Der neue Mainz-Tatort „In seinen Augen“ dreht sich um ein kompliziertes Thema: Kann ein junger Mann eine ältere Dame lieben? Steckt immer ein Betrug dahinter – oder denkt unsere Gesellschaft schlicht zu engstirnig?
„In seinen Augen“Lust und Liebe im Rentenalter – Mainz-Tatort dreht sich um Liebesbetrug

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Im neuen Fall der „Tatort“-Ermittler Martin Rascher (Sebastian Blomberg) und Ellen Berlinger (Heike Makatsch) dreht sich alles um die Liebe.
Wann fehlt einem das Geld am meisten? Im Alter, da man ohne finanzielle Ausstattung kaum noch Möglichkeiten hat? Oder in jungen Jahren, wenn man mit der Kohle große Pläne und Lebenshunger sehr viel besser befeuern könnte?
„In seinen Augen“, der dritte gemeinsame „Tatort“ mit den Ermittelnden Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und Martin Rascher (Sebastian Blomberg) in Mainz, wendet sich drei Hauptfiguren zu:
- zwei alleine lebenden „Best Agerinnen“
- die eine verwitwet vermögend (Ulrike Krumbiegel)
- die andere bescheiden und mit Hund lebend (Michaela May)
- Ex-Knacki Hannes Petzold (Klaus Steinbacher)
Beide Frauen lernen sich über Charlottes (May) Welpen kennen und entwickeln eine enge Freundschaft, bis der junge Ex-Knacki Hannes Petzold (Klaus Steinbacher) ins Spiel kommt, der mit Charlotte eine Liebesbeziehung eingeht.
Bibiana (Krumbiegel), die vermögende und eindeutig lebenszynischere der beiden Frauen, beobachtet die neue Beziehung ihrer Freundin mit Argwohn. Während Charlotte dem proletarischen Hannes die Welt der Philosophie und des Theaters nahebringt, scheint Bibi den jungen und hübschen Geliebten der Freundin mit Blicken, Gesten und Sprüchen herauszufordern.
Schließlich liegt die diabeteskranke Bibiana Dubinski tot auf dem Boden ihrer Villa. War es ein Unfall oder hat jemand nachgeholfen? Für Ellen Berlinger ist der Fall klar. Hannes Petzold hat in seiner kriminellen Karriere schon zuvor ältere Damen betrogen. Nun hat er den Liebeshunger der „Best Ager“-Freundinnen eiskalt ausgenutzt, denn die alleinstehende Bibi hatte Charlotte als Alleinerbin ihres Vermögens eingesetzt.
„Spätes Liebesglück“ oder Betrug?
Drehbuchautor Thomas Kirchner, den man als Schöpfer der „Spreewaldkrimis“ oder auch des Zweiteilers „Der Turm“ kennt, lässt seinen Krimi auf verschiedenen Zeitebenen spielen. Vielleicht, um die Entwicklung von Berlingers Vorurteilen gegenüber dem Verdächtigen noch etwas irritierender zu gestalten. Gebraucht hätte es der überraschend oft in seltsam abgegriffenen Stanzen daherredende Krimi jedoch nicht. Eine lineare Entwicklung der Handlung wäre fast spannender gewesen.
Emotionaler Kern der Erzählung ist die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Liebe eines jungen, gutaussehenden Mannes zu einer betagteren Frau. Und die gesellschaftlichen Verwerfungen - auch jene des direkten persönlichen Umfelds - die eine solche Liaison mit sich bringt.
Wenn ein Ex-Kanzler eine Frau heiratet, die seine Tochter sein könnte, dann heißt das „spätes Liebesglück“, sagt Michaela Mays Rolle an einer Stelle des Films sinngemäß. Handele es sich hingegen um eine ältere Frau und einen jungen Mann, so stehe der Vorwurf eines niederträchtigen Betrugs quasi als Fakt im Raum.
Trotz des hochinteressanten Themas verfängt der vierte Krimi mit Ellen Berlinger (in ihrem ersten Fall ermittelte sie solo in Freiburg, danach mit Rascher in Mainz) überhaupt nicht. Nach einer starken und überraschenden Eröffnungsszene mühen sich die Schauspiel-Veteraninnen May und Krumbiegel gemeinsam mit dem jungen bayerischen Schauspieler Klaus Steinbacher („Oktoberfest 1900“) redlich, ihre Dreier-Konstellation zum Leben zu erwecken.
Doch durch die Zeitsprünge und eine diesmal arg lapidare Nebenhandlung der Ermittelnden samt privater Sorgen und einer frustrierenden Täter-Nichtüberführung kommt in diesem Krimi einfach kein „Flow“ auf. Allzu viele Szenen wirken aufgesagt und künstlich. Irgendwie so, als könne selbst bestes Schauspiel sie nicht retten.
Kaum jemand scheint sich in diesem Film wohlzufühlen
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld“, bringt Charlotte in einer Szene ihrem „Schüler“ Hannes die Schlusszeilen des Chors aus Schillers „Die Braut von Messina“ bei. Interessant an diesem Zitat ist, dass davon oft nur der erste Teil als Redensart benutzt wird und man so niemals erfährt, welches des Lebens höchstes Gut nun tatsächlich ist. Liest man weiter, erfährt man immerhin, welches das größte Übel im Leben ist: die Schuld. Und, dass ein Vermeiden von Schuld bisweilen den Verlust des Lebens aufwiegt. Was das Ganze mit dem „Tatort: In seinen Augen“ zu tun hat, sollte man besser selbst herausfinden. Oder den Gedankengang als einen der vielen losen Enden eines reichlich unausgegorenen Krimis (Regie: Tim Trageser) akzeptieren.
Insgesamt muss man sagen, dass der letzte „Tatort“ vor der Sommerpause 2022 gleichzeitig einer der schwächsten der gesamten Saison darstellt. Keiner der Darstellenden kann hier glänzen, kaum jemand scheint sich in diesem Film wohlzufühlen. Eigentlich schade, denn nach zwei schwächeren „Tatorten“ zu Beginn hatte Ellen Berlinger mit ihrem letzten Fall „Blind Date“ um eine junge blinde Frau und ihre Faszination für Gewalterfahrungen gerade deutlich an Qualität gewonnen.
Doch auch in jenem Fall, in dem Berlinger ihr kleines Kind weggab, gab ihr Charakter kein wirklich schlüssiges Bild ab. Es bleibt eine schwierige Beziehung zwischen der Berlinger, der Makatsch und den Zuschauenden. (tsch)