45 Jahre im ShowgeschäftStefan Waggershausen: „Mit dem Alter wirst Du ehrlicher!“

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Große Duette mit starken Frauen: Hier mit der israelischen Sängerin Ofra Haza (†2003) im Jahr 1993.

Köln – Sanfter Rebell, Pop-Chansonnier, Rock-Poet: Das alles ist Singer/Songwriter Stefan Waggershausen.

Der Mann, der durch seine Duette „Zu nah am Feuer“ und „Das erste Mal tat’s noch weh“ mit den internationalen Stars Alice und Viktor Lazlo zu Pop-Erfolgen kam, ist jetzt mit „Aus der Zeit gefallen“ wieder in den Charts. Gerade ist 70 geworden.

Auf seine 45 Jahre im Showgeschäft und die neuen Songs blickt er im großen EXPRESS-Interview.

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EXPRESS: In Deutschland haben „ältere Herren“ große Erfolge – z. B. Udo Lindenberg, Marius Müller Westernhagen, Peter Maffay, Herbert Grönemeyer. Was bedeutet Alter im Leben eines Sängers? Stefan Waggershausen: Für die Musik hat Alter seine Vorteile. Die Songs wachsen bei einem Singer-Songwriter mit, die Musik wird hoffentlich reifer. Je älter du wirst, desto ehrlicher wirst du. Wenn du noch jung bist, bist du immer auf der Überholspur, musst möglichst schnell stets Neues raushauen. Im Alter musst du dich nicht mehr beweisen, kannst machen, wozu du Spaß hast, musst keine Rücksichten nehmen.

Sie selbst sind gerade 70 geworden. Was bedeutet das für Sie? 70 ist für mich eine Zahl, sonst nichts. Ich habe sie rund um den Geburtstag verstärkt um die Ohren geschlagen bekommen, sonst hätte ich wahrscheinlich nicht gemerkt, dass sie in mein Leben Einzug gehalten hat. Ich fühle mich vital, die Gelenke funktionieren noch, das mit der Musik klappt offenbar noch – also alles okay.

Ihr Song „Die Drinks sind getrunken“ klingt fast so wie die düsteren Abschiedssongs von Johnny Cash oder Leonard Cohen. Ist „Aus der Zeit gefallen“ für Sie das finale Album? Das Lied ist in einer Situation geschrieben worden, in der ich viel Cash und Cohen gehört habe, das hinterlässt Spuren. Das heißt aber nicht, dass ich ab morgen keinen Whiskey mehr trinke und mit dem Leben abgeschlossen habe. Der alte Wolf ist zwar heiserer, rauer und intimer in seinen Aussagen, aber er singt und spielt weiterhin auch positive Songs.

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Stefan Waggershausen und EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher.

Bei „Hank Williams“ begleiten Sie Ihre Travelling Homeboys, zu denen auch Otto Waalkes gehört. Wie kam’s dazu? Ich wohnte Mitte der 70er Jahre mit Gunter Gabriel und Musikern der Hamburger Rentnerband in einem Künstlerhaus in Berlin, wo wir immer Besuch hatten. Otto kam oft zu mir, weil er meine Comic-Sammlung liebte. In diesem Musiker-Kreis haben wir viele coole Nächte verlebt, viel Blödsinn gemacht und den Kontakt nie verloren. Jetzt haben wir uns bei einem Ostfriesentee getroffen, jede Menge Beatles-Songs gespielt, und dann habe ich gefragt, ob er mitmachen wolle. Er wollte.

Sie sind eigentlich Diplom-Psychologe. Wie kam die Musik in Ihr Leben? Ich komme aus einer musikalischen Familie. Bei uns gab es noch richtige Hausmusik, allerdings nicht immer mit Liedern, die mir gefielen. Als 13-Jähriger hatte ich mein Erweckungserlebnis, ich hörte erstmals den schrägen Akkord zum Auftakt von „A Hard Days Night“ von den Beatles – und war für die Musik meiner Eltern verloren.

45 Jahre im Showgeschäft. Zufrieden mit Ihrer Bilanz? Ich bin mit allem sehr glücklich, nur nicht damit, dass ich Ende der 80er Abschied von der Live-Bühne genommen habe. Damals begannen für mich extrem erfolgreiche Jahre, ich dachte, es sei nicht mehr nötig, mit Band unterwegs zu sein. Dabei hätte meine innere Stimme spätestens beim „Louisiana“-Album Mitte der 90er rufen müssen: „Hallo! Spiel endlich wieder live“. Doch die Stimme hat geschwiegen. Das war ein Fehler. Mal sehen, ob ich das wieder korrigieren kann.

Wie ist es, wenn Sie Ihre ersten Songs wieder hören? Na ja! Man hört ihnen an, dass ich jung, wild und hungrig war, versucht habe, alle nur denkbaren Ideen in meine Songs einzubauen. Was überhaupt nicht klappte. Das erste Album „Traumtanzzeit“ ist fürchterlich gescheitert, wir verkauften nicht mehr als 1400 Exemplare.

„Traumtanzzeit“ war die deutsche Version des Bob-Dylan-Titels „Desolation Row“ und hat Ihnen das Attribut „deutscher Bob Dylan“ eingebracht. War es einfach, dafür die Genehmigung Dylans zu erhalten? Ich habe mit meinem damaligen Songwriting-Partner mehrere Dylan-Songs auf Deutsch gemacht. Dylan ließ sich den Text ins Englische übersetzen, um ihn abzusegnen oder auch nicht, und ich habe jedes Mal nervös auf das „Go!“ aus Amerika gewartet. Ich finde den Text auch heute noch klasse. Allerdings habe ich ihn nicht sehr glaubwürdig interpretiert.

„Zu nah am Feuer“ mit Alice oder „Das erste Mal tat’s noch weh“ mit Viktor Lazlo sind Beispiele für ihre Duett-Erfolge mit tollen Frauen. Wenn Sie wieder ein Duett aufnehmen würden – wer wäre Ihre Traumpartnerin? Zuerst muss der Song da sein, dann die Partnerin und dann sowas wie Magie. Ich fände eine Zusammenarbeit mit Emmylou Harris spannend.

So viele deutsche Songs wie heute gab es noch nie in den Charts. Besteht die Gefahr, dass sich das alles wieder totläuft? Heute haben wir eine wunderbare Singer/Songwriter-Kultur. Es gibt jede Menge junge Leute, die klasse deutschsprachige Sachen machen. Ich glaube nicht, dass sich das totläuft. Allerdings ist durch eine Art Umsonst-Kultur in Sachen Musik alles schwieriger geworden. Es wird für manche Kollegen problematischer werden auf Dauer von Musik zu leben.

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Stefan Waggershausen bereut heute, dass er sich von Livebühne zurückgezogen hat. Touren steht jetzt wieder auf dem Programm.

Wie meinen Sie das? Früher hat man eine Tournee gemacht, um eine Platte zu promoten. Heute macht man eine Platte, um eine Tournee zu promoten. Ein Album heutzutage auf CD oder Vinyl zu veröffentlichen ist für viele Künstler – insbesondere mit jungem Publikum – oft nicht mehr rentabel. Und die minimalen Lizenzsätze von Musikstreaming-Plattformen können das leider nicht auffangen. Das schränkt die Mittel für eine Album-Produktion immens ein, darunter leidet letztendlich auch die Qualität der Musik. Wir älteren Musik-Wölfe haben das Glück, dass es draußen immer noch eine Generation gibt, die ein Album auch in der Hand halten will. Insofern bin eben auch ich mit meinem Doppelalbum und einer Vinyl-Edition sehr „Aus der Zeit gefallen“.

Macht auch Musik für Kinder

Stefan Waggershausen (geboren am 20. Februar 1949 in Friedrichshafen), studierte Psychologie in Berlin und brachte 1974 sein erstes Album „Traumtanzzeit“ heraus.

Meilensteine: 1980 das Album „Hallo Engel (Goldene Schallplatte), 1984 „Zu nah am Feuer“ mit Alice, 1990: „Das erste Mal tat’s noch weh“ mit Viktor Lazlo, 1993: „Jenseits von Liebe“ mit Ofra Haza, 1995 das Album „Louisiana“ mit „Bienvenido a Salomé“ (Duett mit María Conchita Alonso).

Er produzierte u.a. Wolfgang Petry und das Musikmärchen „Wolke 7“. Seit 2004 macht er die Musik für „Siebenstein“ (ZDF). Seit 1993 ist er Mitglied im GEMA-Aufsichtsrat und seit 2017 Vorsitzender der Berufsgruppe der Textdichter. Er lebt am Bodensee und hat mit seiner Ehefrau Stefanie einen Sohn, Marlon.