Darf man in Deutschland noch sagen, was man will? Jein, glauben Markus Lanz und Richard David Precht, die in ihrem ZDF-Podcast vor einem Verlust der Meinungsfreiheit warnen. Zu diesem habe unlängst auch Jan Böhmermann beigetragen.
Lanz und Precht sorgen sich um die Meinungsfreiheit - auch wegen Jan Böhmermann„Sehr gefährlich“

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Richard David Precht (links) und Markus Lanz sehen die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr. (Bild: ZDF / Christian Bruch)
„Natürlich darfst du alles sagen“ - davon war Markus Lang „bis vor ein paar Jahren“ noch fest überzeugt. Inzwischen ist sich der ZDF-Moderator da nicht mehr so sicher. Dass die Meinungsfreiheit „gefährdet“ sei, macht Lanz in der neuen Episode von „Lanz & Precht“ unter anderem an den Zuschriften von Zuhörern fest, die ihn jüngst nach der Veröffentlichung einer Podcast-Folge über die AfD erreicht hätten.
In der Ausgabe vom 9. Mai hatte Lanz AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla zitiert, der in einem Interview mit dem Deutschlandfunk „einen anderen Ton“ seiner Partei auf parlamentarischer Ebene angekündigt hatte. „Ich sagte daraufhin: Dann lass ihn uns beim Wort nehmen. Lass uns schauen, ob er das wirklich ernst meint“, erinnert sich der Journalist.
Der „freundlichste Vorwurf“ gegen Lanz sei daraufhin gewesen, dass er „naiv“ sei. „Das andere ist dann sofort die Nazi-Keule. Das heißt, ich hätte mich direkt distanzieren müssen und sagen, das kann man doch nicht ernst nehmen.“
„Das beschert uns möglicherweise irgendwann amerikanische Verhältnisse“
Die Nachrichten hätten den Polittalker beunruhigt. „Ich denke, wenn wir auf diese Art und Weise weitermachen, wenn wir so miteinander sprechen, dann gehen wir exakt den Weg, den Amerika gerade geht.“ Richard David Precht stimmt ihm zu: Er mache sich „genau die gleichen Sorgen“ wie Lanz. „Jetzt würden deine Kritiker entgegnen: 'Du kannst doch sagen, was du willst, dir ist nichts passiert.'“ Dabei müsse man „zwei Dinge mal unterscheiden: Das, was man sagen darf, das ist immer noch ganz viel. Das hat sich jetzt nicht so ganz wesentlich verändert.“

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Jan Böhmermann moderierte zuletzt eine umstrittene „ZDF Magazin Royale“-Ausgabe zu rechten YouTubern. (Bild: ZDF)
Entscheidend sei jedoch etwas anderes, mahnt Precht: „Die sozialen Kosten steigen. Das heißt, die Spannbreite von Äußerungen, die man machen kann, damit sie keinen Unmut hervorrufen oder heftige Aggressionen oder moralisierende Repliken, wird kleiner.“ Aus diesem Grund gebe es „viele Leute, die Dinge denken, die sie in der Öffentlichkeit nicht mehr aussprechen“. Die Meinungen, die nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert seien, würden „dann quasi in den Untergrund wandern und schmoren da vor sich hin“, glaubt der Autor. „In den Menschen wächst das Gefühl: 'Ich darf ja hier nicht mehr sagen, was ich will.'“
Die derzeitige Entwicklung sei Precht zufolge „sehr gefährlich“: „Das beschert uns möglicherweise irgendwann amerikanische Verhältnisse - nämlich, dass quasi aus einer Trotzreaktion Rechtspopulisten an die Macht kommen, die dann auf ihre Art und Weise die Meinungsfreiheit einschränken, aber genau umgekehrt, als das bisher der Fall ist.“
Kritik an Jan Böhmermann: „An den Pranger gestellt“
Auch Lanz stellt fest, dass in den USA „nach der Wokeness von links jetzt eine ganz harte Wokeness von rechts“ komme. Und die, ergänzt Precht, „werden all die Mittel nutzen, die die Wokeness von links zur Verfügung gestellt hat. Und das ist in erster Linie, andere möglichst öffentlich zu beschämen und Leute zu canceln.“ Sobald es Teil des gesellschaftlichen Umgangs miteinander sei, „dass immer irgendjemand angeprangert oder moralisch angefeindet wird, dann können die Rechten das alle übernehmen. Das ist das, was in den USA passiert ist. Und deshalb sage ich: Wehret den Anfängen!“
Kritisch blicken die beiden Podcaster deshalb auch auf Jan Böhmermann und dessen Team vom „ZDF Magazin Royale“, die kürzlich enthüllten, wer hinter dem rechten YouTube-Kanal „Clownswelt“ steckt. Dabei sei „jemand in bester mittelalterlicher Tradition an den Pranger gestellt und dem öffentlichen Spott und Hass preisgegeben“ worden, kritisiert Precht. „Die Frage ist, ob das die journalistische Aufgabe ist, so was zu tun.“ Er fragt: „Wer macht sich hier zum Richter in einer solch komplizierten und sehr intimen Geschichte?“
Es sei „gut und richtig“, dass man in Deutschland „jeden politischen Schwachsinn“ von sich geben dürfe, resümiert Precht. „Ich finde, dass wir da eine gute Tradition haben und auch jahrzehntelang richtig damit umgegangen sind. Das muss eine liberale Gesellschaft aushalten.“ Dass Kritik von mancher Seite kaum mehr zugelassen werde, sei „überhaupt keine gute Entwicklung“, sorgt sich Precht - und beendet den Podcast, indem er Helmut Schmidt zitiert: „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“
Böhmermann an Precht: „Klären wir das dann nach dem nächsten Weltkrieg?“
In der von Lanz und Precht angesprochenen „ZDF Magazin Royale“-Folge vom 9. Mai über rechte YouTuber hatte Jan Böhmermann seinerseits explizit Bezug auf Richard David Precht und dessen vormals geäußerten Vorwurf in seine Richtung genommen (“Also für Jan Böhmermann ist ja jeder, der rechts von der SPD steht, irgendwie ganz schnell unter Nazi-Verdacht“).
Mit einer Precht parodierenden Stimmfarbe konterte der ZDF-Satiriker: „Aber mein lieber Richard, mal unter uns Podcast-Philosophen und Nummer-eins-Spiegel-Bestseller-Autoren: Wenn wir mit dem Nazi-Verdacht erst rechts von der AfD anfangen, wann wehren wir dann den Anfängen? Klären wir das dann nach dem nächsten Weltkrieg?“ (tsch)