„Alle ausrotten“Erdogan kündigt jetzt drastische Schritte an, Russland zeigt sich besorgt

Die Türkei wirft Bomben auf kurdische Gebiete in Syrien und im Irak ab und begründet das mit der angeblichen Rache für den Anschlag Istanbul. Nun droht Präsident Erdogan mit einer weiteren Eskalation, findet martialische Worte – derweil zeigen sich die USA und Russland besorgt.

von Martin Gätke (mg)

Am Montag vor einer Woche kamen bei einem Bombenattentat in Istanbul sechs Menschen ums Leben, die türkische Regierung macht die verhasste verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und deren syrischen Ableger dafür verantwortlich, die YPG. Die kurdischen Kämpfer wiederum bestritten jede Beteiligung.

Die Reaktion: Seit dem frühen Sonntagmorgen fliegt die Türkei Luftangriffe, bombardiert kurdische Stellungen in Nordsyrien und im Nordirak. Dutzende Orte sollen angegriffen worden sein, nahe Kobane soll auch ein Krankenhaus getroffen worden sein. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von mindestens 31 Toten. Die YPG schlug zurück, griff türkische Städte im Grenzgebiet an – mindestens drei Menschen starben. 

Türkei: Erdogan will Eskalation in Nordsyrien

Die Türkei stellte die jüngsten Militäroperationen als Rache dar, als Vergeltungsmaßnahme für das Attentat. Die Namen von zwei Kindern, die in Istanbul getötet worden waren, standen auf zwei Bomben. Das türkische Verteidigungsministerium schrieb auf Twitter: „Die Schurken werden für die verräterischen Anschläge zur Rechenschaft gezogen.“

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Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bei „Claw Sword“ – so der Name der Operation –  184 Kämpfer getötet und 89 Ziele zerstört, darunter Bunker, Höhlen und Tunnels

Erdogan erwägt Bodenoffensive in Nordsyrien und im Irak

Nun hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigt, auch Bodenoffensiven gegen Nordsyrien und den Irak in Erwägung zu ziehen. Er droht mit einer weiteren Eskalation des Konfliktes, während Russland und die Vereinigten Staaten Ankara zur Zurückhaltung ermahnten. 

In einem Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten auf dem Rückflug von Katar nach der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft sagte Erdogan laut „Al Jazeera“, die laufende Militäraktion sei „nicht nur auf eine Luftoperation beschränkt“ und könne auch Bodentruppen einschließen.

Erdogan: „Wir werden so bald wie möglich alle ausrotten“

„Die zuständigen Behörden, unser Verteidigungsministerium und der Generalstabschef werden gemeinsam über den Umfang der von unseren Bodentruppen einzusetzenden Kräfte entscheiden“, so Erdogan weiter. „Wir werden uns beraten und dann unsere Schritte entsprechend ausführen.“

Man kämpfe gegen die „Terroristen“ mit „Flugzeugen, Geschützen und bewaffneten Drohnen“. „Sobald wie möglich werden wir, so Gott will, zusammen mit unseren Panzern, Soldaten und Weggefährten, alle ausrotten“, wird Erdogan zitiert.

Die USA wiederum, die sich bei der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staats in Syrien hauptsächlich auf kurdische Milizen stützen, riefen zu einer Deeskalation auf. „Die Vereinigten Staaten drücken ihr aufrichtiges Beileid für den Verlust von Zivilisten in Syrien und der Türkei aus“, hieß es in einer Erklärung von Ned Price, dem Sprecher des Außenministeriums. „Wir drängen auf eine Deeskalation in Syrien, um die Zivilbevölkerung zu schützen und das gemeinsame Ziel zu unterstützen, ISIS zu besiegen. Wir lehnen weiterhin jede unkoordinierte Militäraktion im Irak ab, die die Souveränität des Irak verletzt.“

Auch Russland forderte die Türkei auf, von der Anwendung „exzessiver“ militärischer Gewalt Abstand zu nehmen. Alexander Lawrentjew, der Syrien-Beauftragte des russischen Präsidenten, zeigte sich besorgt und erklärte, die Türkei habe Moskau nicht im Voraus über ihre Angriffe auf ihre Nachbarn informiert.

Erdogan: Seit Monaten wird befürchtet, dass er Nordsyrien angreift

Seit Monaten wurde befürchtet, dass die Türkei Nordsyrien angreift. Dort spitzt sich die Lage schon länger zu. Erdogan drohte bereits vor dem Attentat in Istanbul mit einem Militäreinsatz im Nachbarland. Im Mai erklärte er, dass die Kurdenmiliz YPG aus mehreren Orten vertrieben werden soll. Erdogan plante eine 30-Kilometer-Sicherheitszone entlang der türkischen Grenze. Russland zeigte sich schon damals besorgt, auch der Iran kritisierte eine mögliche Militäraktion. 

Syrien ist (wieder) weitgehend unter der Kontrolle von Präsident Baschar al-Assad, der Rest unter der von türkischen Truppen, Rebellen oder Kurden. Für den Iran, neben Russland ein wichtiger Verbündeter Assads, besteht ein Konflikt in der Region, die Erdogan angreifen will: Die Syrische Nationale Armee (SNA), die türkischen Befehlen folgt, würde bis auf wenige Kilometer an schiitische Ortschaften des Regimes heranrücken – also in Raketenreichweite. Das wäre ein Risiko für den Iran. Nicht zuletzt, weil viele extrem radikale Sunniten in der SNA kämpfen, die die Schiiten als Kontrahenten sehen.