Die geheime Akte HitlerCIA veröffentlicht Psychogramm – aber warum fehlt Seite 36?

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Hitler ließ der CIA lange keine Ruhe, sie wähnte ihn zeitweise am Leben und in Südamerika.

Halle (Saale) – Es hat 55 Jahre gedauert, bis die Dokumente freigegeben werden durften. Dann noch einmal 18, bis sie veröffentlicht wurden. Und nun fehlt Seite 36, auf der es nun ausgerechnet um die Sexualität des Mannes gehen soll, der Europa Mitte des vergangenen Jahrhunderts in einen verheerenden Weltkrieg stürzte, der den millionenfachen Mord an den Juden befahl und sich seinen weltlichen Richtern am Ende durch Selbstmord entzog. Adolf Hitler ist seitdem als Gespenst unterwegs, allgegenwärtig im Dokumentarfernsehen und von einer endlosen Reihe von mehr oder weniger wissenschaftlich arbeitenden Autoren beschrieben, erklärt und psychologisch ausgedeutet.

CIA und Hitler-Intimus Hanfstaengl fertigten das Dokument an

Wissenschaftlich ist nun gar nichts an dem Papier, das der US-Auslandsgeheimdienstes CIA jetzt in seinem Online-Archiv veröffentlicht hat. Die 68 Seiten, von denen eine verschwunden ist, enthalten ein Psychogramm Adolf Hitlers, das Henry Field vom CIA-Vorgängerdienst Office of Strategic Services (OSS) 1942 mit Hilfe des langjährigen Hitler-Intimus Ernst Hanfstaengl anfertigte. Hanfstaengl, von Freunden „Putzi“ genannt, war ein schillernder Kunsthändler. Geboren in München, lebte er in New York und studierte sogar zusammen mit dem späteren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, fühlte sich aber als strammer Nationalist und entflammte bereits zu Beginn der 20er Jahre in Begeisterung für den gerade 33-jährigen Chef der NSDAP.

Hanfstaengl seinerseits begeisterte Hitler durch sein Klavierspiel, aber auch durch seine Bereitschaft, seine Verbindungen in die Wirtschaft zu nutzen, um dem stets klammen Naziführer frische Geldmittel zuzuführen. Erst Mitte der 30 Jahre, Hanfstaengl war mittlerweile zum Auslandspressechef der NSDAP aufgestiegen, kühlte sich das Verhältnis ab. Hanfstaengl fühlte sich nach kritischen Äußerungen im kleinen Kreis, die anderen Naziführern hinterbracht worden waren, verfolgt und er bekam Angst um sein Leben. Nachdem er einem Mordanschlag nur durch eine Notlandung seines Flugzeuges auf dem kleinen Flugplatz Klein-Polenz in der Nähe von Leipzig hatte entgehen können, flüchtete er schließlich über die Schweiz in die USA.

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46 Unterpunkte beschreiben Hitlers Psyche

Wo die Beamten des OSS schon warteten, wie das jetzt veröffentlichte Dokument mit dem Stempel „Geheim“ zeigt. Ohne Hinweise auf die Quelle - Hanfstaengl wird im Papier selbst durchweg mit seinem Tarnnamen „Dr. Sedgwick“ bezeichnet - seziert das Papier die Persönlichkeit Hitlers in 46 Unterpunkten. Angefangen von Hitlers Familie über seine Vorlieben beim Schreiben, seine Abscheu vor Sport jeder Art, seinen Ess- und Schlafgewohnheiten bis hin zu Hitlers eng umgrenzten musikalischen und literarischen Interessen packt Hanfstaengl alias Sedgwick aus, was er in 15 Jahren im engsten Umfeld des „Führers“ an Informationen gesammelt hat. Dass Hitler, der sich anfangs „Trommler“ genannt habe, „Zigeuner-Musik“ ebenso liebte wie jüdische Filmkomödien, den Tod seiner Mutter als „größten Verlust“ bezeichnet habe, aber andererseits in einer Welt aus dramatische Aktion lebe, die keine Ruhe kenne. Er lese Bücher nur, um seine eigenen Gedanken bestätigt zu finden oder um von großen Führergestalten der Geschichte zu lernen. „Eine gute Phrase ist ihm mehr wert als eine ganze Ladung Theorie.“ Neben Oliver Cromwell hätten Friedrich der Große, Napoleon und der preußische General Leberecht von Blücher Hitler stets am meisten fasziniert: Dabei interessiere er sich aber nur für die Actionteile in deren Biografien.

Eine Seite der Hanfstaengl-Akte ist verschwunden.

Eine Seite der Hanfstaengl-Akte ist verschwunden.

Ein Mann, schon mit Mitte 30 völlig von sich und seiner Mission überzeugt. Als Hanfstaengl ihn 1923 auf seinen hässlichen schmalen Bart angesprochen habe, habe Hitler ruhig geantwortet: „Der Bart mag nicht modisch sein, aber er wird modisch werden, wenn ich ihn trage.“

Hanfstaengl weiss alles über Adolf Hitler

Hanfstaengl, zwei Jahre älter als Hitler, ist ein ausgezeichneter Beobachter. Er weiß alles über Hitlers Körperpflege, seine Ausdauer beim Arbeiten und seine Gewohnheit, auch nach zwei ausgelassenen Mahlzeiten zuerst einmal seinen Chauffeur essen zu lassen, ehe er selbst zugreife. Manche Gewohnheit kann aber auch der in den USA als englischer Kriegsgefangener lebende Hanfstaengl nicht erklären: So durchschreite Hitler Zimmer beim Nachdenken stets von Ecke zu Ecke, nie von Wand zu Wand. „Möglicherweise ein Angewohntheit, die noch aus dem Gefängnis stammt.“ Andere Eigenarten habe er sich später zugelegt, etwa die, vor seinen Reden speziell für ihn angefertigte Getränke zu sich zu nehmen, beim Reden niemals seine Jacke abzulegen und erst glücklich zu sein, wenn er sich selbst schweißgebadet in völlige Erschöpfung geredet habe.

Dem OSS, für den auch der spätere DDR-Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski arbeitete, kam es darauf an, hinter die öffentliche Fassade des Hauptkriegsgegners zu schauen, um dessen Persönlichkeit einschätzen zu können. Hanfstaengl konnte liefern: Hitler sei eine Mischung aus Fuchs und Wolf, sagt er, werde am Ende aber immer wie ein Wolf handeln. Er trinke kein Bier mehr und rauche auch nicht mehr, um seine Fähigkeiten als Redner zu verbessern. Auf gleiche Weise habe er häufig begründet, warum es keine Frau in seinem Leben gebe: „Meine einzige Braut ist das Vaterland.“

„Er ist homo- und heterosexuell, so wie er Sozialist und Nationalist ist“

„Putzi“ Hanfstaengl hielt das für eine Ausrede. Hitler habe in seiner Wiener Zeit schlechte Erfahrungen mit einer Prostituierten gemacht und sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert, andererseits im Männerheim Affären zwischen Männern beobachtet. Das habe ihn angezogen und abgestoßen, denn seine Sexualität gleiche seiner politischen Ausrichtung: „Er ist homo- und heterosexuell, so wie er Sozialist und Nationalist ist.“ Was Hitler suche, sei eine Halb-Mutter und Halb-Geliebte. Weil er die nicht finden könne, habe er sich „in grüblerische Isolation“ zurückgezogen.

Dieser Text erschien zuerst in der „Mitteldeutschen Zeitung”.

(red)