Konsum geht immer mehr zurückSo hält Kölns letzter Schweinebauer Martin durch

Landwirt Martin Kleinschmidt steht in einem Stall mit Schweinen.

Martin Kleinschmidt, hier am 28. Dezember 2022 in seinem Stall, ist Landwirt und betreibt mit seiner Familie in Köln eine Schweinezucht.

Es gibt nur noch ihn: EXPRESS.de hat Kölns letzten Schweinebauern besucht.

von Ayhan Demirci (ade)

Es gibt Sachen, die sind „saugut“, dein größter Gegner ist oft der innere Schweinehund, wer davonkommt, hat „Schwein gehabt“, draußen ist es „schweinekalt“, und überhaupt: Es gibt zu viele Schweinereien auf der Welt. In der deutschen Sprache scheint das Schwein unverzichtbar. Aber auf dem Esstisch? 

Das Schwein ist „out“, könnte man meinen, und natürlich weiß das auch Landwirt Martin Kleinschmidt (40). Oft verschrien wegen seines Fettgehalts, Berichten über Antibiotika und Medikamentenverabreichung an die Tiere, dazu der Fakt, dass das für Muslime und Juden verbotene Schweinefleisch der Einfachheit halber vor allem aus Schul- und Kita-Kantinen verschwindet.

Köln: Martin Kleinschmidt (40) ist der letzte Schweinebauer

Nach kürzlich veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist der Schweinebestand in Deutschland seit 2012 um 24,7 Prozent oder sieben Millionen Tiere zurückgegangen, die Zahl der Betriebe sogar um 43,3 Prozent oder 12.900 Betriebe geschrumpft.

„Es gibt auch keine Metzgerei mehr in Poll“, sagt Bauer Kleinschmidt – der letzte Laden auf der Siegburger Straße hat vor Jahren zugemacht. Gar nicht weit von der Hauptgeschäftsstraße Polls befindet sich der einzig verbliebene Schweinemastbetrieb innerhalb der Kölner Stadtgrenzen – 2003 waren es noch acht, in früheren Jahrzehnten bedeutend mehr.

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Und Martin Kleinschmidt denkt nicht ans Aufhören. Er ist zufrieden mit dem, was er mit seiner Familie auf dem Hof, unterstützt auch von seinem Vater, zustande bringt. Er hält über 50 Tiere, Deutsche Landrasse und französische Duroc-Schweine. „Ich denke, sie haben schon ein ganz gutes Leben hier“, findet der ausgebildete Agrarbetriebswirt. Dabei, so Kleinschmidt, „ist ein gutes Stallklima das A und O“.

Es liegt tatsächlich kein beißender Geruch in der Luft, wie das in Betrieben häufig der Fall sei, in denen die Exkremente der Tiere durch sogenannte Spaltenböden fallen und sich ansammeln. In Poll werden die Hinterlassenschaften durch den Stroheinstreu gefiltert und gehen als Dung wieder aufs Feld, das sich bei Kleinschmidts übrigens fast bis zur Rodenkirchener Brücke zieht und wo Getreide, Kartoffeln, Kohl, Porree, Spinat, Salat, Zwiebeln und auch Knoblauch angebaut und im Hofladen verkauft werden.

28.12.2022, Köln: Schweine im Stall des Landwirtes Martin Kleinschmidt. Er betreibt mit seiner Familie in Köln eine Schweinezucht..

Foto: Michael Bause

Die Schweine von Landwirt Martin Kleinschmidt leben in einem Stall in Köln-Poll.

Seine Schweine, erklärt Kleinschmidt, hätten auch ausreichend Platz und keine gesundheitlichen Probleme. Das Futter bezieht Kleinschmidt auch aus der Sünner-Brauerei in Kalk – sogenannter „Biertreber“, das sind die Schalen, die beim Kochen der Gerste für die Bierproduktion zurückbleiben, „sehr nahrhaft, ein Rohfaserträger“, so Kleinschmidt. Hauptspeisen sind Ackerbohnen und Getreide wie Weizen und Roggen.

Etwa sechs Monate dauert es, bis das als 25 bis 30 Kilo gekaufte Ferkel bis zu einem Gewicht von 100 bis 120 Kilo gemästet ist. Dann schlägt für die Tiere schon die letzte Stunde. Weil es in Köln seit der Schließung des Werkes an der Liebigstraße vor zwölf Jahren keinen Schlachtbetrieb mehr gibt, fährt Kleinschmidt die Tiere zu einem Metzger in Nümbrecht im Bergischen, der auch der Abnehmer des Fleisches ist.

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Möglichst stressfrei müsse das für die Tiere sein, aus ethischen, aber auch praktischen Gründen: „Wie das Tier stirbt, ist ein entscheidender Faktor. Hat das Tier Stress, schüttet es Cortison aus - dann ist das Fleisch später wässrig und geht in der Pfanne hoch.“

Rückgänge bei Schweinefleisch „besonders deutlich“ Im ganzen Regierungsbezirk Köln ist die Zahl der Betriebe mit Schweinehaltung von 514 im Jahr 2003 auf zuletzt 172 gesunken, die Zahl der Tiere sank von 81 389 auf 58.452. Nach Angaben der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) lag 2022 der durchschnittliche Fleischverzehr pro Kopf bei 52,8 Kilo, das entspricht einem Rückgang um gut 13 Prozent innerhalb von nur vier Jahren.

Ein Mann steht neben einem Schwein.

Landwirt Martin Kleinschmidts Ur­groß­va­ter Georg, hier eine undatierte Aufnahme,  hielt schon Schweine in Poll. 

„Dabei waren die Rückgänge bei Schweinefleisch besonders deutlich“, so die AMI: Von 40,1 kg ging es runter auf 29,2 kg - was bei Fleisch aber immer noch den Spitzenwert bedeutet. Geflügelfleisch hat im gleichen Zeitraum etwa von 11,3 auf 13 kg zugelegt. Der Verzehr von Rindfleisch ist recht konstant und lag 2011 bei 9,2 und 2022 bei noch 8,8 kg.

Jan-Malte Wichern, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW, nennt gegenüber EXPRESS.de weitere Gründe für die sinkenden Kurven beim Schwein: „Die Erzeugerpreise lagen in den letzten zweieinhalb Jahren für Ferkel und Schlachtschweine auf einem nicht ausreichenden Niveau. Hier hatten wir es teilweise mit historisch niedrigen Preisen zu tun. Aktuell sind die Preise deutlich über dem langjährigen Durchschnitt, allerdings reichen diese aufgrund der hohen Kosten nicht aus, um kostendeckend wirtschaften zu können. Die Futter- und Energiekosten sind seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs regelrecht explodiert.“

Zusätzlich herrsche große Unsicherheit, wie die Umsetzung von mehr Tierwohl in den Betrieben wirtschaftlich gelingen kann - und die Angst vor dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in NRW treibe die Branche ebenfalls um. Bei Bauer Kleinschmidt hat man nicht den Eindruck, dass hier, mitten in Köln, die Pest ausbrechen könnte. Ob er denn selbst Schweinefleisch esse? „Selbstverständlich. Am liebsten das meiner eigenen Tiere.“