„Wir schaffen das“. Noch heute wird dieser Satz in Deutschland zwangsläufig mit Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel verbunden. Doch wie sieht es zehn Jahre später aus? Hat Deutschland es „geschafft“? Dieser Frage geht Ingo Zamperoni in der ARD-Doku „Merkels Erbe - 10 Jahre 'Wir schaffen das!'“ nach.
Journalist hält Merkel für die „Geburtshelferin der AfD“ - in ARD-Doku bezieht Ex-Kanzlerin dazu Stellung

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Angela Merkel empfängt Ingo Zamperoni zum Interview in ihrem Büro in Berlin. (Bild: NDR/ Thomas Ernst)
Zehn Jahre ist es her, dass Angela Merkel am 31. August 2015 den mittlerweile historischen Satz „Wir schaffen das!“ sagte. Drei Worte, die noch heute für Diskussionen sorgen und für die die damalige Bundeskanzlerin von einigen Seiten scharf kritisiert wurde. Über 800.000 Geflüchtete reisten damals in die Bundesrepublik, um hier Asyl zu suchen. Heute, zehn Jahre später, stellt sich die Frage: Hat Deutschland es geschafft?
ARD-Journalist Ingo Zamperoni geht dieser Frage in der Reportage: „Merkels Erbe - 10 Jahre 'Wir schaffen das!'“ nach. Er trifft sich mit Bürgern, Politikern, Geflüchteten, Journalisten - und mit Angela Merkel selbst - und fragt: Haben wir es geschafft oder sind wir gescheitert?

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Hauptstadt-Journalist Robin Alexander (rechts) hat die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel sowie deren Folgen kritisch verfolgt. (Bild: ARD)
Einer der Menschen, der damals aus Syrien nach Deutschland flüchtete, ist der heute 26 Jahre alte Mohammed Alasaad. Er kam 2016 als Jugendlicher in die Bundesrepublik, ließ sein altes Leben und auch seine Eltern in seiner Heimat zurück. Heute arbeitet er als Pflegekraft am Uniklinikum Lausitz in Cottbus. Er hat Deutsch gelernt, studiert mittlerweile nebenbei und bildet andere Pflegekräfte aus.
„Deutschland ist ein anderes Land“
Auf die Nachfrage von Ingo Zamperoni erklärt der junge Mann, sich damals nicht gezielt für Deutschland entschieden zu haben. Sein Gedanke sei damals gewesen: „Hauptsache raus aus Syrien.“ Er hatte jedoch von der „flüchtlingsfreundlichen“ Politik in Deutschland gehört - so wie viele andere Syrerinnen und Syrer. „Das hatte sich rumgesprochen. Insbesondere durch die Reden von Frau Merkel - das haben alle verfolgt“, erinnert er sich.
Rückblickend erklärt er: „Ich hatte Glück und ich weiß, dass andere das nicht hatten.“ Dies sei noch heute seine Motivation, weiterzumachen und weiterzuarbeiten. Einen gewissen Stimmungswechseln in Deutschland vernehme er dennoch: „Sobald ich merke, dass ich nicht mehr herzlich willkommen bin, werde ich wahrscheinlich auch zurückgehen.“ Er sei bisher nie arbeitslos gewesen, habe sich nach seiner Ankunft direkt einen Job gesucht. Mittlerweile hat Mohammed Alasaad sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Dass die AfD nun immer weiter an Stimmen gewinnt, sei für ihn eine Enttäuschung.

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Die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel blickt auf ihre Migrationspolitik zurück. (Bild: NDR/ Thomas Ernst)
Ingo Zamperoni will wissen: „Inwiefern haben die Ereignisse von 2015 die politische Stimmung bis heute verändert?“ In Berlin trifft er sich mit dem Hauptstadtjournalisten Robin Alexander. Er hat die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und die Folgen in den letzten Jahren kritisch begleitet. Der Journalist betont: 2015 sei der „Startpunkt für das, was wir heute erleben“ und stellt klar: „Deutschland ist ein anderes Land.“
Robin Alexander erklärt: „Egal, wie man zum Herbst 2015 steht, das war ein Boost für die AfD, das ist nicht zu leugnen.“ - „Das heißt, Merkel hat schon eine gewisse Verantwortung für den Aufstieg der AfD?“, hakt Zamperoni nach. Alexanders Antwort fällt deutlich aus: „Merkel ist die Geburtshelferin der AfD. Das wollte sie nicht, aber das gehört zu ihrem Erbe.“
Angela Merkel: „Dazu hätte ich mich nie bereit erklärt“

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Mohammed Alasaad kam 2016 als alleinreisender Jugendlicher aus Syrien nach Deutschland. Heute bildet der gelernte Krankenpfleger andere Pflegerinnen und Pfleger aus. (Bild: NDR/ Martin Kobold)
Wie steht die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu dieser Einschätzung? Wie blickt sie heute auf ihre drei Worte zurück? Im Interview mit Ingo Zamperoni gesteht sie: „Ich war auch verwundert, in den letzten Jahren, wie sehr mir diese drei Worte 'Wir schaffen das' um die Ohren gehauen wurden.“ Die Worte sollten, so Merkel, nichts anderes ausdrücken wollen, als „dass wir vor einer großen Herausforderung stehen“.
Sie sei sich damals der Größe der Aufgabe bewusst gewesen, erklärt jedoch: „Ich habe auch nicht gesagt 'Ich schaffe das', sondern 'Wir schaffen das'“, weil ich auch auf die Menschen im Lande gehofft habe.“ Zamperoni will wissen, ob sie rückblickend das Gefühl habe, Deutschland überfordert zu haben. Merkel verneint und betont: „Deutschland ist ein starkes Land.“ Sie habe sich vielmehr Vorwürfe gemacht, „dass wir nicht 2012, 2013 als der Bürgerkrieg in Syrien schon tobte, mehr gemacht haben für die UN-Organisationen, für das Welternährungsprogramm oder das Flüchtlingswerk.“
Kritikern stellt sie die Gegenfrage: „Was hätten wir denn tun sollen?“ Die Optionen seien gewesen, die Menschen aufzunehmen oder sie gewaltmäßig wegzudrängen. „Das wäre keine Option für mich gewesen“, stellt Merkel klar. „Dazu hätte ich mich nie bereit erklärt.“ Auf die Nachfrage, ob sie ihre Entscheidung bereue oder Zweifel habe, antwortet die Ex-Kanzlerin entschieden: „Nein, daran habe ich keine Zweifel!“
Dennoch gibt sie im Gespräch zu, dass ihre Entscheidungen 2015 durchaus polarisiert und dafür gesorgt hätten, dass sich mehr Menschen der AfD angeschlossen haben. „Und dadurch ist die AfD sicherlich auch stärker geworden.“ Das sei aber kein Grund gewesen, eine Entscheidung, die sie für richtig, vernünftig und menschenwürdig halte, nicht zu treffen, so Merkel.
Sie appelliert, das Thema Migration gemeinsam und europäisch zu denken. „Wenn wir uns über die Flüchtlingspolitik, über die Migrationspolitik europäisch zerspalten, dann haben wir ein großes Problem. Denn wir brauchen ein starkes, einiges Europa“, so Merkel.
Das Erste zeigt die Dokumentation „Merkels Erbe - 10 Jahre 'Wir schaffen das!'“ am Montag, 25. August um 20.15 Uhr in der ARD. In der ARD Mediathek ist die Dokumentation bereits vorab zu sehen. (tsch)