Sie brachte ihn fast umLafontaine-Attentäterin frei, doch der wird nicht informiert

Oskar Lafontaine war im April 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadthalle in Köln-Mühlheim von der damals 42-jährigen Arzthelferin Adelheid Streidel lebengefährlich verletzt worden.

Oskar Lafontaine war im April 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadthalle in Köln-Mühlheim von der damals 42-jährigen Arzthelferin Adelheid Streidel lebengefährlich verletzt worden.

Köln – Sie hätte ihn beinahe getötet.

Als die Besucherin mit dem maskenhaft geschminkten Gesicht am 25. April 1990 dem SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine nach einem Wahlkampfauftritt in der Mülheimer Stadthalle das Fleischermesser in den Hals stach, verfehlte die Klinge die innere Halsschlagader des Politikers nur um Millimeter. Lafontaine überlebte.

Angreiferin von Oskar Lafontaine: Fast 30 Jahre später kommt sie frei

Seine geistig verwirrte Angreiferin Adelheid Streidel wurde in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik in Bedburg-Hau untergebracht.

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Plakat von SPD-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine 1990

Gut 29 Jahre nach der Messerattacke hat die Attentäterin ihre Strafe verbüßt. Wie Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer jetzt auf EXPRESS-Anfrage mitteilte, sind sämtliche Bewährungsauflagen gegen die Delinquentin erloschen.

Streidel durfte das Pflegeheim nahe Bedburg Hau verlassen, in dem sie unter falschem Namen lebte. Auch wurde die Führungsaufsicht für die heute 73-Jährige aufgehoben. Einen entsprechenden Beschluss hatte die zuständige Strafvollstreckungskammer in Kleve bereits im Juli 2019 gefasst, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr.

Richter: Von der Attentäterin geht kein Risiko mehr aus

Nach Angaben Bremers kamen die Richter zu dem Schluss, dass von der einstigen Attentäterin „kein Risiko mehr ausgeht, erneut Straftaten zu begehen“. Sie habe sich Bewährungszeit gut geführt, „so dass die Maßnahmen für beendet erklärt wurden“, berichtete der Kölner Behördensprecher.

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Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine (r.) gratuliert im Dezember 1990 nach der verlorenen Bundestagswahl dem Gewinner, dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).

Inzwischen jährte sich das Attentat auf den heutigen Politiker der Linkspartei zum 30. Mal. Im Prozess um den Messerangriff stellte sich seinerzeit heraus, dass die Attentäterin unter einer paranoiden Schizophrenie mit einem „geschlossenen Wahnsystem“ litt.

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Attentäterin hing kruden Verschwörungstheorien nach

Eine Frau, die sich in krude Verschwörungstheorien erging, um einen Rachefeldzug gegen Politiker zu führen. „Ich wollte Herrn Lafontaine töten, damit ich vor Gericht gestellt werde", offenbarte die Arzthelferin aus Bad Neuenahr seinerzeit den Kölner Ermittlern.

Jesus sei ihr erschienen und habe ihr die Hand geführt. Vor Gericht phantasierte die Angeklagte von „Menschentötungsfabriken“ in der Bundesrepublik, für die Politiker sich verantworten müssten. Letztendlich schickte das Gericht, die psychisch kranke Arzthelferin in den Maßregelvollzug der Klinik in Bedburg-Hau.

Nach 23 Jahren kam Attentäterin frei und in Therapie

Erst nach 23 Jahren kam die Delinquentin unter strengen Bewährungsauflagen auf freien Fuß. Die Strafvollstreckungskammer Kleve befand seinerzeit, dass die Therapie in der geschlossenen Abteilung angeschlagen habe. Auch die verabreichten Medikamente hätten dazu geführt, dass die Gefahrenprognose positiv ausfiel.

Allerdings verhängte das Gericht weitreichende Beschränkungen: Untergebracht in einem Pflegeheim musste Adelheid Streidel weiterhin eine ambulante Therapieeinrichtung aufsuchen. Auch legte die Kammer fest, welche Arzneien sie einzunehmen hatte. Zugleich wurde ihr ein gesetzlich bestellter Betreuer an die Seite gestellt.

Im Mai 2014 verschärfte das Gericht die Auflagen. Fortan durfte Streidel kein Parlamentsgebäude mehr betreten. Die Maßnahme folgte auf ihren Brief an einen Berliner Spitzenpolitiker.

Oskar Lafontaine wurde nicht über Freilassung seiner Angreiferin informiert

Die Nachricht von ihrer Freilassung erfuhr ihr Opfer seinerzeit aus den Nachrichten. Dies sorgte damals für öffentliche Kritik an der Justiz, ist aber einem einfachen Umstand geschuldet: Laut Strafprozessordnung hätte Lafontaine einen Antrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft stellen müssen, ihn über das weitere Schicksal seiner Angreiferin auf dem Laufenden zu halten.

Bis heute scheint der Politiker aber nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben. Nach Informationen dieser Zeitung hat die hiesige Justiz den 76-jährigen Saarländer nicht über die neue Freiheit seiner damaligen Attentäterin informiert.