen Zinssätze gelten vom 27. Juli 2022 an. Die letzte Zinserhöhung um 50 Basispunkte in der EZB-Historie gab es im Juni 2000.

Zinswende: Notenbank tüftelt ein neues Anti-Krisen-Instrument aus

Um sicherzustellen, dass die nun eingeleitete Zinswende hochverschuldete Euro-Staaten wie Italien nicht über Gebühr belastet, hat die Notenbank ein neues Anti-Krisen-Instrument ausgetüftelt: das „Transmission Protection Instrument“ (TPI). In diesem Rahmen will die EZB notfalls mit Anleihenkäufen einschreiten, sollten die Zinsen für Wertpapiere eines Euro-Staates durch Finanzspekulation unverhältnismäßig stark in die Höhe schnellen.

„Insbesondere im Zuge der weiteren Normalisierung der Geldpolitik wird das TPI sicherstellen, dass unser geldpolitischer Kurs reibungslos auf alle Länder des Euroraums übertragen wird“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Frankfurt. Die EZB würde TPI lieber nicht nutzen, versicherte die Französin. „Aber wenn wir es nutzen müssen, werden wir nicht zögern.“ Anwendbar wäre das TPI im Grunde für alle Euro-Staaten, wie Lagarde betonte.

Den geldpolitischen Kurswechsel hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von 0,25 Prozentpunkten in Aussicht gestellt. Auf Grundlage einer aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken hielt es das Gremium nun „für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun“, wie die EZB mitteilte.

„Es ist gut, dass sich die EZB heute zu einem großen Zinsschritt von einem halben Prozentpunkt durchgerungen hat“, kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Der Euroraum mit seinem tiefgreifenden Inflationsproblem braucht eine Serie großer Zinsschritte.“

Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hochverschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.

Dafür will sich die EZB mit ihrem neuen Anti-Krisen-Instrument TPI vorbereiten. „Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“, erklärte die Notenbank. „Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt.“ Voraussetzung für den Kauf von Wertpapieren über das TPI wäre nach Angaben der EZB unter anderem, dass die betreffenden Staaten „eine solide und nachhaltige Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgen“.

EZB muss nach Unruhen an Finanzmärkten handeln

Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

„Auf keinen Fall darf sich die EZB dem Verdacht aussetzen, mit ihrem neuen Instrument Staaten neue Schuldenaufnahmen zu erleichtern“, warnte Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis. „Das würde das Vertrauen in die politische Unabhängigkeit der EZB untergraben.“

Das Kalkül der Währungshüter könnte sein, dass die Märkte sich allein durch die Ankündigung des neuen Notfallprogramms beeindrucken lassen - wie im Sommer 2012, als Lagardes Vorgänger Mario Draghi die damalige Euro-Schuldenkrise mit einem Machtwort befriedete: „Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten“ („Whatever it takes“).

Krise in Italien: Lagarde-Vorgänger Mario Draghi zurückgetreten

Dass Draghi ausgerechnet am Tag der von manchem Beobachter als „historisch“ bezeichneten EZB-Sitzung am Donnerstag als Ministerpräsident seines Heimatlandes Italien zurücktrat und sich damit die Regierungskrise in der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft ausweitet, macht der EZB die geldpolitische Wende nicht leichter.

„Zu hohe Inflationsraten und zu hohe Zinsen sind beide Gift für die Wirtschaft“, stellte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, fest. Es gebe „derzeit keine bessere Option als die Zinsen zu erhöhen, auch wenn das für sich genommen die Konjunktur belastet“.

Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent.

Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können. Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze angesichts hoher Inflationsraten in ihren Ländern bereits mehrfach angehoben. (dpa)