Extrabreit-FrontmannKai Havaii: „Ich bin gerne der Bad Boy“

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Geht immer noch gerne auf der Bühne ab und fühlt sich dann wie in einer Zeitblase: Sänger Kai Havaii gibt aber zu, dass ihm hinterher schon mal die Knochen schmerzen. Mit Ü60 aber ganz normal.
Köln – Seinen größten Hit veröffentlichte er vor 40 Jahren, der ist bis heute Party-Highlight der jeweils aktuellen Schüler-Generation; „Hurra, hurra, die Schule brennt“.
Der Mann, der dem Song die Stimme gibt, ist der Ex-Hagener Kai Havaii (63), der in seinem Punk’n’Roll-Leben fast alles durchgemacht hat, was dem Rockstar-Klischee entspricht. Mit seiner Band Extrabreit hat er jetzt das Album „AUF EX!“ veröffentlicht – und auch das hat sich wieder in den Charts festgesetzt.
Verblüffend: Sie haben den Song „Hurra, die Schule brennt!“ vor 40 Jahren geschrieben, und auch heute noch gehört er zu jeder Abi-Feier. Hätten Sie sich das damals vorstellen können?
Kai Havaii: Das war wirklich nicht absehbar. Genauso wenig, wie wir uns vorstellen konnten, dass wir heute – 40 Jahre später – immer noch auf der Bühne stehen und diesen Song spielen.

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Im Februar 1998 bei einem Pressetermin, auf dem Extrabreit ihre Auflösung bekannt gaben. Doch sie rocken noch.
Auf der Bühne immer wieder alte Lieder – wird das nicht langweilig?Wenn ich oben stehe, bin ich voller Adrenalin und in einer Zeitblase, in der das Damals nicht vergeht. Auch wenn es sonst im Körper schon mal zwickt und zwackt, spüre ich dann nichts davon. Ich sehe leuchtende Augen, nach oben gestreckte Arme, das pusht mich so, dass ich mich wie in einem Rausch fühle. Dass doch schon einige Jahrzehnte vergangen sind, merke ich erst, wenn ich wieder zu Hause bin, die Knochen neu nummerieren muss und in den Spiegel gucke.
„Polizisten“ oder „Hurra, die Schule brennt“ waren mal wütende Songs. Haben Sie, wenn Sie die heute singen, immer noch die alten Gedanken?Das Rebellische, was in diesen Songs steckt, ist bis heute nicht verschwunden. Die ironische Distanz gegenüber Autoritäten und der „öffentlichen Meinung“ sind noch da. Und „Polizisten“ war ein ironisches Lied, in dem die Staatsmacht auf die Schippe genommen wird, kein Hasslied, auch wenn die damalige Generation der Polizisten das nicht lustig fand. Heute läuft das Lied sogar auf den Revier-Partys.
Wenn Sie als 20-Jähriger gesehen hätten, wie Sie heute mit 63 sind – wären Sie zufrieden?Ich wäre ziemlich verblüfft. Das hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich heute noch mit Extrabreit auf der Bühne stehe. Für alte Rocker gab es damals keine Vorbilder – selbst die Stones waren ja noch ziemlich jung.
„AUF EX!“ ist nach zwölf Jahren wieder mal ein Studio-Album. Warum hat’s so lange gedauert?Wir waren uns bis dahin gar nicht sicher, ob wir überhaupt noch ein Album machen wollen. Das Live-Geschäft lief auch so gut. Wir haben zwar immer mal ein Demo gemacht, das aber schnell in der Schublade verschwinden lassen. Anfang des Jahres haben wir uns die Demos noch mal vorgenommen, gerade gebogen, ins Klingen gebracht. Irgendwann hatten wir den Eindruck, wenn noch zwei, drei Song dazukämen, hätten wir ein vorzeigbares Album.

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Das neue Album schoss gleich mal richtig in die deutschen Charts.
Was ist derzeit Ihr persönlicher Lieblingssong vom Album?Im Moment ist es „Winter“, weil er so schaurig schön zur Lage der Nation passt. Darin heißt es: „Es wird ein langer dunkler Winter, so wie er selten war zuvor.“
Ein Album in Corona-Zeiten – ein guter Plan?Geplant war das so nicht, aber es stellt sich raus, dass es funktioniert. Wir sind mit „AUF EX!“ in die Top 20 der Charts eingestiegen. Natürlich – wenn wir damit auf Tour gehen könnten, würde das drei Mal so viel Spaß machen. Live-Konzerte sind ja auch unsere wichtigste Einnahmequelle. Aber wir haben uns seit Sommer damit abgefunden und jammern nicht rum. Jetzt heißt es: Augen zu und durch und auf das nächste Jahr hoffen.
Waren Sie mal richtiger Punk?Wenn man unter Punk versteht, mit der Sicherheitsnadel durch die Wange in einer Fußgängerzone zu stehen, habe ich nie was damit zu tun gehabt. Punk bedeutet für mich, sich einen kritischen Geist zu bewahren, nicht immer mit dem Strom zu schwimmen, offen zu sein für was Neues. Was Punk als Musik betrifft: Ja, Extrabreit war sehr davon inspiriert. Wir wollten zeigen, dass man kein Virtuose sein, stundenlange Soli spielen muss, um gute Songs zu machen. Bei entsprechenden Ideen kommt man mit drei Akkorden aus.
Es gibt den Spruch „Wer sich an die 80er erinnern kann, war nicht dabei!“ Stimmt der?Den kann ich bestätigen. Wir haben alles ausprobiert, nichts anbrennen lassen. Es war eine wilde, schnelle Zeit. Was die Drogen betrifft, bin ich heute glücklicherweise abstinent – wobei ich Marihuana nicht als schädliche Droge begreife.

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Extrabreit bei einem Fototermin in Schwerte im Oktober (v.l.): Bubi Hönig (Gitarre), Stefan Klein (Gitarre), Kai Havaii (Gesang), Rolf Möller (Schlagzeug) und Lars Hartmann (Bass).
Sie haben einen schweren Kampf gegen Ihre Heroin-Sucht führen müssen…Ja, ich habe damals, Ende der 80er, in Köln gelebt, in der Brabanter Straße, direkt gegenüber der Baghwan-Disco, und bin regelmäßig nach Holland gefahren, wo mein Dealer saß. Das ging lange Zeit gut, dann eines Tages nicht mehr. Ich wurde an der Grenze verhaftet, habe einige Tage in Holland und später in Deutschland im Knast gesessen – einschneidende Erfahrungen.
War es schwer, in Ihrer wilden Welt clean zu werden?Es hat einige Versuche gebraucht, es ging nicht von heute auf morgen. Irgendwann war mir aber klar, wenn ich nicht gleich die Bremse ziehe, ist mein Leben vorbei. Dann kam der Tag, an dem ein Schalter in meinem Kopf umgelegt wurde. Ich habe mich endgültig entschlossen, zu entziehen. Es war nicht einfach. Danach musste ich lernen, mich in einer anderen Realität zurecht zu finden.
Extrabreit wurden immer der Neuen Deutschen Welle (NDW) zugerechnet, Sie fanden das nie so toll. Warum?Als wir 1978 anfingen, gab es die NDW noch nicht. Wir waren eine Rockband mit deutschen Texten, was damals ungewöhnlich war. Plötzlich erwachte das Interesse an neuen Bands, die auf Deutsch sangen, und wir waren dabei. Es war ein Kultur-Tsunami, der uns überall bekannt gemacht hat. Doch eines Tages war die NDW ausgelutscht, und weil wir inzwischen auch als NDW galten, verlor man das Interesse an uns. Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns aus dieser Talsohle rausgearbeitet hatten, das war 1990 mit „Flieger, grüß mir die Sonne“.
Sie galten aber auch als die Bad Boys der NDW…Das war gut für unser Image, wir hatten nichts dagegen. Wir wollten nie die glattgebügelten Schwiegermutterlieblinge sein, dann lieber die ungehobelten, unberechenbaren Jungs von nebenan. Ist bis heute so geblieben.
Kai Havaii: Duette mit Juhnke und der Knef
Kai Havaii (geboren am 14. April 1957 in Hagen als Kay-Oliver Schlasse) kam 1979 zur „Punk-’n’-Roll“-Band Extrabreit. Es gab Duette mit Marianne Rosenberg, Hildegard Knef und Harald Juhnke.
Seit 2000 ist er auch Autor und Produzent fürs Fernsehen. 2019 schrieb er den Roman „Rubicon“. War von 1988 bis 1993 mit der US-Fotografin Stefani Kong verheiratet, lebte mit ihr auch in Köln. Wurde zu dieser Zeit heroinsüchtig.
Er lebt seit 2000 mit seiner jetzigen Ehefrau, Filmeditorin Maren Großmann, in Hamburg.