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Zu Besuch beim Star-AutorKen Follett zeigt uns seine Kreativwerkstatt

Er ist der Großmeister des Historienromans – schuf Werke wie „Die Säulen der Erde“. Ken Follett hat EXPRESS die Türen zum Hausbesuch geöffnet.

195 Millionen Bücher hat dieser Mann auf der ganzen Welt verkauft. Alles, was er anfasst, wird zum Bestseller. Klassiker wie „Die Säulen der Erde“ wurden verfilmt. Ken Follett ist in der Literaturwelt ein Schwergewicht für populäre Historienromane. Und weil sein neues Buch „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ gerade ganz frisch auf dem Markt ist, hat der Großmeister EXPRESS zu sich nach Hause eingeladen.

Okay, britischer geht es nicht. Kies knirscht unter den Schuhen, als wir in Stevenage, rund 40 Kilometer nördlich von London, aus dem Auto steigen. Ein wundervoller Landsitz, üppig geschmückt mit Sommerblumen, weiten Rasenflächen (klar, englischer Rasen) und Bäumen, ordentlich in Form gebracht. So stellt man sich Folletts englisches Heim vor. Obwohl der Mann Waliser ist, nicht Engländer.

Ken Follett: Die „Schreib-Maschine“ nutzt auch KI

Erstmal ab in seine Scheune. Nein, da liegt kein Stroh, sie wurde zu einem luftigen Gästeraum ausgebaut. An der Wand ein Bücherregal, voll mit Follett-Editionen aus aller Welt. Warum schreibt der 76-Jährige immer noch wie am Fließband? „Ich kann nicht aufhören, das ist die interessanteste Sache in meinem Leben“, sagt er. „Ich brauche nicht mal Pausen. Wenn ich ein Buch fertigstelle, starte ich mit dem nächsten.“ Obwohl „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ (Bastei Lübbe, 36 Euro) gerade herausgekommen ist, hat er schon 500 Seiten seines nächsten Buches im ersten Entwurf fertig. Der Mann ist eine Maschine.

Apropos: Nutzt er Künstliche Intelligenz? „Ja, jeden Tag. Weil ich es als viel bessere Suchmaschine empfinde. Ich nutze es nur für Recherchen, nicht fürs Schreiben.“ Er hat es zum Spaß mal versucht. „Es war interessant, da gab es ein Dorf, einen Knappen, einen Krieg. Ich konnte sehen, dass das alles aus meinen Büchern kam. Aber die Story, die Sprache! So schlecht. Da war ich zufrieden. Ich werde noch gebraucht!“

Eine Frau in schwarzem Business-Kostüm und ein Mann mit weißem Haar und offener Anzugweste sitzen vor einem Kamin und unterhalten sich.

EXPRESS-Redakteurin Marie Schäfers mit Ken Follett in seinem Arbeitszimmer.

Wir dürfen jetzt an den Ort, wo die fetten „Schinken“ (seine Bücher haben 600 Seiten und mehr) entstehen. An den Fenstern britische Blümchen-Rüschen-Vorhänge, ultradicke Teppiche, unter denen die Dielen knarzen. In seinem Büro atmet alles Geschichte. Follett schreibt in der Nähe des Fensters. Drei Bildschirme stehen auf dem Schreibtisch, einer quer, die anderen beiden hochkant. „Überarbeitungen mache ich auf dem mittleren, auf dem linken habe ich meinen ersten Entwurf, auf dem rechten sind Anmerkungen von Verlag und Experten“, sagt er.

Jeden Morgen versetzt er sich in andere Zeitalter. „Ich fange direkt um 5 oder 6 Uhr an, setze mich noch im Bademantel ohne Kaffee an den Rechner.“ Jedes Buch entsteht hier. Mal rausgehen in den wunderschönen Garten oder an den Swimmingpool? „Nein, das lenkt mich ab. Aber ich setze mich mal raus und lese, gerne unter die große Zeder.“

Die Libanon-Zeder, um die sich eine Bank schlingt, ist über 300 Jahre alt, beeindruckend. Seit den 90ern lebt Follett hier mit Barbara, Labour-Politikerin, einst Kultur-Ministerin Großbritanniens. Eine wundervolle Frau (84), die herrlich offen mit uns plaudert, was sie wohl zum 40. Hochzeitstag anziehen soll. Was das Rezept für eine gute Ehe sei, fragen wir ihren Mann. „Ich weiß es nicht genau. Wir trafen uns, waren danach hoffnungslos ineinander verliebt. Und sind es noch“, sagt Ken Follett verschmitzt. „Ich bin immer noch verrückt nach Barbara. Wir frühstücken jeden Tag zusammen – und ich freue mich direkt schon auf das Mittagessen mit ihr.“ 

Sie managt ihn, bei seinem Erfolg ein ausfüllender Job, das Follett Office hat 26 Angestellte. „Barbara hat den Hut auf, damit ich den ganzen Tag schreiben kann“, sagt Ken. Er revanchiert sich, indem er für Barbara kocht. Jeden Abend. Champagner hat er sich früher täglich gegönnt, heute nur ab und zu. „Früher war ich am nächsten Morgen auch total fit. Die Zeiten sind vorbei“, lacht er. Abends wird eine Runde Backgammon gespielt, dann eine Serie geguckt. „Nur Dramen, nicht Reality- oder Kochshows.“

Wir gehen zurück in die Scheune, kommen vorbei an einem Bild, auf dem sein Sohn Emanuele zu sehen ist. Er starb 2018 an Krebs. Emanuele spielte auch in Kens Band. Er ist Rocker, die Scheune ist auch Proberaum für seine Band „Clogiron“. Ken spielt Bass. Und singt. Gar nicht schlecht übrigens. Ein bisschen Rock'n'Roll ist auch in seinen Büchern. Er schreibt gerne und oft Sexszenen. Auch in Stonehenge gehts zur Sache. Was sagen seine sechs Enkel? „Die sind peinlich berührt“, lacht er. „Ich nicht, Sex gehörte doch in allen Zeitaltern dazu.“ Würde er gerne in einem der Zeitalter seiner Romane leben? „Nein, nur in unserem. Ich bin zu sehr gewohnt an bequeme Stühle, schöne Kleidung – und Champagner.“

Der neue Ken Follett: Darum geht's in „Stonehenge“

Der neue Roman von Ken Follett (gerade erschienen) spielt in der Jungsteinzeit, als das Megalith-Bauwerk in Südwestengland gebaut wird (und in der Zeit davor). „Es gab viele Steinkreise in Europa in dieser Zeit“, sagt uns Follett. „Aber Stonehenge ist besonders. Die Steine sind riesig, sie sind flach, sie sind alle bearbeitet.“ Natürlich hat der Bestseller-Autor den Ort mehrfach besucht, kroch sogar durch Feuersteinminen. „Ich habe große Ehrfurcht gespürt, als ich in Stonehenge war. Es fühlt sich wie eine Art Kathedrale an. Ich habe nicht immer Gebäude oder Monumente in meinen Büchern. Aber wenn, dann läuft es besonders gut für mich“, lacht er.

Ein Mann mit weißem Haar und schwarzer Brille steht vor dem Steinkreis in Stonehenge und blickt nachdenklich.

Bestseller-Autor Ken Follett auf Recherchebesuch in Stonehenge.

Fakt ist aber: Über diese Zeit wissen Archäologen (mit zweien hat Follett für das Buch zusammengearbeitet) auch heute noch nicht viel. „Ich hatte so mehr Freiheiten, meine Charaktere zu entwickeln“, sagt Follett pragmatisch. Im Buch geht es um drei Gruppen – Hirten, Bauern und Waldleute– die sich knappe Ressourcen teilen müssen, was natürlich zu Konflikten führt. In dieser Situation entwickelt Priesterin Joia mit Feuerstein-Macher Seft das Ziel, ein Monument aus gigantischen Steinen zu errichten. Wie die an ihren Platz kamen? Unklar.

Follett hat sich im Roman für eine These entschieden. „Ich bin einer Route gefolgt, auf der wohl Steine transportiert wurden“, sagt er. Nur selbst Steine gestemmt hat er mit Rücksicht auf seinen Rücken nicht. Im Buch gibt es auch überraschend modern agierende Charaktere. Passt das zur Steinzeit? „Sie waren damals auch nicht so viel anders als wir heute“, so Follett. „Einige Themen sind universell. Das sind die Themen, über die ich eben schreibe.“