Einzigartiger FallDarum hatte der „Tatort“ keinen Mörder

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Familienfehde: Christian Rebenow (Ernst Stötzner, rechts) beschwört Frank Holdt (Aljoscha Stadelmann, links).

Hannover – Am Sonntag sahen Millionen – keinen Mörder.

Der 25. „Tatort“ mit Maria Furtwängler alias „Charlotte Lindholm“ endete, ohne dass der Täter gefunden wird, es gibt auch keine Verdächtigen mehr. Und: Das bleibt auch so – eine Fortsetzung des Falls soll es nicht geben. Das gab es so noch nie im Lieblingskrimi der Deutschen.

Hier die TV-Kritik zum „Tatort: Der Fall Holdt“ nachlesen.

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Grund dafür war auch, dass der reale Fall „Maria Bögerl“ für den Krimi Pate stand – wie NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath uns auf Nachfrage bestätigte.

„Der Film ist von verschiedenen realen Fällen inspiriert“, so Granderath. „Ich habe mich schon länger mit Entführungen. Es gibt ja eine Reihe spektakulärer Fälle wie Oetker oder Reemtsma. In München gab es 2015 die missglückte Entführung einer Bankiersgattin, und natürlich der Fall Maria Bögerl. Der hat für uns insofern eine besondere Rolle gespielt, weil unser Fall entgegen allen Mustern, die wir sonst im "Tatort" haben, nicht gelöst wird. Er ist ja bis heute nicht aufgeklärt worden. Aber es ist keine Verfilmung des Falls Bögerl, das ist auch klar.“

Zuschauer wollen eigentlich anderes

Denn es gibt auch Unterschiede. Gemeinsam haben Realität und Film aber eines: Der Täter ist bis heute nicht gefunden. Sehr ungewöhnlich für den „Tatort“. Granderath: „Normalerweise ist der Fall in einem TV-Krimi am Ende aufgeklärt und kann gesühnt werden. Das wollten wir nicht. Es ist ja genauso ein Teil von Polizeiarbeit, dass Fälle nicht aufgeklärt werden. Das wollten wir zeigen."

Das gab’s beim Sonntagskrimi SO noch nie. Selbst in den wenigen Fällen, bei denen der Täter am Sonntagabend nicht festgenommen oder getötet wurde (und der Film nicht fortgesetzt wurde), war er zumindest dem Zuschauer bekannt oder verdächtig. Etwa bei diesen Beispielen:

  •  „Die kleine Kanaille“ (Berlin 1986): Der Kommissar „Bülow“ ist überzeugt vom Täter, kann ihm aber keine strafbare Handlung nachweisen.
  • „Frau Bu lacht“ (München 1995): Die Ermittler „Batic“ und „Leitmayr“ verhelfen der (bekannten) Täterin zur Flucht.
  • „Weil sie böse sind“ (Frankfurt 2010): Mörder „Rolf Herken“ hat der Zuschauer auf dem Schirm – die Kommissare begegnen ihm aber nie.
  • „Der Wald steht schwarz und schweiget“ (München 2012): Ein Mann wird von „Leitmayr“ als Täter angesehen – Beweise bleiben aber aus. Die Zuschauer konnten den Täter per Onlinespiel danach überführen.

Auch Macher Christian Granderath weiß, dass die Fans eigentlich einen überführten Täter am Ende erwarten. „Wir wollen den Zuschauer nicht überfordern, aber man darf ihn fordern“, betont er. „Das ist nicht der Regelfall. Aber es sollte auch unsere Aufgabe sein, zu irritieren und Vorstellungen zu verrücken. Wir sind nicht nur für Entertainment da.“

Er stellt sich in diesem Punkt sogar gegen seinen Vorgesetzten, ARD-Fernsehfilmkoordinator Jörg Schönenborn. Der hatte letzte Woche angekündigt, der „Tatort“ solle solche Experimente (wie auch einen „Horror“- oder „Porno“-Tatort wie in den letzten Wochen) nur noch zweimal im Jahr wagen – und ansonsten „normale“ Krimis produzieren (hier mehr Details dazu nachlesen).

Granderath aber betont: „Was ich in diesem Zusammenhang davon halte, nur noch zweimal im Jahr beim "Tatort" zu experimentieren, wird sich jeder denken können. Wir sollten uns da nicht selbst begrenzen."