Corona in IsraelInfektionszahlen explodieren trotz Impfung – wie kann das sein?

Frau bereitet Corona-Impfung vor

Eine Mitarbeiterin eines mobilen Impfteams zieht in Halberstadt eine Spritze auf.

von Sebastian Oldenborg (so)

Köln – Die ganze Welt hofft, mit den Impfstoffen die Corona-Pandemie nach einem Jahr endlich in den Griff zu bekommen. Wo es geht, wird geimpft, was das Zeug hält. In Israel zum Beispiel. Im Rahmen der Impfkampagne sind in dem Land in rund drei Wochen bereits 20 Prozent der Bevölkerung geimpft worden, 1,9 Millionen Bürger (zum Vergleich: Im neunmal so großen Deutschland sind es laut RKI am 15. Januar rund 961.000 Menschen, also 1,1 Prozent).

Soweit die positive Nachricht. Doch gleichzeitig erreichen uns aus Israel auch andere Meldungen: Dort wurden nun den vierten Tag in Folge mehr als 9000 Corona-Neuinfektionen registriert. Es sind die höchsten Werte seit Beginn der Pandemie. Und das obwohl doch schon so viele Menschen geimpft worden sind.

Wie kann das sein? Bringt die Impfung doch nichts im Kampf gegen die Pandemie?

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Hohe Infektionszahlen trotz Impfungen: Das steckt dahinter

Natürlich bringe sie etwas, meint Karl Lauterbach (57). Im EXPRESS-Interview erklärt der SPD-Gesundheitsexperte, warum in Israel die Zahlen trotz Impfungen explodieren.

Demnach verbreite sich das Virus derzeit in der Gruppe der 80 Prozent, die noch nicht geimpft wurden, sehr schnell. „Man kann kaum so schnell impfen, wie die Menschen sich infizieren“, so Lauterbach. Deshalb würden Impfungen auch einen Lockdown nicht überflüssig machen.

Genau ein solcher harter Lockdown gilt aktuell in Israel. Dort ist die Bewegungsfreiheit der Bürger massiv eingeschränkt. Menschen dürfen das eigene Haus oder die eigene Wohnung nur noch in einem Umkreis von 1000 Metern verlassen.

Aus Sicht Lauterbachs genau das richtige Vorgehen – angesichts der hohen Infektionszahlen. „Die Impfung hat in erster Linie ihren Wert, wenn sie appliziert werden kann unter den Bedingungen, dass die Kontrolle über das Infektionsgeschehen einmal erreicht ist.“

Corona: Wann sinken Infektionszahlen dank Impfungen?

Aber wie lange dauert es, bis sich die Impfungen auch in den Infektionszahlen niederschlagen? Wann sehen wir – auch in Deutschland – einen „Impf-Effekt“?

Für Israel rechnen Experten bald mit dem Rückgang der Zahlen. Das erwartet auch Karl Lauterbach. „Wenn so schnell geimpft wird, wie in Israel, ist ein Einfluss der Impfung auf die Infektionszahlen innerhalb weniger Wochen zu erwarten, insbesondere wenn es gelingt, diese extrem schnelle Ausbreitung in den Griff zu bekommen“, sagt er EXPRESS.

Der SPD-Politiker stellt aber gleichzeitig klar: „Das ist für Deutschland nicht zu erwarten. Wir werden bis Ende Juni einen Impfschutz für nur 25 Millionen Menschen herleiten können. Das ist einfach zu wenig, um einen nennenswerten Einfluss auf das Ausbreitungsgeschehen zu haben.“

Corona-Ausbrüche nach Impfung: Darum kann es passieren

Aber ist es ausgeschlossen, dass es einen Zusammenhang zwischen Impfung und Infektion gibt? Ist es Zufall, dass der massive Anstieg der Infektionszahlen in Israel kurz nach den Impfungen auftrat? Nach einem Bericht der „WAZ“ traten kürzlich auch in einem Oberhausener Seniorenheim Infektionen nach einer Impf-Aktion auf.

Lauterbach dazu: „Wir haben keine Hinweise darauf, dass es zu Erkrankungen gekommen ist trotz Impfung. Und wenn es zu Erkrankungen kommt trotz Impfungen, sind das meistens Infektionen, die in den ersten 14 Tagen passieren, wenn der Impfschutz noch nicht perfekt ist.“

Denn durch die Impfung ist man nicht von jetzt auf gleich immun. Der Körper muss erst darauf reagieren. Die Impfung ist also kein Allheilmittel, das mit Verabreichung der Spritze sofort alle Gefahr bannt.

Lauterbach weiter: „Nach der ersten Impfung, wenn man von den ersten 14 Tagen absieht, geht man davon aus, dass danach ein 90-prozentiger Impfschutz bei Biontech und Moderna erreicht ist. Trotzdem ist eine zweite Impfung notwendig, weil die Dauer des Impfschutzes auch an der zweiten Impfung hängt. Deshalb kann eine zweite Impfung nicht eingespart werden.“

Karl Lauterbach fordert weitere Corona-Maßnahmen für Deutschland

Wie geht es also in Deutschland mit Corona weiter?

„Wie stark sich die Pandemie ausbreitet, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden, wo die Entscheidung ansteht, ob die neue Mutante sich durchsetzt oder nicht“, sagt Lauterbach mit Blick auf die als deutlich ansteckender geltende Corona-Variante aus Großbritannien.

Wegen der großen Sorge vor der Mutation haben Bund und Länder ihre Beratungen über mögliche schärfere Beschränkungen auf kommenden Dienstag (19. Januar 2021) vorgezogen. 

Verschiedene Politiker, etwa Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) oder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprechen sich für weitere Corona-Maßnahmen aus. Sie zielen dabei auf mehr Homeoffice und noch weniger Kontakte ab.

Auch Gesundheitsexperte Lauterbach hält es für sinnvoll, den Lockdown zu verschärfen. „Mit dem Tempo, mit dem wir derzeit die Inzidenzzahlen reduzieren, werden wir möglicherweise das rettende Ufer einer Inzidenz von 25 pro 100.000 pro sieben Tage nicht rechtzeitig erreichen, bevor die neuen Varianten da sind.“

Dabei sieht Karl Lauterbach vor allem in einem Bereich noch Nachholbedarf, was die Corona-Schutzmaßnahmen angeht: „Bei Verschärfungen müssten die Arbeitsstätten und Betriebe stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.“ Er meint: „Die Zahl der Kontakte, die arbeitsbedingt stattfinden, ist viel zu hoch, um einen wirklich erfolgreichen harten Lockdown durchführen zu können.“

FFP2-Maskenpflicht in Deutschland? Karl Lauterbach grundsätzlich dafür

Auch zum Thema FFP2-Maske hat er eine klare Meinung. Besonders im ÖPNV und Geschäften seien diese „sehr sinnvoll“, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Aber: Lauterbach sagt auch, dass die Länder dann dafür sorgten müssten, dass auch Menschen, die sich eine solche Maske einkommensbedingt nicht leisten können, einen entsprechenden Zugang bekämen. Sei es durch kostenfreie Masken oder einen entsprechenden Zuschuss.