Frauenfußball-KolumneHervé Renard verzichtet auf viel Geld, aber passt er zu den Französinnen?

Frankreichs Nationaltrainer Hervé Renard beim Training in Clairefontaine-en-Yvelines.

Neuer Coach für Frankreichs Frauenteam: Hervé Renard am 3. April 2023 beim Training.

Es dauerte eine Weile, bis der französische Verband mit Hervé Renard einen neuen Trainer des Fußballnationalteams der Frauen vorstellte – passt er zum Team?

von Annika Becker (abe)

Hervé Renard (54) ist spätestens seit der WM in Katar sehr angesehen im Fußballgeschäft, hat aber bisher keinerlei Erfahrungen im Fußball der Frauen. Jetzt ist er Nationaltrainer von Frankreichs Frauen – wie passt das zusammen?

Die vorherige Cheftrainerin Corinne Diacre (48) hatte ihren Posten seit September 2017 und war in den knapp fünfeinhalb Jahren ihrer Amtszeit aufgrund ihrer Teamführung und Personalentscheidungen der Anlass vieler Diskussionen.

Hervé Renard verzichtet auf viel Geld für Frankreichs Frauenteam

Über die Vorwürfe gegen sie gibt es Auflistungen, die über die Jahre seitenlang geworden sind. Diacres Schicksal war eng an das des ehemaligen Präsidenten Noël Le Graët geknüpft, der durch seinen Posten als einziger befugt gewesen wäre, sie freizustellen, dies aber mehrmals verweigerte. Im Februar 2023 traten dann Wendie Renard, Kadidiatou Diani und Marie-Antoinette Katoto aus Protest gegen die Trainerin, aber auch die Bedingungen beim Verband zurück.

Für die Spielerinnen schien der Protest, der im Zweifel die eigene internationale Karriere beenden könnte, der einzige Ausweg. Zumal klar wurde, dass Le Graët seine Machtposition verlieren würde, denn gegen ihn laufen Ermittlungen wegen wiederholter und mehrfacher sexueller Belästigung. Er trat deshalb im Januar selbst zurück. Anfang März wurde auf Empfehlung einer eigens gebildeten Arbeitsgruppe dann Corinne Diacre entlassen, „die vielen zwischenmenschlichen Störungen“ seien „irreparabel“.

Es wurden einige Namen für die Nachfolge Diacres gehandelt, solche von hoher Prominenz ohne Bezug zum Fußball der Frauen (Thierry Henry), aber auch große Namen aus eben diesem (Sonia Bompastor). Es war aber schnell klar, dass das Interesse der FFF an Hervé Renard ernsthaft ist, bis zu einer Einigung mit dem saudi-arabischen Verband dauerte es trotzdem.

Dort nämlich hatte Renard bei der WM der Männer in Katar für Furore gesorgt, der überraschende Sieg gegen den späteren Weltmeister Argentinien in der Gruppenphase und Renards Kabinenrede gingen um die ganze Welt. Vorher hatte er bereits zweimal den Afrika-Cup der Männer mit Sambia und der Elfenbeinküste gewonnen.

Renard unterschrieb einen Zweijahresvertrag und soll für die Anstellung auf viel Geld verzichten, laut französischen Medienberichten verdient er jetzt 500.000 Euro im Jahr im Vergleich zu drei Millionen Euro in Saudi-Arabien. Der 54-Jährige hat trotz vieler Trainerstationen auf der ganzen Welt bisher keinerlei Erfahrungen im Fußball der Frauen und es ist höchst fragwürdig, dass es im umgekehrten Fall zu so einer Ernennung gekommen wäre: Eine Frau ohne bisherige Arbeitserfahrung im Fußball der Männer wird plötzlich Nationaltrainerin der Männer.


Annika Becker ist freie Autorin bei EXPRESS.de und kümmert sich in ihren Kolumnen um das Thema Frauenfußball. Sie ist Mitglied von FRÜF - Frauen reden über Fußball.


Vor allem wäre die Empörung vermutlich sehr viel lauter gewesen, wenn dann bei der ersten Pressekonferenz nach Amtsantritt die Namen der Spieler falsch genannt werden. Das nämlich tat Hervé Renard gleich bei mehreren verdienten Spielerinnen bei der Bekanntgabe seines ersten Kaders für die gerade stattfindenden Freundschaftsspiele. Wendie Renard ist wieder mit dabei, Diani und Katoto wären es ohne ihre Verletzungen auch. Außerdem erhielt Eugénie Le Sommer ihre erste Nominierung seit zwei Jahren, auch sie hatte in der Vergangenheit Diacre kritisiert und war danach nie wieder berücksichtigt worden.

Sportlich-inhaltlich verlässt sich der neue Trainer dabei auf seinen Assistenten. Éric Blahic ist die eigentlich entscheidende Personalie, er war bereits bis 2021 Co-Trainer des Nationalteams, verließ seinen Posten aber ebenfalls wegen Differenzen mit Diacre, er kennt das Team und den Fußball der Frauen insgesamt sehr gut. Seine Arbeit wird von großer Bedeutung, auch um weiteren Fettnäpfchen seines Cheftrainers vorzubeugen.

Auf der anderen Seite machte sich dieser auch dafür stark, dass die Bedingungen für Spielerinnen, die Mütter sind, besser werden müssen. Bisher ist es den Spielerinnen wie Amel Majri nämlich nicht möglich, ihre Kinder mit zum Trainingslager zu nehmen. „Frankreich ist bei den Einrichtungen ein wenig im Rückstand, wir müssen da weitere Schritte gehen“, so Renard. Es wäre aber nicht richtig, nun so zu tun, als habe er das Thema allein aufgebracht. Auch Corinne Diacre hatte vor ihrer Entlassung gesagt, dass es Verbesserungen geben müsse und angekündigt, dass Mütter ihre Kinder mit zur WM bringen können sollen.

Taktisch bringt Renard ein Profil mit, das mit Blick auf die WM vielversprechend ist, vermutlich aber etwas angepasst werden muss. Frankreich gilt aufgrund der individuellen Qualität der Spielerinnen seit Jahren als ein Mitfavorit auf die internationalen Titel. Während seiner Amtszeit in Marokko wurde Renard dafür kritisiert, zwar gut als Underdog gegen die europäischen Teams auftreten zu können, aber nicht souverän genug als Favorit gegen andere afrikanische Nationen.

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Mit Saudi-Arabien funktionierte diese Ausrichtung als unterschätztes, eingeschworenes Team mit fußballerischen Qualitäten besser – für die Französinnen, von denen erwartet wird, dass sie Spiele auch über Umschaltfußball hinaus kontrollieren können, passt das nicht zu hundert Prozent.

Die Frage wird also sein, ob die Zeit für Renard bis zur WM ausreicht, um sein Team kennenzulernen und sich selbst anzupassen. Das Team muss derweil alten Frust abstreifen und einen neuen Weg auch auf dem Rasen finden. Dann könnte der Wechsel an der Seitenlinie sich als echter Volltreffer entpuppen.