Drama bei BonnThomas (56) brach im Stadion zusammen – „Ohne meine Retter wäre ich jetzt tot“

Ein Mann hat seine Arme um die Schultern zweier Frauen gelegt, daneben steht ein weiterer Mann.

Thomas Schlieber (im Trainingsanzug) vom SC Villip hat seine Retterinnen Dagmar Endler und Karo Kruff und seinen Retter Oliver Meyer, EXPRESS.de-Reporter, getroffen. 

Zu einer dramatischen Lebensrettung ist es in der Nähe von Bonn gekommen. EXPRESS.de-Reporter Oliver Meyer war einer der Ersthelfer, die einen Familienvater zurück ins Leben holten. 

von Oliver Meyer  (mey)

Vor wenigen Tagen in Wachtberg-Villip auf dem dortigen Kunstrasenplatz: Während der Partie SC Villip gegen SV Hertha Buschhoven steht ein Mann an der Seitenlinie. Er ist groß gewachsen, schlank, trägt einen Trainingsanzug. Er lächelt, immer wieder begrüßen ihn Zuschauer oder Auswechselspieler per Handschlag. Manche umarmen ihn, halten ihn ganz fest.

Es ist Villips Torwart-Trainer Thomas Schlieber (56). Eigentlich wäre er gar nicht mehr bei diesem Spiel – oder irgendeinem anderen...

Beim Wintercup bricht Thomas Schlieber vom SC Villip zusammen

Denn Thomas war genau vier Monate zuvor bei einem Spiel zusammengebrochen. Ein wohl tödlicher Kollaps – wäre er allein gewesen. Dass Thomas noch lebt, verdankt er seinen Rettern: Sozialarbeiterin Dagmar Endler, Oberärztin Karo Kruff und EXPRESS.de-Redakteur Oliver Meyer – das bin ich. 

Am 2. Februar 2025 spielt die erste Mannschaft von Villip beim Winter-Cup in Altendorf (bei Meckenheim) gegen den SV Wormersdorf. Wie üblich steht der 56-Jährige am Spielfeldrand. Es ist die 49. Spielminute, als Thomas sich eine Zigarette anzündet. Plötzlich strauchelt er, kippt nach vorne und schlägt mit dem Gesicht auf dem Spielfeld auf.

Zuschauer, Zuschauerinnen und Spieler sind entsetzt – und ebenso hilflos. Dagmar und Karo, die den Vorfall als Zuschauerinnen mitbekommen haben, handeln sofort, eilen herbei, prüfen Puls und Atmung – nichts. Ich komme hinzu, um die Frauen zu unterstützen. Denn in meinem Job als Polizeireporter habe ich zahlreiche Reanimationen bei Unfällen erlebt und es schließlich auch bei einem Kurs mit einem Kölner Notarzt gelernt.

Wie ein eingespieltes Team starten wir die lebensrettenden Maßnahmen. Thomas liegt auf dem Rücken, Karo überstreckt den Kopf des Leblosen nach hinten, damit er seine Zunge nicht verschluckt. Dagmar sagt nur knapp: „Da ist nichts mehr, Reanimation.“ Ich rufe den geschockten Spielern zu: „Ruft einen Notarzt.“


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Dagmar weiß als ehemalige Krankenschwester, was zu tun ist. Sie legt ihre Handflächen mittig übereinander auf den Brustkorb von Thomas – und presst im Takt des Bee Gees-Klassikers „Stayin Alive“ mehr als 100-mal pro Minute den Brustkorb fünf bis sechs Zentimeter tief ein.

Nach rund 30 Sekunden sagt Dagmar: „Achtung, jetzt beatmen.“ Karo hält Thomas die Nase zu und pustet zwei tiefe Atemzüge ihrer Luft in den Mund von Thomas. Seine Lunge hebt sich sichtbar, wird mit etwas Sauerstoff versorgt. Dann übernehme ich die Herzdruckmassage, während Dagmar kurz Pause macht. Denn: Eine Herzdruckmassage ist sehr anstrengend, bestätigen Ärzte. Daher ist das Abwechseln sehr wichtig.

Währenddessen bilden Spieler einen Sichtschutz. Viele sind geschockt von den Szenen, Tränen laufen. Der Schiri hat das Spiel längst abgebrochen.

Drama auf dem Fußballrasen: Vorsitzender des SC Villip dankt Trio

Jens Schure, 1. Vorsitzender des SC Villip, wird später sagen: „Wir waren mit der Situation völlig überfordert, mit so etwas rechnet man ja nicht. Daher war es gut, dass Dagmar, Karo und Oliver sofort wussten, was zu tun ist.“

Der Kampf um Leben und Tod geht auf dem Rasen weiter. Nach rund zwei Minuten hat Thomas plötzlich wieder einen Puls und bewegt sich. Sofort bringen die Retter ihn in die stabile Seitenlage. Ich spreche ihn an: „Thomas, Hilfe ist unterwegs, du musst durchhalten.“ Doch erneut brechen Herz und Kreislauf zusammen. Wir starten wieder mit Herzdruckmassage und Beatmung. Karo ruft den Spielern zu: „Wir brauchen einen Defibrillator, dringend.“

Weil kein „Defi“ im Vereinsheim hängt, springt ein Spieler auf ein Fahrrad – denn er weiß, dass ein Bauer im Dorf ein solches Gerät auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen hängen hat.

Aus der Ferne hört man nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich das Martinshorn der Retter. Minuten vergehen noch, bis Notarzt und Sanitäter eintreffen – parallel mit dem Spieler, der tatsächlich einen sogenannten AED (Automatisierter Externer Defibrillator) organisiert hat. Noch bevor die „Profis“ übernehmen, lösen die drei Helfer den „Stromschock“ aus – mit Erfolg. Thomas kommt zu sich, ist ansprechbar und kann mit dem Notarzt sprechen.

Aber die Gefahr ist nicht vorbei – das Herz von Thomas setzt im Rettungswagen erneut aus, wieder muss er reanimiert werden. Im Krankenhaus ein weiteres Mal. Seine Überlebenschancen stehen laut den Ärzten bei einem Prozent. Ehefrau Sandra (54) berichtet später: „Die Klinik rief mich am Montag an und meinte, ich soll zu Thomas kommen. Er würde die folgende Nacht wohl nicht überstehen.“

Doch der 56-Jährige kämpfte sich zurück ins Leben. „Die Ärzte sprechen von einem Wunder, dass er es überstanden hat“, sagt Ehefrau Sandra. Thomas hatte einen Vorderwand-Infarkt erlitten, bekam drei Stents gesetzt, die nun die Verengung weiten. Und Thomas hat es nicht nur einfach überstanden, er leidet unter keinerlei Spätfolgen.

„Die Ärzte sagten mir, dass die Ersthelfer ihm das Leben gerettet haben. Ohne ihr sofortiges Eingreifen auf dem Fußballplatz und der Wiederbelebung läge er jetzt auf dem Friedhof“, sagt Sandra mit Tränen in den Augen.

Zwei Männer geben sich die Hand.

Dankbar schüttelt Thomas Schlieber EXPRESS.de-Reporter Oliver Meyer die Hand.

Und Thomas? Als er nach dem Spiel gegen Buschhoven dann seine „Retter“ persönlich trifft, fehlen ihm einfach die Worte. „Danke“ bekommt er noch raus. Aber wenig später fasst er sich und sagt: „Sorry, aber ich musste das jetzt grade erst einmal verarbeiten. Ihr habt mir das Leben gerettet. Ohne euch wäre ich nicht mehr hier. Ich werde euch nie vergessen.“

Thomas kann sich nicht mehr an den Moment erinnern, als er zusammenbrach: „Der Tag und der folgende sind ausgelöscht. Ich weiß nur noch, dass ich einen Schmerz in der Brust spürte, als würde ich erschossen werden.“ Möglicherweise war das der Moment, als der Defibrillator ausgelöst wurde und der Strom durch seinen Körper jagte.

Inzwischen geht Thomas sogar wieder beim Deutschen Jagdverband in Bonn-Bad Godesberg arbeiten. Dort ist er im Vertrieb beschäftigt. Ab dem 30. Juni stehen die Spieler des SC Villip zur Vorbereitung auf die kommende Saison wieder auf dem Platz – und Thomas, ihr Torwarttrainer, ist dann wieder dabei.