Der Historiker Stefan Creuzberger hat die Entwicklung in Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges genau beobachtet. Bei „Hart aber fair“ schilderte der Experte eine düstere Entwicklung.
„Hart aber fair“Osteuropa-Experte schildert schlimme Entwicklung in Russland
Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie begrüßte Frank Plasberg am Montagabend wieder Studiopublikum bei „Hart aber fair“ - und das gänzlich ohne Corona zu thematisieren. Stattdessen stand die Sendung einmal mehr im Zeichen des russischen Krieges in der Ukraine, und so galt der erste Applaus seit vielen Monaten dem Publizisten Michel Friedman: Er betonte, Putin habe den Krieg bereits 2014 begonnen. „Wir wollten nur nichts damit zu tun haben, wir fühlten uns davon nicht betroffen.“ Der russische Machthaber habe sich seither kaum verändert, lediglich unsere Rolle sei nun eine andere.
Dem pflichtete Marina Weisband bei. Die deutsch-ukrainische Grünen-Politikerin konstatierte, sie habe „bis heute und die letzten acht Jahre das Russland-Bild in Deutschland über alle Maßen naiv gefunden“. Auch der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP) kritisierte die Politik der vergangenen Jahre: „Wir haben uns lange in einem normalen Leben eingerichtet und haben nicht gesehen, was sich da zusammenbraut, nämlich eine strategisch angelegte Expansionspolitik.“
Gleichzeitig gab der 89-Jährige zu bedenken, dass die russische Bevölkerung nicht verantwortlich für den Krieg sei. „Ich bin nicht der Meinung, dass man die Russen hier insgesamt in Haftung nehmen kann“, so Baum. Es gebe schließlich noch „ein anderes Russland“, dieses werde aber „brutal unterdrückt“. Die in Bonn lebende russische Juristin Narina Karitzky sah dies anders. Ein Großteil der Menschen in Russland stehe hinter dem Angriff, beteuerte Karitzky. „Es ist nicht mehr der Krieg von Putin, sondern es ist Russlands Krieg. Leider.“
Stefan Creuzberger: „Leute können 15 Jahre lang inhaftiert werden, wenn sie sich äußern“
Weisband sprach indes von einem „riesigen Spalt“, der sich durch deutsch-russische Familien ziehe, „wo Brüder nicht mehr mit Schwestern sprechen, Eltern nicht mehr mit ihren Kindern, weil die Realität so krass auseinanderdriftet, je nachdem, ob man russisches Fernsehen schaut oder nicht“. Die Situation hierzulande sei jedoch nicht mit jener der Bevölkerung in Russland selbst gleichzusetzen. Um zu verstehen, woher die dortige Zustimmung für den Krieg komme, „müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie anfällig wir sind, für welche Art von Propaganda, und wie diese funktioniert, mit welchen psychologischen Mechanismen sie spielt“, so die Publizistin.
Der Historiker Stefan Creuzberger hingegen hielt die Ergebnisse russischer Umfragen, laut denen mehr als 80 Prozent der Russinnen und Russen den Krieg befürworten, grundsätzlich nicht für aussagekräftig: „Was erwarten wir denn eigentlich? Russland ist eine Diktatur geworden.“ Meinungsfreiheit gebe es dort nicht mehr, stattdessen habe man gesehen, wie „alte Mütterchen“ und „ältere Damen“ bei Demonstrationen festgenommen worden seien. „Leute können 15 Jahre lang inhaftiert werden, wenn sie sich äußern. Sie können nur Ja sagen. Und wenn sie gar nichts sagen, sind sie erst recht verdächtig“, gab der Osteuropa-Experte zu bedenken.
Fritz Pleitgen über Putin: „Seine Höflichkeit und seine Bildung haben mich beeindruckt“
Auch Michel Friedman mahnte, dass es sich bei „den Russen“ nicht um eine „homogene Gesellschaft“ handle. „Ich habe vor Beginn des Krieges nicht gesehen, dass die Kriegslust von der Bevölkerung ausging“, so der TV-Moderator. Wer Widerstand leiste, lande im Gefängnis. „Das hat der Westen lange Zeit auch ohne Krieg mit angesehen. Wie sehr die Demokratie unterdrückt wurde, und Deutschland hat trotzdem Geschäfte mit Putin gemacht“ - etwa dann, als nicht nur Sanktionsgespräche geführt, sondern auch die Verträge zu Nord Stream 2 unterzeichnet worden seien.
„Diese Doppelzüngigkeit der Politik rächt sich jetzt umso mehr“, erklärte der CDU-Politiker. Deshalb sei Deutschland mitverantwortlich dafür, „dass ein aggressiver nationalistischer Diktator sich in seiner imperialen und imperialistischen Kriegsbewegung ausgebreitet hat“, so Friedman.
Auch der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen habe sich von Putin täuschen lassen, wie er in einem eingespielten Interview mit Frank Plasberg einräumte: „Wir haben uns sehr kultiviert unterhalten, seine Höflichkeit und seine Bildung haben mich beeindruckt.“ Die Zeit, in der Putin Europa an der Nase herumführe, müsse nun jedoch vorbei sein, so Pleitgen. „Wir sollten klar unseren Standpunkt zum Ausdruck bringen, wie wir den obersten russischen politischen Führer sehen: Er ist ein Kriegsverbrecher, und das darf man auch nicht verschweigen.“ (tsch)