+++ FAHNDUNG +++ Wer kennt ihn? Mit Messer gedroht – Kölner Polizei sucht Räuber, der kleine Kinder ausrauben wollte

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Wie kann das sein?Justiz-Drama in NRW: Verurteilter Mörder läuft frei herum

Schalla-Mörder mit Gerichtsdienern

Der Angeklagte wird von Justizmitarbeitern über den Flur des Landgerichts begleitet (Foto vom August 2020).

Dortmund – Die Nachricht deutete auf einen Skandal hin: Demnach war der mutmaßliche Mörder der 16-jährigen Nicole Schalla abgetaucht, weil ihn die Gerichte frei herumlaufen ließen. Dies legten manche Schlagzeilen nahe. Der mehrfach vorbestrafte Gewaltverbrecher Ralf H., der sich bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung auf freiem Fuß befand, schien verschwunden zu sein. Schon schrillten die Alarmglocken.

  • Verurteilter Mörder auf freiem Fuß
  • Justiz-Drama um Mordprozess der getöteten Nicole Schalla
  • Für die Eltern des getöteten Mädchens ist die Situation ein Martyrium

Schließlich soll laut einer Risikoprognose der Polizei Münster von dem Tatverdächtigen weiterhin Gefahr für seine Umwelt ausgehen. Angesichts seiner kriminellen Biografie schlossen die Ermittler insbesondere Gewalttaten gegen Frauen nicht aus. Im Zuge der Gefahrenabwehr hatte die Polizei beim Amtsgericht Münster gegen den 56-Jährigen das Tragen einer Fußfessel beantragt.

Mordfall Nicole Schalla: Verurteilter Mörder erscheint nicht vor Gericht

Doch zum ersten Termin für die nichtöffentliche Verhandlung war der Delinquent am Mittwoch (24. März) nicht erschienen. War da jemand auf der Flucht?

Sein Anwalt Udo Vetter spricht gegenüber EXPRESS „von einem großen Sturm im Wasserglas, das ist definitiv eine Falschmeldung“. Die Polizei habe in ihrem Gerichtsantrag eine alte Adresse angegeben. „Dort lebt mein Mandant schon anderthalb Jahre nicht mehr“, führte der Strafverteidiger aus, „deshalb kam die Ladung als unzustellbar zurück.“

Schalla-Mörder vor Presse

Der Angeklagte vor Journalisten im Gericht (Foto vom August 2020).

Erst vorigen Samstag habe sein Klient eine Mitteilung an seine aktuelle Adresse bekommen. Der neue Termin zum Thema Fußfessel soll am Mittwoch (31. März) stattfinden. „Mein Mandant hat mir versichert, dass er dort auch erscheinen wird.“ Dies habe er auch dem zuständigen Amtsrichter mitgeteilt.

„Dass man seitens der Polizei nicht in der Lage ist, die richtige Anschrift herauszufinden geht mir gegen die Hutschnur“, schimpft der Düsseldorfer Anwalt.

Mordfall Nicole Schalla erst nach 25 Jahren vor Gericht

Seit Jahren bewegt dieser außergewöhnliche Fall die Region. Zumal es eher selten vorkommt, dass ein wegen Mordes Verurteilter nicht sofort ins Gefängnis muss.

Die Geschichte beginnt am 14. Oktober im Jahr 1993. An jenem Abend verlässt die 16-jährige Nicole Schalla gegen 22.45 Uhr an einer Haltestelle in Dortmund den 462er Bus. Den restlichen Weg zu ihrem Elternhaus legt sie zu Fuß zurück. Musik dröhnt aus den Kopfhörern ihres Walkmans. Und so hört sie nicht, wie sich von hinten ein Mann anschleicht.

Er überwältigt die Jugendliche, reißt ihr Hose sowie Slip herunter, missbraucht und erwürgt sie. Tags darauf wird die Leiche in einem Gebüsch nahe einer Grundschule gefunden.

Verdächtiger durch neue DNA-Analysetechnik überführt

Es sollen fast 25 Jahre vergehen, ehe Ermittler in Dortmund in dem Cold Case (Altfall) das alte Spurenmaterial mit Hilfe neuer DNA-Analysetechnik untersuchen lassen. Einer Kriminalbiologin gelingt der Durchbruch.

Eine Hautschuppe, gefunden im Leistenbereich des Opfers, führt zu einem Treffer in der DNA-Analyse-Datei (DAD) des Bundeskriminalamts. In dem Register sind 870.000 Personen mit ihrem genetischen Fingerabdruck gespeichert.

Die Fährte führt zu Ralf H.. Geboren in Castrop-Rauxel, ist der Mann bereits wegen des Überfalls auf fünf Frauen aktenkundig. 1999 muss H. eine Speichelprobe in die DAD einstellen lassen. Bis zum Jahr 2011 sitzt er sogar in Sicherungsverwahrung. Als das Bundesverfassungsgericht die alte Regelung verwirft, kommt der Häftling frei.

Mit Untersuchungshaft beginnt Justiz-Drama im Mordfall Nicole Schalla

Sieben Jahre später scheint er durch den Gentreffer des Mordes an Nicole Schalla überführt und wandert in Untersuchungshaft. Zumal das Aussehen des Tatverdächtigen zu Aussagen von Zeugen aus dem Bus passt. Demnach hatte ein Mann im letzten Moment ebenfalls den Bus verlassen, nachdem sein späteres Opfer ausgestiegen war.

Damit aber nimmt ein Justizdrama sondergleichen seinen Lauf. Ende 2018 beginnt der Prozess gegen den Tatverdächtigen. Die Hauptverhandlung zieht sich. Eine Richterin erkrankt kurz vor dem Ende des Verfahrens. Dann muss auch noch der Vorsitzende der Großen Strafkammer wegen coronabedingter Gesundheitsgefährdung ausgewechselt werden. Der Prozess platzt im März 2020.

Der Neustart dauert der nächsthöheren Instanz hingegen zu lange.

Angeklagter im Mordfall Nicole Schalla auf freiem Fuß

Und so entscheidet das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Sommer 2020, den Angeklagten freizulassen und den Haftbefehl aufzuheben. Die Voraussetzungen für die Verlängerung der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus lägen nicht mehr vor, begründet der Senat seinen Beschluss.

„Dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen sei in dem aufgrund der Dauer der Untersuchungshaft von über zwei Jahren besonders gebotenen Umfang nicht hinreichend Rechnung getragen worden“, so der Tenor. Dabei stützt man sich auf gängige Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht.

Ralf H. wird aus der Haft entlassen, fortan lebt er wieder in Münster. Bei der Neuauflage des Mordprozesses Nicole Schalla im August 2020 setzt er sich freiwillig auf die Anklagebank. Erneut geht es vor allem um den Beweiswert der DNA-Treffer. Die Verteidiger weisen auf mögliche andere Täter hin, da auch noch Genspuren unbekannter Personen am Tatort gefunden worden waren.

Letztlich aber fördern weitere Analysen auch ein Haar des Angeklagten an der Leiche zu Tage.

Seelisches Martysium für Eltern von Nicole Schalla

Für die Eltern des getöteten Mädchens entwickelt sich der Prozess zu einem seelischen Martyrium. Während der Plädoyers erleidet die Mutter gar einen Herzinfarkt.

Stets hat der Angeklagte die Vorwürfe vehement zurückgewiesen, in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung bittet er um einen Freispruch.

Ein erfolgloses Ansinnen. Am 25. Januar 2021 spricht das Schwurgericht Ralf H. für schuldig. „Er neigte damals dazu, Überfälle auf Frauen durchzuführen“, führt der Vorsitzende aus. „Da passt diese Tat ins Bild.“ Ferner weist er auf zwei eindeutige DNA-Spuren hin. Normalerweise erfolgt nach solchen Schuldsprüchen umgehend der Abgang ins Gefängnis.

Trotz Schulspruch bleibt Verurteilter freier Mann

Dieses Mal aber nicht. Das Gericht will keinen neuen Haftbefehl erlassen. Der Verurteilte darf das Gerichtsgebäude als freier Mann verlassen, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Aus Sicht der Strafkammer besteht auch keine Fluchtgefahr, da sich der Verurteilte bisher stets dem Verfahren gestellt habe.

Dabei wird deutlich, dass der OLG-Beschluss, den Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer freizulassen, dem Schwurgericht die Hände bindet.

Bestätigt wird die Einschätzung einen Monat später. Erfolglos legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein und drängt darauf, den mutmaßlichen Sexualmörder erneut festzusetzen. Der erste Strafsenat des OLG Hamm schmettert den Antrag ab. Nach wie vor gelte der Beschleunigungsgrundsatz. Solange der Angeklagte noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, sei eine Inhaftierung unverhältnismäßig, so die Begründung. Auch wenn sich durch das Urteil „der staatliche Strafverfolgungsanspruch vergrößert habe“, müsse er gegenüber dem Freiheitsanspruch des Angeklagten zurücktreten“.

Bekommt Ralf H. Fußfessel oder nicht?

Dessen Verteidiger hat Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Bis Karlsruhe entscheidet, können noch Monate vergehen. Ralf H. lebt nach Angaben seines Anwalts mit seiner Freundin friedlich in Münster. „Und wir sind sehr zuversichtlich, dass der BGH das Urteil aufheben wird.“

Wie auch immer das Verfahren ausgeht. Derzeit stellt sich die Frage, wie gehen die Sicherheitsbehörden mit einem mutmaßlichen Mörder um, der aus ihrer Sicht eine Gefahr darstellt? Am Mittwoch (31. März) wird wieder ein Richter entscheiden: Fußfessel ja oder nein. Und erneut, wird der Fall Schlagzeilen schreiben.