Abo

„Sie sind einfach reingekommen“Mara will nach zwei Vergewaltigungen wieder „unbeschwerter“ werden

Mara wurde mit 18 Jahren zweimal bei der Bundeswehr vergewaltigt. Ihr wurde abgeraten, während des Verfahrens in Therapie zu gehen, „damit meine Glaubwürdigkeit nicht an Gewichtung verliert“, erzählt sie fassungslos. (Bild: ZDF/Verena Müller)

Mara wurde mit 18 Jahren zweimal bei der Bundeswehr vergewaltigt. Ihr wurde abgeraten, während des Verfahrens in Therapie zu gehen, „damit meine Glaubwürdigkeit nicht an Gewichtung verliert“, erzählt sie fassungslos. (Bild: ZDF/Verena Müller)

Wie lebt man weiter, wenn der Albtraum nie zu enden scheint? In der Reportage „37°: Vergewaltigt: Leben mit dem Trauma“ erzählen Mara und Ann-Kristin von den schlimmsten Erfahrungen ihres Lebens - und wie sie versuchen, trotzdem ihren Weg zu gehen.

Ein Mann mit Vollbart kommt Ann-Kristin auf einem Spazierweg entgegen. Ihr Herz schlägt schneller, sie atmet flach und fängt an zu schwitzen. „Das hat mich leider in dem Moment total getriggert und in die Situation der Vergewaltigung zurückgeworfen“, erklärt sie der Kamera mit zittriger Stimme. Seit ein langjähriger Freund sie 2013 vergewaltigte, ist ihr Leben ein anderes.

„Ich habe in der Nacht echt gedacht, dass ich sterben muss“, erinnert sie sich. Bis heute hat Ann-Kristin mit Angst und Panikattacken zu kämpfen. Der Täter wurde zwar verurteilt, setzte sich jedoch ins Ausland ab und wird bis heute international gesucht. „Ich bin ein anderer Mensch“, sagt sie in der ZDF-Reportage „37°: Vergewaltigt: Leben mit dem Trauma“.

„Es ist eine Erfahrung, die ich nicht löschen kann“, erklärt Mara. Die heute 26-Jährige wurde mit 18 während ihrer Zeit bei der Bundeswehr zweimal vergewaltigt. Vor allem Männer und Menschen in Uniform machen ihr seither Angst.

„Dunkelfeld“-Studie: Nur jede zehnte Vergewaltigung taucht in der Kriminalstatistik auf

Ein langjähriger Freund vergewaltigte Ann-Kristin 2013: „Ich habe in der Nacht echt gedacht, dass ich sterben muss“, erinnert sie sich in der ZDF-Reportage. (Bild: ZDF/Jürgen Heck)

Ein langjähriger Freund vergewaltigte Ann-Kristin 2013: „Ich habe in der Nacht echt gedacht, dass ich sterben muss“, erinnert sie sich in der ZDF-Reportage. (Bild: ZDF/Jürgen Heck)

Statistisch gesehen werden pro Tag 33 Vergewaltigungen in Deutschland verübt. Doch laut der „Dunkelfeld“-Studie des Bundeskriminalamts wird nur etwa jede zehnte Tat in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Manche Opfer geben an, die Tat vergessen zu wollen, oder glauben nicht daran, dass die Polizei ihren Fall aufklären kann. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 13.320 Fälle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff im besonders schweren Fall erfasst. Zum sechsten Mal in Folge stieg die Zahl im Vergleich zum vorherigen Jahr.

Die meisten Vergewaltigungen passieren, wie bei Ann-Kristin, im nahen sozialen Umfeld. Doch auch Mara ist kein Einzelfall. Laut dem jährlichen Bericht der Wehrbeauftragten wurden 2024 in 376 Fällen Ermittlungen „wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ eingeleitet. Auch hier wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.

Mara wurde zweimal vergewaltigt: „Das war der Moment, in dem ich erstarrt bin“

„Ich möchte, dass ich wieder unbeschwerter durch meinen Alltag gehe“, wünscht sich Mara. (Bild: ZDF/Verena Müller)

„Ich möchte, dass ich wieder unbeschwerter durch meinen Alltag gehe“, wünscht sich Mara. (Bild: ZDF/Verena Müller)

„Ich weiß, dass ich am nächsten Morgen ganz doll Angst hatte, rauszugehen“, erinnert sich Mara. Am Vorabend waren ihr zwei Kollegen in ihre Stube gefolgt, abschließen konnte sie diese nicht. Sie habe versucht, die Männer wegzuschicken und die Tür zuzuschieben, doch sie habe keine Chance gehabt. „Ich konnte mich körperlich nicht wehren, sondern sie sind einfach reingekommen und dann ist es zu einem ersten Übergriff gekommen.“

Mara meldete den Vorfall nicht und versuchte, die Erfahrung zu verdrängen. Doch drei Monate später passierte es noch einmal. Zwei Kollegen, einer von ihnen war auch Täter beim ersten Übergriff, folgten ihr abends nach Hause, drückten sie an die Haustür. „Der eine hat mich festgehalten und der andere hat mich einfach ausgezogen und angefangen. Und das war der Moment, in dem ich erstarrt bin.“

Alles sei „dumpf“ und „neblig“ gewesen, erzählt Mara. Nach einer Weile habe sie sich losreißen können und sei alleine ins Haus gelangt. „Ich habe einfach nur geweint“, erinnert sie sich.

„Das ist wie eine Wunde, die wächst zu, aber die Narben sehe ich doch immer“

„Das ist wie eine Wunde, die wächst zu, aber die Narben sehe ich doch immer“, weint Ann-Kristin in der ZDF-Reportage. (Bild: ZDF/Jürgen Heck)

„Das ist wie eine Wunde, die wächst zu, aber die Narben sehe ich doch immer“, weint Ann-Kristin in der ZDF-Reportage. (Bild: ZDF/Jürgen Heck)

Es dauerte fünf Jahre, bis die Täter verurteilt wurden. In der Zeit machte Mara keine Therapie, weil ihr davon abgeraten wurde - „damit meine Glaubwürdigkeit nicht an Gewichtung verliert“. Dabei sei genau diese Zeit die „anstrengendste, anspruchsvollste und retraumatisierenste“.

Bis heute sucht sie vergeblich nach einer Therapeutin, denn seit den Übergriffen ist der Alltag eine Herausforderung für die 26-Jährige. Anträge auf Wehrdienstbehinderung, um unter anderem die Kosten der Therapie zu übernehmen, wurden abgelehnt, da die Übergriffe nicht im Dienst geschehen seien. „Dass die Bundeswehr da nicht die Verantwortung übernimmt“, macht Mara bis heute „sauer und fassungslos“.

Ann-Kristin bekam ein Jahr lang Opferrente. Eine Weiterzahlung wurde nicht genehmigt, weil das Gericht zwar anerkennt, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, doch der Grad der Schädigung sei nicht hoch genug. Die Kammer sehe nur noch die „Rest-Sympthomatik“, was nicht ausreiche, erklärt die Anwältin der Kamera. Ann-Kristin ist fassungslos: „Das ist wie eine Wunde, die wächst zu, aber die Narben sehe ich doch immer“, weint sie.

Mara und Ann-Kristin wollen weiterleben: „Es hat mich nicht klein bekommen“

Trotz aller Hürden wollen beide Frauen nach vorne blicken. Ann-Kristin ist mittlerweile verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Mann ist für sie eine wichtige Stütze im Alltag. Mara ist ebenfalls Mutter geworden, doch eine Beziehung mit einem Mann ist für sie unmöglich, auch wenn sie es sich gewünscht hatte. Dennoch machte sie Fortschritte: „Ich merke auf jeden Fall, dass einiges sich verändern kann, dass Ängste sich verändern können. Und das macht mir total viel Mut.“

Doch die Ankündigung der Entlassung eines der Täter wirft Mara zurück. Plötzlich kann sie nicht mehr schlafen, hat Albträume und „panische Angst“. Um sich sicherer zu fühlen, beginnt sie mit dem Kickboxen: „Ich möchte, dass ich wieder unbeschwerter durch meinen Alltag gehe.“

„Für meine Zukunft ist mir wichtig, dass ich mit allem irgendwo abschließen kann“, wünscht sich auch Ann-Kristin. „Es hat mich nicht klein bekommen. Ich bin noch hier und es hat mich stark gemacht.“

„37°: Vergewaltigt: Leben mit dem Trauma“ ist am Dienstag, 2. September, 22.15 Uhr, im ZDF und bereits ab 18 Uhr in der Mediathek zu sehen. (tsch)