„Wir dokumentieren den Untergang der Demokratie“, zitiert ein Journalist im ZDF-Magazin „aspekte“ einige seiner besorgten Kollegen. Ein anderer fürchtet nach seinen Recherchen über rechtsextreme Jugendliche gar um sein Leben. Wie groß ist die Gefahr wirklich?
Nach Neonazi-Recherchen äußert Journalist im ZDF große Angst„Ich könnte irgendwo in einem Ofen enden“

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Ashkan Shabani gab sich für seine Recherchen als US-amerikanischer Trump-Unterstützer aus. (Bild: ZDF)
„Plötzlich hat es geknallt“, erinnert sich Fabi. Sie lebt im linksalternativen Wohnprojekt „Zelle 79“ in Cottbus - und musste kürzlich zum wiederholten Male beobachten, wie ihr Zuhause angegriffen wird, in diesem Falle mit Pyrotechnik. „Ich bin zum Fenster gelaufen und dann war schon alles rot, alles war voller Rauch. Und dann habe ich noch die Rufe gehört: 'Wir sind die Krieger, wir sind die Fans, Adolf-Hitler-Hooligans!'“
Im ZDF-Kulturmagazin „aspekte“ berichtet Fabi weiter, dass sich die Attacken seit einiger Zeit häufen würden: „Von rechten Jugendlichen haben wir vermehrt Schmierereien, Graffitis und Sticker wahrgenommen, die im Inhalt immer radikaler und immer klarer mit NS-Bezug waren.“
Erst im Juni sei ein Busch vor dem Haus angezündet worden. Auf einem Handyvideo ist zu hören, wie mehrere Jugendliche rufen: „Zelle 79, Jude, Jude, Jude!“ Einmal, erzählt Fabi, hätten sie und weitere Bewohner die Unruhestifter zur Rede gestellt - und dabei das Alter der Angreifer herausgefunden: „Wir haben erfahren, dass sie wirklich 13-jährig sind.“
Journalist warnt vor „TikTok-Guerilla“
Der Journalist Andre Aden ist überzeugt: Immer mehr Teenager radikalisieren sich. „Das hatten wir auch in den 90-ern, dass Skinheads auf den Pausenhöfen auf einmal eine dominierende Jugendgruppe waren. Heutzutage ist es definitiv wieder eine Form der Populärkultur bei Jugendlichen“, erklärt er.
Eine große Rolle spielen die sozialen Medien. In vielen Online-Clips gehe es um „Patriotismus und Heimatliebe“ und „darum, als große Gruppe gegen den Staat aufzustehen“, heißt es im Film. Die Neonazi-Szene habe Plattformen wie Instagram und TikTok längst als „Rekrutierungstool“ begriffen, bestätigt Andre Aden: „Es gibt Strukturen, die sich nur zu diesem Grund gegründet haben, die sagen: 'Wir gehen gezielt in soziale Medien.' Die sogenannten 'TikTok-Guerilla' - die produzieren entsprechende Inhalte nur für diese Propaganda-Plattformen.“

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„aspekte“-Moderatorin Salwa Houmsi begibt sich auf die Spuren rechter Gewalt. (Bild: ZDF)
„Rechte Propaganda“ komme heute „viel unterschwelliger“ daher, warnt Aden. Auch James Braun vom Landeskriminalamt Berlin sagt: „Das Gefährliche ist, dass das ja Menschen sind, die in ihrer gesamten geistigen Entwicklung noch nicht so weit sind, dass sie eben auch sehr komplexe Zusammenhänge verstehen können.“
Er rät dazu, die Online-Aktivitäten der eigenen Kinder genau im Blick zu behalten: „Da muss man sich auch als Eltern sehr häufig die Frage stellen: Ist es denn gut, wenn sich Kinder so früh allein mit diesen ganzen Inhalten im Internet auseinandersetzen? Ich glaube, es fängt da an.“
„Interviews werden zugesagt und dann doch wieder abgesagt“
Jegliche Versuche des ZDF-Teams, selbst tiefer in die Szene einzutauchen, scheitern. „Wir stehen mit einigen in Kontakt. Interviews werden zugesagt und dann doch wieder abgesagt“, erklärt Moderatorin Salwa Houmsi. „Wir hören immer wieder, dass Teile der Szene alarmiert sind, weil sich zuletzt häufiger Journalistinnen und Journalisten Zugang zu Gruppen verschafft haben.“
So auch Ashkan Shabani. Der 34-Jährige flüchtete vor fünf Jahren aus dem Iran, nachdem ihn seine eigenen Eltern aufgrund seiner Homosexualität beim Regime angezeigt hatten. Hierzulande recherchierte er undercover in rechtsextremen Netzwerken, gab sich dafür als US-Amerikaner und radikaler Trump-Supporter aus. „Für mein erstes Gespräch bin ich nach Dresden gefahren“, erinnert er sich.
Das, was ihm seine noch jungen Interviewpartner dort mitteilten, schockiere ihn bis heute: „Sie sagten: 'Das ist nicht mehr unser Deutschland. Wir fühlen uns wie Fremde im eigenen Land und wir wollen es uns zurückholen.' Als ich fragte, wie sie das tun wollen, hieß es zunächst: 'Im Moment führen wir einen Kulturkampf. Wenn das nicht funktioniert, sind wir bereit, Taten Folgen zu lassen.'“
„Wir dokumentieren den Niedergang der Demokratie“
Im Gespräch mit dem ZDF stellt Shabani klar: „Das macht mir Angst. Diese Menschen leben hier um mich herum. Und noch beängstigender ist, dass sie Tag für Tag stärker werden und mehr Anhänger bekommen.“ Er wolle „nicht hier sein, wenn diese Menschen an der Macht sind“, betont der Journalist: „Im besten Fall werden sie mich rauswerfen. Im schlimmsten Fall könnte ich irgendwo in einem Ofen enden. In drei Jahren sehe ich mir nicht mehr in Deutschland.“
Angst zu erzeugen sei „das, was sie wollen“, sagt Andre Aden über die jungen Rechtsextremen. „Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die sagen, es hat keinen Sinn, wir dokumentieren den Niedergang der Demokratie, wir werden nichts mehr zum Positiven verändern mit unserer Arbeit“, erzählt Aden. Er selbst hingegen plädiert für mehr Optimismus: „Ich beharre auf dem Standpunkt, dass es möglich ist, dagegen vorzugehen.“
Die „aspekte“-Reportage „Rechte Gewalt - Neonazis auf dem Vormarsch“ ist im Streamingportal des ZDF abrufbar. (tsch)