Über 231.000 Tote15 Jahre nach dem Thailand-Tsunami: EXPRESS-Reporterin erinnert sich

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EXPRESS-Reporterin Jutta Doppke war beim Tsunami 2004 in der Krisenregion.

von Jutta Doppke (dop)

Bangkok/Köln – Weihnachten vor 15 Jahren: Nach einem gewaltigen Seebeben rasen riesige Flutwellen über die Küstenregionen des Indischen Ozeans hinweg. Sie zerstören ganze Landstriche, reißen mindestens 231.000 Menschen in den Tod – darunter 539 Deutsche.

Der Tsunami 2004. Ein Begriff, dessen Bedeutung zuvor nur wenige kannten, ist seither Synonym für eine der schlimmsten Katastrophen der Neuzeit.

Seither sind 15 Jahre vergangen. Die Städte sind wieder aufgebaut, an den Stränden baden wieder Touristen. Vergessen aber wird diese Katastrophe wohl niemand.  

EXPRESS-Reporterin erlebte Tsunami 2004 in Thailand hautnah

Auch ich saß am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 an einem Strand in Süd-Thailand. In Asien suchte ich Abstand, Frieden – und landete in dieser Katastrophe, die die ganze Welt erschütterte.

Eigentlich wollte ich über die Feiertage in die kleinen Hütten am Strand von Khao Lak, die mir ein Freund empfohlen hatte. Spontan entschied ich mich für Koh Lipe im Tarutao Nationalpark, wo vorgelagerte Inseln die tödlichen Wellen brachen – und uns retteten.

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Der Tsunami, der mehr als 230.000 Menschen in den Tod riss und 1,7 Millionen obdachlos machte – er kam bei uns als wilde, aber vergleichsweise lächerlich kleine Welle an.

In Phuket schlug der Tsunami besonders hart ein

Erst zwei Stunden später ließen TV-Bilder erahnen, wie knapp wir der Hölle entkommen waren. In diese Hölle reiste ich am nächsten Tag: Nach Phuket, wo ich mehrere Monate gelebt und Freunde hatte – einige davon vermisst.

Die Bilder von damals sind in mir heute noch so lebendig wie damals. Ein Stichwort reicht und schon ist alles wieder da. So wie letztens, als eine Freundin Bilder aus ihrem Urlaub in Khao Lak zeigte.

Sofort habe ich die Trümmer, die unfassbare Zerstörung, wieder vor Augen. Ich spüre förmlich die allgegenwärtige Verzweiflung, das unermessliche Leid. Mir steigt der Geruch nach Schlamm und Tod in die Nase.

Scott (52) half, die Leichen in Thailand wegzutragen

Damals fuhr ich mit dem Roller Tag und Nacht herum und sprach mit Menschen, wie unzählige Male zuvor als Journalistin. Ihre Geschichten aber begleiten mich bis heute.

Ich traf Scott Murray (damals 52), der im Café auf seine Tasse starrte und unerträglich stank – nach Verwesung und medizinischem Alkohol. Alle rückten ab. Er merkte es nicht. „Ich habe den ganzen Tag Leichen getragen“, erzählte er mir. „Wie gestern und vorgestern.“ Der Kanadier, der in Bangkok lebte, half beim Sortieren der Toten in einem Tempel. Freiwillig.

Vor einer Kirche traf ich Mary Doerflein (damals 60), Professorin an der Universität Phuket. Aus dem Kofferraum ihres Kombis ragte ein Sarg. Nachts rief sie mich zu Swetlana aus Bonn. Im Sarg lag deren Mann Juri, ihre große Liebe.

Dirk (40) verlor seine Lebensgefährtin beim Tsunami in Thailand

Ich begleitete Dirk (40), der sich täglich durch die Reihen der Toten in den Tempeln kämpfte. Das Wasser hatte ihm am Strand von Khao Lak seine Lebensgefährtin aus der Hand gerissen, als sie gemeinsam vor der Welle wegrannten.

Als ich mit dem Roten Kreuz das Ufer der Insel Ko Phra Thong betrat, bargen Anwohner gerade die winzige Leiche eines Säuglings, der unter den Trümmern seines Elternhauses begraben wurde.

Fast alle, ob Einheimische oder Touristen, waren traumatisiert. Noch heute bewundere ich, wie effektiv und schnell, wie selbstlos und unbeirrt sie alle gemeinsam Ordnung in das Chaos brachten.

Tsunami 2004 in Thailand ist noch nicht vergessen

„Wir haben operiert, bis wir kein Verbandsmaterial mehr hatten – und dann noch immer weitergemacht“, erzählte mir Arzt Gerhard Melcher (damals 49). Er hatte im Krankenhaus Patong, dann in Phuket Town operiert – vier Tage am Stück.

Unvergessen: Die unglaubliche Spendenbereitschaft damals. Allein Privatleute gaben damals rund 4,5 Milliarden Euro – 670 Millionen davon aus Deutschland – für die Opfer.

Tief in meine Erinnerung gegraben hat sich der Geruch nach Schlamm und Tod. Und die Gesichter auf den fröhlichen Urlaubsfotos, zu Hunderten von verzweifelten Angehörigen aufgehängt. Vermisst!

Jedes einzelne ist – ebenso wie das ganze Ausmaß dieser Katastrophe – auch nach 15 Jahren nicht vergessen.  

Tsunami 2004: Keine Warnung vor der tödlichen Welle

Eine Warnung vor dem heranrasenden Tod hat die Menschen 2004 nicht erreicht. Sechs Stunden nach dem Beben starben in Somalia Küstenbewohner – dabei war schon nach acht Minuten der Alarm im Tsunami-Frühwarnzentrum von Hawaii (PTWC) Alarm ausgelöst worden.

Doch in den betroffenen Regionen gab es weder Ansprechpartner noch Notfallpläne. Heute hätte das Warnzentrum in Jakarta, nach der Katastrophe von 2004 mit deutscher Unterstützung aufgebaut, fünf Minuten nach dem ersten Beben eine Tsunami-Warnung ausgegeben.

Maximal zehn Minuten dauert es heute, bis die Warnung an Stränden und in Dörfern angekommen ist. Ähnlich ist es in Thailand. Spätestens nach zehn Minuten warnt die Zentrale alle Länder um den Indischen Ozean vor einem möglichen Tsunami. Indien hat seit 2006 ein eigenes Frühwarnzentrum.