Aus Scham schweigen sie, ertragen ihr Schicksal über viele Jahre. In der Kölner Beratungsstelle Paula finden ältere Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, Hilfe.
Frauen durchleiden SchrecklichesKölnerin über Jahrzehnte misshandelt – aus Scham geschwiegen

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Denise Klein (r), Projektleiterin des Vereins „Paula“, berät eine Klientin. Der Verein Paula e.V. berät Seniorinnen ab 60 Jahre bei häuslicher Gewalt.
Endlich hat sie sich getraut! Jahrelang ertrug sie die Demütigungen und Gewalt durch ihren Partner. Jetzt habe ihre 60-jährige Mutter es nun gewagt, sich Hilfe zu holen, berichtet ihre Tochter erleichtert. „Das ist ein unheimlich großer Schritt für sie.“
Die Mutter wandte sich an die Kölner Beratungsstelle „Paula“. Seit Jahresbeginn bietet der Verein eine spezielle Fachberatung für ältere Frauen, die Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt sind. Es ist ein bundesweites Modellprojekt.
Manche Opfer häuslicher Gewalt sind 80 oder 90 Jahre alt
„Für ältere Frauen ist es oft besonders schwierig, mit Außenstehenden über ihre Erfahrungen zu sprechen“, sagt Projektleiterin Denise Klein. Manche Klientinnen seien 80 oder 90 Jahre alt. „Sie stammen aus einer Generation, in der häusliche Gewalt tabuisiert und als Privatsache betrachtet wurde.“
Das Thema sei für diese Frauen sehr schambehaftet. „Bei uns erleben sie es oft zum ersten Mal, dass ihnen jemand zuhört und auch glaubt“, sagt „Paula“-Mitarbeiterin Daniela Halfmann.
Viele der Frauen hätten über Jahrzehnte Gewalt erfahren und dadurch eine hohe Leidensfähigkeit entwickelt. „Sie kennen es gar nicht anders“, sagt Klein. „Aber im Alter eskaliert das Ganze manchmal zunehmend, besonders bei Lebenseinschnitten wie dem Renteneintritt des Mannes oder der Erkrankung eines Partners.“ Das sei häufig der Punkt, an dem die Frauen zu „Paula“ Kontakt aufnähmen.
Auch bei der 60-Jährigen habe sich die häusliche Situation in den letzten Jahren zugespitzt - „vor allem, nachdem meine Schwester und ich ausgezogen waren“, erzählt die Tochter, die anonym bleiben möchte. Die zunächst vorwiegend psychische Gewalt des Mannes sei zunehmend in körperliche umgeschlagen. „Gleichzeitig merkt meine Mutter, dass sie insgesamt nicht mehr so belastbar ist wie früher.“
Gewalt gegen ältere Frauen: auch Kinder werden zu Tätern und Täterinnen
Verlässliche Zahlen zu häuslicher Gewalt an älteren Frauen gebe es nicht, sagt Claudia Mahler vom Deutschen Institut für Menschenrechte, das kürzlich den ersten unabhängigen Bericht zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland veröffentlicht hat. „Es ist nahezu ein vollständiges Dunkelfeld, weil kaum jemand Anzeige erstattet.“ Konkrete Hilfsangebote für diese Altersgruppe fehlten: „Sie wird einfach vergessen.“
Seniorinnen wüssten nicht, wohin sie sich wenden sollten und behielten das Problem für sich. „Frauen werden im höheren Alter komplett unsichtbar“, meint Mahler. Soziale Kontakte gingen häufig verloren, die ohnehin vorhandene Abhängigkeit vom Partner werde noch größer.
Dies gelte umso mehr, wenn die Frau pflegebedürftig werde. In einigen Fällen würden auch die eigenen Kinder zu Tätern, wenn sich die Machtverhältnisse umkehrten, sagt Mahler. „Diese Strukturen kann die Frau nicht durchbrechen. Von außen kommt kaum noch jemand ins Haus. Das Problem bleibt in der Familie.“
Am Ende steht nicht unbedingt die Trennung vom Partner
Die „Paula“-Mitarbeiterinnen begleiten ihre Klientinnen meist über eine längere Zeit. Oft brauche es mehrere Gespräche, bis die Frau sich öffne. „Wir versuchen sie zu stärken und beraten sie, welche Möglichkeiten es in ihrer Situation gibt, wie sie sich auf eine Trennung vorbereiten kann. Aber wir drängen sie nicht dazu“, betont Klein. „Ziel ist es, dass die Frau eine möglichst kompetente Entscheidung treffen kann, ob sie in ihrer Beziehung bleiben will oder nicht.“
Auch die Mutter der anonymen 60-Jährigen sei noch nicht so weit, ihren Mann zu verlassen, sagt die Tochter. „Dazu fühlt sie sich noch nicht stark genug, das muss ja auch gut vorbereitet sein.“ Sie hoffe, dass die Mutter durch die Beratung ihre Grenzen besser setzen könne und dann klarer sehe. „Vielleicht schafft sie es dann irgendwann, von ihm loszukommen.“
Wer Hilfe benötigt, findet sie hier: „Paula“, An St. Magdalenen 11, 50678 Köln, Telefon 0221/96 67 64 22. (dpa)