JVA Rheinbach46 Jahre hinter Gittern – Helmut Kaeber über sein bizarres Knastleben

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Helmut Kaeber (68) in seiner Zelle in der JVA Rheinbach.

von Iris Klingelhöfer (iri)

Rheinbach – Erich Honecker übernahm die Führung in der DDR, in der Nähe von Köln stürzte ein Starfighter der Bundeswehr ab und in München wurde der erste Banküberfall mit Geiselnahme in Deutschland begangen. Das Jahr 1971 war turbulent. Auch für Helmut Kaeber: Hinter ihm schlossen sich die Gefängnistore – bis heute!

Helmut Kaeber besaß noch nie ein Handy

Der 68-Jährige sitzt seit mehr als 46 Jahren (!) wegen Raubmordes hinter Gittern. Er besaß noch nie ein Handy und hat noch nie im Internet gesurft. Seine Welt ist eine 7,6 Quadratmeter große Zelle in der offenen Abteilung der JVA Rheinbach. Che-Guevara-Poster an der Wand, Milch zum Kühlen draußen vor dem vergitterten Fenster, Gewürzregal, Mini-Fernseher.

Sein Alltag in der JVA Rheinbach

Ein normaler Tag? „Ab neun geht die Zelle auf, dann laufe ich ein bisschen rum, spiele Schach oder Backgammon“, erzählt Helmut Kaeber. Und fügt nüchtern hinzu: „Freundschaften gibt es hier nicht, es gibt gute Kollegen.“

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Die letzten 30 Jahre habe er nur einen Kumpel gehabt. „Er hatte auch lebenslänglich, wegen Polizistenmordes. Letztes Jahr ist er an Krebs gestorben.“ In seiner Stimme liegt Traurigkeit.

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Eine der Beschäftigungen des Langzeit-Häftlings ist es, auf dem Gang an den Zellentüren entlang zu laufen.

„Wir haben jeden Tag zusammen gegessen, uns auch mal gefetzt, aber uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet“, erklärt er. „Er hat mich zurückgehalten, wenn ich mal etwas lauter wurde.“ Jetzt ist dieser Halt weg. „Wahrscheinlich werde ich auch im Gefängnis sterben“, sagt er – ganz ohne Verbitterung in der Stimme.

Sein Sohn will nichts von ihm wissen

Es gibt anderes, das an ihm nagt. So will sein Sohn (30) angeblich nichts von ihm wissen. „Ich habe ihm ein paar Mal geschrieben, aber er hat nie geantwortet. Er könnte vor mir stehen und ich würde ihn nicht erkennen. Das macht mich seelisch kaputt.“

Auch seine Eltern und Geschwister hätten ihn im Stich gelassen, behauptet er. „Sie haben mich nie besucht, nicht mal eine Karte geschrieben“, sagt er leise. Erst nach zehn Jahren habe er erfahren, dass die Hälfte seiner Familie gestorben war.

JVA-Beamter: Die Wahrheit über den Kölner Klingelpütz (hier mehr lesen)

Helmut Kaeber trägt das schlohweiße Haar sorgfältig gekämmt, dazu eine große Jogginghose und einen Pulli. Die hochgeschobenen Ärmel zeigen tätowierte Arme. Darunter ein Herz mit „Anita“, ein Dolch mit einer Schlange. „Jugendsünden – die bedeuten nichts.“

Erster Knast mit 15

Auch, wenn er äußerlich nicht mehr so aussieht: Helmut Kaeber gilt hinter Gittern als schillernde Persönlichkeit. Über sein Leben könnte man mehr als ein Buch schreiben. Kaeber wuchs in Düsseldorf mit elf Geschwistern auf, wurde früh kriminell. Erster Knast mit 15. „Ich hatte eine Tafel Schokolade und 30 Pfennig geklaut“, erzählt er. Anschließend drei Jahre wegen Einbruchs.

1971 bekam Helmut Kaeber lebenslänglich

Dann Raubmord! Über die genauen Hintergründe will er nicht sprechen. Fakt ist: Am 14. November 1971 bekam er dafür lebenslänglich! Damals war er 21. Das Urteil habe ihm nichts ausgemacht, sagt er heute. Knast kannte er ja. „Ich habe damals im Gefängnis Schmuck und Intarsienbilder gemacht“, erzählt der 68-Jährige.

Darüber lernte er seine jetzige Ex-Frau kennen. „Es hat gleich gefunkt, ein halbes Jahr später haben wir in der JVA Rheinbach geheiratet.“ Als sie beruflich nach Hamburg versetzt wurde, wurde er ins dortige Gefängnis „Santa Fu“ verlegt – und entkam dort offenbar nur knapp dem Tod. Das sei „1981/82“ gewesen. Es war die Zeit von Auftragsmörder Werner „Mucki“ Pinzner, bekannt als St.-Pauli-Killer.

Milieu-Krieg im Gefängnis

Im Milieu habe ein regelrechter Krieg geherrscht, erinnert sich Helmut Kaeber, der Zuhälter und auch Pinzner gekannt haben will. „Bei uns im Knast wurden drei Leute umgebracht. Ich habe eine Aussage gemacht, danach haben die dreimal versucht, auch mich umzubringen.“

Angeblich mit einer Kiste voller Ziegelsteine, die aus der fünften Etage geworfen wurde. „Sie ist zwischen mich und eine Beamtin gekracht.“ Sein Leben sei in „Santa Fu“ nicht mehr sicher gewesen.

1986 flüchtete Helmut Kaeber

Dazu passt: Danach kam er in die JVA Werl. Dort haut er 1986 bei einer Ausführung den begleitenden Beamten ab. „Ich bin zu einer Bekannten, wurde aber nach drei Wochen verraten“, erzählt er. Angeblich war es eine bekannte Rotlicht-Größe, die ihn verpfiff.

Kaeber: „Ich wollte von dem Kanone und Papiere, habe die Kleine mit 10.000 DM zu ihm geschickt. Er hat ihr auf die Fresse gehauen, das Geld genommen und die Schmiere angerufen.“

Er sei damals nur wegen seiner Frau abgehauen, beteuert er. „Es gab noch keine Langzeitbesuche. Sie war zwölf Jahre älter und wir wollten ein Kind.“ Was er nicht wusste: Er hatte mit der Bekannten, bei der er Unterschlupf fand, den Sohn gezeugt.

Protest-Aktion auf dem JVA-Dach

Kaeber landete wieder in der JVA Rheinbach, wo er am 3. Oktober 1990 mit rund 140 anderen Häftlingen (darunter der Gladbecker Geiselgangster Hans-Jürgen Rösner) das Gefängnisdach besetzte. Sie forderten eine ähnliche Amnestieregelung wie damals für DDR-Häftlinge. Nach vier Tagen ohne Essen, ohne Trinken gaben alle auf.

Der 68-Jährige schwärmt von den Anfängen seiner Knastkarriere. „In Rheinbach waren wir damals rund 200 »Lebenslängliche«. Da konnte man noch ein Paket Tabak vor die Tür legen und es lag da vier Stunden später immer noch. Heute dauert es keine zehn Sekunden, dann ist es weg“, erzählt er. Früher habe es auf den Zellen weder Toiletten, Radio oder Fernsehen gegeben. „Aber die Kameradschaft war 1000-mal besser als heute.“

Auf was er sich heute freut?

Auf seine „Ausführungen“, wie die begleiteten Ausflüge genannt werden. Dann macht er sich schick, trägt Sakko und rote Krawatte. Mit zwei Justizvollzugsbeamten geht es etwa in die Bonner City, dort kauft er sich ein neues Uhrenarmband, geht Kaffee trinken oder Currywurst mit Pommes essen.

Mehr „Außenwelt“ kennt er nicht.

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(exfo)