Aschenputtel bis SchneewittchenHätten Sie's gewusst? Das verblüffende Märchen-ABC der Brüder Grimm

Szene aus Disneys erstem Zeichentrickfilm «Schneewittchen und die sieben Zwerge» von 1937.

„Schneewittchen“ war 1937 Disneys erster Zeichentrickfilm. Hier wird die schöne Maid von den treuen sieben Zwergen und dem Prinzen betrauert.

Sie verzaubern Kinder und Erwachsene gleichermaßen – und das seit mehr als 200 Jahren. Zu Weihnachten gibt's hier eine spannende Reise durch den Grimmschen Märchenwald: von A bis Z. 

von Stefanie Monien (smo)

„Es war einmal“: Drei kleine Worte, so schlicht wie spannend, so gemütlich wie grausig. Sie leiten fast jedes Märchen der Gebrüder Grimm ein – seit mehr als 200 Jahren schon.

Am 20. Dezember 1812 wurden erstmals „Kinder- und Hausmärchen“ (kurz KHM genannt) veröffentlicht, die Jacob und Wilhelm Grimm im Auftrag von Clemens Brentano, einem der bedeutendsten Schriftsteller der Romantik, zusammengesammelt hatten.

Grimms Märchen: Romantisch, aber auch blutrünstig und grausam

Romantisch ist an den Märchen relativ wenig – gut, da reiten schneidige Prinzen auf stolzen Rössern prächtigen Burgen und zarten Jungfrauen entgegen, an lauschigen Brünnlein tauchen entweder Goldkugeln wieder auf oder werden Jungmänner in Rehe verwandelt, herzallerliebste Maiden flechten ihre Haare oder spinnen Stroh zu Gold.

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Auf der anderen Seite aber wimmelt es in den Grimmschen Märchen nur so von verbrecherischen Gestalten, es wird gemordet und gemeuchelt, genötigt und gefoltert, gelogen und betrogen, dass es den lieben Gott (der übrigens in so gut wie jedem Märchen Erwähnung findet) – gruseln könnte. Vom kunterbunten Disney-Zuckerguss à la Cinderella ist in den Original-Märchen nichts zu lesen.

Trotzdem sind Grimms Märchen die unsterblichen Klassiker in den Kinderzimmern – bis heute. Denn am Ende siegt das Gute, Bösewichten wird der Garaus gemacht.

Passend zur Adventszeit – die immer auch (Vor-)Lesezeit ist – reisen wir von A bis Z durch den Märchenwald. Und weil wir Ihnen keine Märchen erzählen wollen, geben wir direkt zu, dass es hier das „Y“ nicht gibt.

Grimms Märchen: Von Hanau bis nach Hollywood

  • Allerleirauh: Im gleichnamigen Märchen kommt ein Mantel aus vielen Pelzarten vor. Also aus allerlei Rau(h)werk, wie Pelze in früherer Zeit auch genannt wurden.
  • Brothers Grimm: Opulent ausgestatteter Hollywoodschinken mit dünner Story von 2005. Orientiert sich vage am Leben der Gebrüder Grimm (gespielt von Matt Damon & Heath Ledger) und deren Märchenfiguren. Hingucker: Monica Bellucci als Spiegelkönigin. Dann doch lieber Märchen (vor-)lesen!
  • Chen: Beliebte und verniedlichende Endsilbe vieler Märchengestalten wie Schneewittchen, Schneeweißchen, Löweneckerchen, Brüderchen.
  • Drosselbart: Als Drossel wird bisweilen die Kehle bezeichnet – daher rührt auch der Begriff „erdrosseln“. Der findige Märchenkönig hat „ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel“ konstatiert die zunächst arrogante Königstochter, die ihn am Ende doch heiratet.
  • Eiserner Heinrich: Treuer Diener des jungen Helden in „Der Froschkönig“. Ist so erleichtert, dass sich sein Herr und Gebieter durch einen Wurf gegen die Wand vom Frosch in einen richtigen König zurückverwandelt, dass die Bänder der Trauer, die sich um sein Herz gelegt hatten, zerspringen. Beliebtes Bonmot: „Heinrich, der Wagen bricht“.
  • Fantasie: Hauptbestandteil der Märchen. Ohne sie würden sich Menschen nicht in Tiere verwandeln und Dinge nicht böse oder gut werden.
  • Gretel: Schwester von Hänsel aus einem der wohl berühmtesten Märchen der Grimms. Die beiden verirren sich im Wald, überlisten die böse Hexe und kommen frei. „Das kluge Gretel“ ist ein weniger bekanntes Märchen um eine findige (und verfressene) Köchin.
  • Hanau: Geburtsort der Grimm-Brüder Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859). Zur Schule gingen sie in Kassel, studierten später in Marburg, wirkten u.a. in Göttingen als Bibliothekare. In Hanau beginnt die Deutsche Märchenstraße, die über mehr als 50 märchenhafte Orte bis Bremen („Stadtmusikanten“) führt.
  • Igel: Protagonist des Wettrennens von „Der Hase und der Igel“. Durch ein geschicktes Manöver (Frau des Igels sitzt am anderen Ackerende) lässt er den hochmütigen Hasen, der sich zuvor über die krummen Beinchen des Igels lustig gemacht hatte, ins Leere laufen. Moral von der Geschicht’: Mache dich nicht über vermeintlich Unterlegene lustig.
  • Jorinde: Wird vor den Augen ihres Verlobten Joringel von einer Zauberin in eine Nachtigall („Zicküth-zicküth“) verwandelt und dank einer Zauberblume wieder in menschliche Gestalt transferiert. Wurde 2011 u. a. mit Katja Flint und Jonas Nay verfilmt.
  • Königin: Meist böse. Am infamsten in „Schneewittchen“. Unternimmt drei Mordanschläge – ohne Erfolg. „Schneewittchen“ bleibt die Schönste, die Intrigantin stirbt qualvoll (siehe auch Buchstabe „S“).
  • Liste: Alle Kinder- und Hausmärchen sind durchnummeriert. Von 001 („Der Froschkönig oder der Eiserne Heinrich“) bis 200 („Der goldene Schlüssel“)
  • Mehlpfötchen: Zeigt der Wolf den sieben Geißlein im gleichnamigen Märchen. Der arme Isegrim hat bei den Grimms stets das Nachsehen. Wird von den Geißen mit Wackersteinen gefüllt und ertrinkt. In „Rotkäppchen“ wird er ebenfalls mit Steinen vollgestopft und stirbt.
  • Nacht: Wenn’s grausig wird im Märchen, ist es stets finster. „Hänsel und Gretel“ irren durch den dunklen Wald, „Rumpelstilzchen“ tanzt nachts enthemmt ums Lagerfeuer. Aber: „Sterntaler“ wird des Nachts reich beschenkt – mit blanken Talern, die vom Himmel fallen.
  • Oll Rinkrank: Unbekannteres Märchen der Grimms um einen gläsernen Berg, eine schöne Königstochter und einen alten Zausel. Lesen lohnt sich!

Märchen: Ein Tummelplatz von  Gewalt und sexuellen Anspielungen

  • Psychologie: Märchen sind eine wahre Fundgrube für sexuelle Andeutungen und tiefenpsychologische Deutungen (wenn man sie denn sucht). Beispiel gefällig? Bei „Rotkäppchen“ soll die rote Farbe Erotik und erblühende Sexualität symbolisieren (so auch bei „Schneewittchen“).
  • Quellen: Einige der Geschichten adaptierten die Grimms vom französischen Märchensammler Charles Perrault (1628-1703), z. B. „Dornröschen“, „Rotkäppchen“, „Der gestiefelte Kater“, „Frau Holle“. Die Ursprungswerke wurden von den Grimms rund 200 Jahre später entschärft. Der Wolf in „Rotkäppchen“ war eigentlich ein Mann, der Mädchen nachstellte. Perraults Fazit: „(...) attraktive, wohlerzogene junge Damen, sollten niemals mit Fremden reden (...)“. Charmante und herzliche „Wölfe“ seien überdies die gefährlichsten.
  • Rapunzel: Nach dem Salat benannte Märchenheldin mit gigantischem Haarwuchs. Deren schwangere Mutter hatte Rapunzeln („sie sahen so frisch und grün aus, dass sie lüstern ward …“) aus dem Garten einer Zauberin gestohlen. Zur Strafe musste sie ihr Baby abgeben. Der Rest ist bekannt – und sogar haarsträubend „Neu verföhnt“ verfilmt (2010).
  • Schuhe: Ein Lieblings-Accessoire der Grimmschen Märchen. Es gibt sie u. a. in den Varianten „verloren“ (von Aschenputtel), „ruiniert“ (von zwölf Königstöchtern in „Die zertanzten Schuhe“; verfilmt mit Dieter Hallervorden) und „glühend“ (Schneewittchens Stiefmutter muss sich in den rotglühenden Pantoffeln zu Tode tanzen).
  • Tugend: Kein Märchen kommt ohne aus. Besonders die jungen Mädchen und Frauen sind gottergeben, bescheiden, fleißig, passiv – und natürlich geschickte Hausfrauen. Kann ja nur ein Märchen sein …
  • Und wenn sie nicht gestorben sind: … leben sie noch heute. Klassischer Schluss vieler Grimmscher Märchen. Die Alternative lautet: „Beide lebten noch lange glücklich und vergnügt“.

Grimms Märchen: Nicht nur zu Weihnachten verzaubern sie

  • Verwünscht: Häufiger Zustand männlicher Märchen-Protagonisten. Die werden in Amphibien („Der Froschkönig“), Sumpfwesen („Eisenhans“) oder Bären („Schneeweißchen & Rosenrot“) verwandelt.
  • Wanderschaft: Auf die müssen sich viele Märchenmänner begeben, von „Hans im Glück“ bis „Däumeling“.
  • Xenophobie: Die Angst bzw. Skepsis vor Fremden oder „der Fremde“ zieht sich wie ein roter Faden durch so gut wie alle Grimmschen Märchen.
  • Zielgruppe: Die Gebrüder Grimm hatten nie im Sinn, Märchen für Kinder zu sammeln. Sondern moralische Geschichten für Erwachsene.

Und wer von Märchen einfach nicht genug bekommen kann, dem sei ein Blick in die Mediatheken beispielsweise von ARD und ZDF empfohlen: Hier gibt's Märchenfilme en masse, ebenso bei Streamingdiensten wie unter anderem Netflix, Amazon Prime. (smo)