Mit Roma-Kind und ProstituierterWas diese Kölner Krippe so außergewöhnlich macht

Die Milieu-Krippe in der Kirche St. Maria in Lyskirchen

Die Milieu-Krippe steht im Südschiff der Kirche St. Maria in Lyskirchen. Das Foto wurde am 11. Dezember 2023 aufgenommen.

In der Kirche St. Maria in Lyskirchen ist derzeit eine besondere Krippe aufgebaut. Benjamin Marx (69) ist der „Schöpfer“ der „Milieu-Krippe“.

von Ayhan Demirci (ade)

Wer in dunklen Zeiten Trost, aber auch frohen Mut sucht: Es gibt eine Krippe in Köln, die einen ganz besonderen Charakter hat.

In St. Maria in Lyskirchen, der kleinsten der zwölf großen romanischen Kirchen Kölns, ist sie seit 25 Jahren zu Hause. EXPRESS.de hat den „Schöpfer“ der sogenannten „Milieu-Krippe“, Benjamin Marx (69), vor Ort, im Südschiff der Kirche, besucht.

Kölner „Milieu-Krippe“ – Zeichen gegen Hass und Unversöhnlichkeit

Gegen Hass und Unversöhnlichkeit setzt er ein Zeichen der Menschlichkeit. Ein Krippenbauer als Brückenbauer. Mit seinem Engagement hat die besondere Kölner Krippe schon weit über Köln eine gewisse Bekanntheit erlangt: Sogar die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ stellten sie vor.

Die Krippe zeigt nicht nur biblische Figuren und das klassische Bild mit Hirten, Ochs und Esel – Marx hat die alten Straßenzüge des Viertels zur Kulisse gemacht, das Leben im Quartier zeigt sich in einem Nebeneinander von 35, zuletzt vom Siegburger Bildhauer Leif-Erik Voss und zuvor von Heinz Kuhle handgeschnitzten Krippenfiguren, die Menschen verschiedener Couleur darstellen.

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Da ist der Apotheker und die muslimische Frau mit Kopftuch, eine Hausfrau und ein Roma-Kind, der Mann in Lack und Leder und eine Prostituierte; dann ist da die Frau Brecht, eine früher im Viertel lebende Sängerin des Kölner Opernchors und die Frau Müller-Hermann, die in den Anfangsjahren der Krippe die Figuren mit viel Liebe zum Detail ankleidete; da ist ein Flüchtling aus Eritrea und ein Gläubiger mit jüdischem Gebetsschal – sie alle haben ihren berechtigten Platz in diesem Viertel.

Die Milieu-Krippe in der Kirche St. Maria in Lyskirchen.
Im Bild Benjamin Marx.

Benjamin Marx inmitten der Krippe, die ihm seit 25 Jahren eine Herzenssache ist. Das Foto wurde am 11. Dezember 2023 aufgenommen.

Ist also alles gut? Nein. „Die sind so“, steht groß auf einer Litfaßsäule, und da ist eine Gruppe tuschelnder Leute, die mit dem Finger zeigen und genau zu wissen glauben, wie vor allem „diese anderen“ sind, die Flüchtenden, die Ausländer und Ausländerinnen, die Schwulen, die Moslems und Muslimas oder die Juden und Jüdinnen.

Benjamin Marx: „Jesus ist für alle geboren“

„Der Grundgedanke der Krippe ist: Jesus ist für alle geboren“, sagt Marx –, „aber wir Menschen haben Vorurteile, wir wissen alle, wie andere sind. Ich bin motiviert, eher das Verbindende in den Kulturen zu sehen als das Trennende, wie das momentan der Fall ist.“

Er erzählt, wie die Verkündigung an Maria dargestellt ist, der Engel Gabriel ist dabei als Schatten zu sehen: „Der Text im Lukas-Evangelium lautet, dass der Engel eben Maria in Nazareth erschienen ist und ihr gesagt hat, dass sie ein Kind zur Welt bringen wird. Interessant ist: Fast wortgleich steht dies im Koran, in der Sure Meryem. Vor einigen Jahren hatte ich beide Texte nebeneinander in die Krippe gestellt, um die Menschen daran zu erinnern.“

Marx ist studierter Psychologe, er lebt seit 40 Jahren in der Straße an Lyskirchen. „Die Botschaft von Weihnachten ist ja heute noch gültig. Frieden auf Erden haben die Engel verkündet – und das habe ich in das Zeitgeschehen von heute genommen und habe die Krippe verlagert in diese Straße hier.“

Die Milieu-Krippe in der Kirche St. Maria in Lyskirchen. Eine Detailaufnahme von vier Figuren.

Vier der Figuren, die Benjamin Marx jedes Jahr neu in Szene setzt: (v.l.) Die Wäscherin Magret Kohnen, die ein Veedels-Original war, der queere Mann mit Ledermütze, die Muslimin mit Kopftuch und ein Roma-Mädchen mit Geige.

Jedes Jahr gibt Marx der Krippe ein aktuelles Schwerpunktthema, das letzte war das Reizthema Impfung. Dieses Jahr geht es also um Toleranz und Akzeptanz und damit auch um Antisemitismus nach der Eskalation in Nahost: „Nie wieder ist jetzt“ ist an eine Hauswand des imaginären Viertels projiziert.

Während Marx spricht, betritt morgens um 9.30 Uhr eine ältere Dame das Gotteshaus und geht gezielt auf die Krippe zu. „Ich komme aus Zollstock, extra wegen dieser Krippe. Ich bin Kölnerin und es macht mich glücklich, all diese Figuren zu sehen“, sagt sie.