Mord vor 15 JahrenFrère Roger im Rollstuhl – Frau rammt ihm Messer in den Hals

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Bescheiden, warmherzig und liebenswürdig: So kannte die Welt Frère Roger, der einem Attentat zum Opfer fiel. Unser Foto zeigt Roger 1999 beim 22. Jugendtreffen der ökumenischen Gemeinschaft von Taize in Warschau.

von Maternus Hilger (hil)

Taizé – Er war ein Mann, dem die Herzen zuflogen. Frère Roger, der legendäre Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé in Burgund, zu der jährlich Tausende Jugendliche pilgern – verehrt wie ein Heiliger und geschätzt von Gläubigen aller Konfessionen.

Eine charismatische Persönlichkeit, die oft mit Martin Luther King oder Mahatma Gandhi verglichen wurde. Er hatte zwar protestantische Wurzeln, doch er selbst sah sich als Brückenbauer zwischen den Konfessionen. Als er vor 15 Jahren heimtückisch ermordet wurde, hielt die Welt den Atem an.

Frère Roger wurde beim Abendgebet erstochen

Es ist der Abend des 16. August 2005. Rund 2500 Gläubige haben sich zum Abendgebet in Taizé versammelt, als plötzlich die psychisch kranke Rumänin Luminata L. (36) mit einem lauten Schrei auf den an den Rollstuhl gefesselten Frère Roger (90) losstürmt und ihn mit Messerstichen in den Hals lebensgefährlich verletzt.

Der sitzt zu diesem Zeitpunkt wie immer inmitten einer Schar Kinder, die die Tat aus nächster Nähe mitansehen müssen. Ein Aufschrei des Entsetzens hallt durch die Kirche. Einige wenige drängt es nach draußen. Doch es gibt keine Panik.

Mord an Frère Roger: Gläubige stimmen ein Lied an

Während sich Helfer sofort um den Schwerverletzten kümmern, der vor aller Augen verbluten wird, stimmt ein Taizé-Bruder geistesgegenwärtig das Lied „Laudate omnes gentes“ („Lobt, alle Völker, den Herrn“) an.

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Frère Roger (im Rollstuhl) bei der Beisetzung von Papst Johannes Paul II. Kardinal Ratzinger (Mitte) spendete ihm damals die Kommunion.

Ein gespenstischer Moment, doch dann stimmen alle mit ein, während der Sterbende aus der Kirche herausgetragen wird. Die meisten bleiben auf den Kirchenbänken oder dem Boden sitzen. Viele weinen und beten für den Mann, der zeit seines Lebens für Frieden und Versöhnung eingetreten war.

Tiefe Trauer beim Weltjugendtag in Köln

Tief betroffen zeigen sich auch die Hunderttausende Pilger, die zum Weltjugendtag vom 16. bis 21. August 2005 nach Köln kommen. Warum musste dieser liebenswürdige Greis auf solch grausame Art und Weise sterben?

Sie habe ihn nicht töten, nur Aufmerksamkeit erregen wollen, sagt die Attentäterin später. Papst Benedikt XVI. (heute 93) sagt damals kurz vor seiner Abreise nach Köln, er sei „tief traurig“.

Frère Rogers Brief an den Papst

Am Todestag Rogers hatte er noch einen Brief erhalten, in dem dieser zutiefst bedauerte, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Köln kommen würde könne. Er sei aber mit dem Herzen dabei.

Bei einem Treffen mit Angehörigen verschiedener Konfessionen beim Weltjugendtag würdigt der damalige Papst den „geistlich gelebten Ökumenismus“ des Verstorbenen.

Kölns Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, trauerte um Roger

Auch der damalige, im Juli 2017 im Alter von 83 Jahren gestorbene Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, reagiert mit tiefer Trauer auf die Todesnachricht. Wie sehr der Papst Frère Roger schätzte, zeigt auch eine Geste Monate zuvor bei der Beisetzung von Johannes Paul II. im April 2005 in Rom.

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Joachim Kardinal Meisner trägt sich in das Kondolenzbuch für Frère Roger ein.

Da hatte der damalige oberste vatikanische Glaubenshüter, der erzkonservative Katholik Joseph Ratzinger, dem Protestanten die heilige Kommunion gereicht.

In Köln ist an jenem Schicksalstag auch der deutsche Taizé-Bruder und Katholik Frère Alois, der sofort seine Koffer packt und die ganze Nacht durch zurück nach Burgund fährt. Schon vor Jahren von Roger ausgewählt, wird er der neue Prior von Taizé.

Frère Roger fasziniert auch nach seinem Tod die Jugend

Was machte die Faszination von Frère (französisch für Bruder) Roger aus, die bis heute nachwirkt? Der junge protestantische Theologe Roger Louis Schutz-Marsauche – jüngstes von neun Kindern eines protestantischen Pfarrers aus dem schweizerischen Provence – hatte sich schon 1940 in Taizé nahe Dijon niedergelassen.

Während des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Besetzung Frankreichs kümmerte sich Frère Roger um Flüchtlinge und Juden, die er versteckte. Der Gestapo entkam er nur, weil er sich bei einem Zugriff im Jahr 1942 in Taizé gerade in Genf befand. Dort blieb er bis zur Befreiung.

Die Güte des Herzens

Zurück in Taizé gründete er mit sieben Brüdern die Communauté de Taizé, deren erster Prior er wurde. „Eine Gemeinschaft, in der es im Letzten um die Güte des Herzens und die Einfachheit geht“, wie er selbst einmal sagte. Er und seine Mitstreiter verpflichteten sich auf die Ehelosigkeit und ein bescheidenes Leben in Gütergemeinschaft. Später zog es die Brüder auch in die Slums der Welt, um den Armen zu helfen.

Weltweit bekannt machte die Bruderschaft das Konzil der Jugend 1974. Zehntausende Jugendliche von überall her pilgerten seitdem jedes Jahr nach Taizé, um mit Roger und seinen Brüdern zu beten und zu diskutieren.

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Kinder lagen Frère Roger stets am Herzen. Für sie hatte er immer ein offenes Ohr.

Seine Botschaft war Liebe, gelebte Ökumene und Solidarität mit den Schwachen. Vor allem junge Menschen lagen ihm zu Füßen. Sie waren fasziniert von der Ausstrahlung und Warmherzigkeit des Humanisten, der u.a. mit dem Aachener Karlspreis und dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt wurde.

Hotspot Taizé: Hierher pilgert die Jugend

Rund 12.000 Menschen kommen damals zur Beisetzung von Frère Roger – darunter viele, die die kurz zuvor noch beim Weltjugendtag in Köln gewesen waren. Ein schlichtes Holzkreuz vor der Kirche in Taizé trägt seinen Namen. Immer noch legen Menschen dort frische Blumen wieder, während sie für einen Moment im Gebet verharren.

Frère Roger ist in Taizé allgegenwärtig wie zu seinen Lebzeiten. Sein Vermächtnis, sich für eine bessere Welt einzusetzen, ist für die 100 Brüder aus mehr als 20 Nationen – Protestanten und Katholiken – Verpflichtung und Lebensinhalt zugleich. Und als Gastgeber für die Jugend der Welt, die Frère Roger so sehr am Herzen lag, ist Taizé bis heute gefragt wie eh und je.