„Da stimmt was mit Menschen nicht“Qualzucht, Leinenpöbler: Hunde-Experte Andreas Ohligschläger wird deutlich

Andreas Ohligschläger. Das Foto stammt aus seinem Buch „Seelenpartner Hund“ (GU 24 Euro), erschienen am 4. September 2023.

Mitten im Gewusel: Andreas Ohligschläger mit seiner Rasselbande aus ganz verschiedenen Charakterköpfen. Das gestromte Hundemädchen links ist sein „Riesenbaby“ Teja. Das Foto stammt aus seinem Buch „Seelenpartner Hund“, das am 4. September 2023 erschienen ist.

Mensch-Hund-Coach Andreas Ohligschläger spricht im großen EXPRESS-Interview über Benimm-Basics für Zweibeiner, das Drama mit den Qualzuchten und vor allem Gelassenheit.

von Stefanie Monien (smo)

Wohl kaum jemand hat tiefer in die Seelen von Hunden (und ihren Menschen) geblickt als Andreas Ohligschläger. Der 56-Jährige coacht erfolgreich Hunde sowie vor allem deren Besitzerinnen und Besitzer. Gerade ist das neue Buch des Mannes aus Eschweiler erschienen: „Seelenpartner Hund“.

Fein, dass Andreas Ohligschläger Platz gemacht hat für ein langes Gespräch mit EXPRESS.de. In diesem er erklärt, warum die Vierbeiner von Herrchen und Frauchen auch mal die Schnauze voll haben. Außerdem geht es generell viel ums andere Ende der Leine, also um Menschen.

Andreas Ohligschläger: Hund als Prestigeobjekt? Geht gar nicht!

Seit der Pandemie gibt es mehr Hunde und mehr Besitzerinnen und Besitzer, die überfordert sind. Woran liegt das?

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Andreas Ohligschläger: Viele Menschen agieren mit zu viel Kopf und zu wenig Herz, das spüren Hunde. Die Besitzer bedenken oft nicht, dass sich viel auf Hunde überträgt. Sie kommen gestresst von der Arbeit, haben eigentlich den Kopf voll mit anderen Dingen.

Die gehen dann fix noch Gassi ...

Andreas Ohligschläger: ... und wundern sich, dass der Hund die Anspannung übernimmt und es zu Leinenpöbeleien kommt. Viele Leute sind zu schnell unterwegs, telefonieren, nehmen sich keine Zeit mehr, auch nicht für die Natur. Man muss nicht den ganzen Tag Bäume umarmen und im „Omm“ sein, aber ich finde, der Bezug zu dem, was uns umgibt, ist wesentlich für den Umgang mit dem Hund. Einen Hund nur als Prestigeobjekt zu haben, geht gar nicht.

Aber es gibt ja Fans von bestimmten Rassen und „Modehunden“ ...

Andreas Ohligschläger: Es ist wie in der Menschenwelt: Viele wählen bei Tinder den Partner nach Optik aus, treffen ihn dann und sind enttäuscht, dass er in Natura nicht so toll ist wie vorgegeben.

Und bei Hunden kann das auch so sein?

Andreas Ohligschläger: Ja, da wird mitunter das Tier ausgesucht wie im Katalog: Der ist sportlich, sieht schick aus, da bekomme ich Aufmerksamkeit. Motto: Menschen finden meinen Hund schön, dadurch rücke ich in den Mittelpunkt. Der Hund wertet auf. Wertigkeit beim Menschen ist gering vorhanden: Ich bin nicht zufrieden mit meinem Aussehen, meinem Job, ich trink' zu viel, ich rauch' zu viel, ich ess' zu viel – und dann habe ich einen Hund, der ist so schön, da steck' ich alles rein. Egal, wie er sich benimmt: Hauptsache, er sieht toll aus!

Andreas Ohligschläger: Gesellschaft achtet zu sehr auf Äußerlichkeiten

Sind deswegen beispielsweise Qualzuchten noch so populär?

Andreas Ohligschläger: Die Gesellschaft ist darauf konditioniert, sich nach äußeren Merkmalen zu orientieren. Ich war kürzlich drei Wochen in Kroatien und extrem geschockt, wie viele junge Menschen, vor allem junge Mädels, etwas an sich machen lassen. Die sind 15, 16 Jahre alt und so geschädigt von den sozialen Medien, dass es für sie ganz natürlich ist, sich was aufspritzen zu lassen.

Also ist die grotesk getunte Lippe das Pendant zur Qualzucht?

Andreas Ohligschläger: Französische Bulldoggen und Möpse als Qualzucht werden als schick empfunden, als schön. Da spiegelt sich eine Gesellschaft wider, die den Wert von Natürlichkeit gar nicht mehr erkennt.

Aber es kann doch nicht schön sein, seinen Hund vom Welpenalter an so leiden zu sehen?

Andreas Ohligschläger: Ein psychologisches Problem. Der Hund ist von Menschenhand gemacht, muss ein von Menschen vorbestimmtes Leben führen. Und weil leider die Nachfrage da ist, wird damit auch eine Menge Kohle gemacht. Zuletzt hat es auch etwas mit Helfersyndrom zu tun.

Süß, schräg, schnuffig

Die lustigsten Haustiere der Welt

The Comedy Pet Photography Awards 2023, Gewinnerbild von Michel Zoghzoghi

Doppelter Sieg mit zwei Katzen! Bei den „Comedy Pet Photography Awards“, einem Wettbewerb um die lustigsten Haustierfotos der Welt, räumte Michel Zoghzoghi zweimal ab. Sein Foto mit dem Titel „Ein Ereignis, das Leben verändert“ gewann sowohl in der Kategorie „Katzen“ und holte auch den Gesamtsieg. Das Foto zeigt seine beiden „geretteten Kätzchen Alex und Max. Alex ist der Schüchterne, Max der Verspielte.“

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Die Tierheime platzen aus allen Nähten – könnte das Helfersyndrom dort nicht zielgerichteter ausgelebt werden?

Andreas Ohligschläger: Ich möchte niemanden belehren, sage nur: „Denk mal darüber nach, ob es nicht das nächste Mal ein Hund aus dem Tierschutz sein könnte? Überlege mal, was du dem Hund sein Leben lang antust.“ Zudem sind Plattnasen für viele Hunde kein Hund, sondern schlicht spooky.

Diese Kritik anzunehmen, dürfte vielen schwerfallen, oder?

Andreas Ohligschläger: Ich hab' vor 14 Jahren einen Burnout gehabt mit Depression. Da hat der Therapeut gesagt: „Herr Ohligschläger, Sie müssen ein bisschen abnehmen, Sport machen und langsam in normale Abläufe reinkommen.“ Ich bin da raus und dachte: „Was ist das denn für ein A...?“. Später habe mich bei ihm bedankt, dass er mir so klare Worte mitgegeben hat. Ich glaube, dass man in bestimmten Lebenssituationen verbohrt und verkopft ist.

Andreas Ohligschläger: Bei der Liebe zu Hunden gleitet es oft ins Extreme ab

Gilt das auch für die besagten Hundebesitzerinnen und Hundebesitzer?

Andreas Ohligschläger: Wenn mir Besitzer solcher Hunde sagen: „Ehrlich, Andreas, wenn ich sehe, wie oft du im Tierschutz unterwegs bist, das könnte ich gar nicht, da würde ich so leiden!“, merkt man, dass mit den Menschen etwas nicht stimmt. Die möchten nicht auf hilfebedürftige Hunde schauen, die zu Tausenden in Tierheimen sitzen – lieber gucken sie den ganzen Tag auf einen schnaufenden Hund, der tränende Augen hat.

Die meisten wollen doch nur das Beste für ihren Hund ...

Andreas Ohligschläger: Ja, aber es wird auch übertrieben. Da muss es ein bestimmter Napf sein, sonst frisst er ja nix. Dann müssen wir in die Hundeschule, zum Agility, zum DogDance – ich finde jedes Einzelne wundervoll, da kann man so viel mit seinem Hund machen. Aber es gleitet oft ins Extreme ab.

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Werden Hunde zu sehr vermenschlicht?

Andreas Ohligschläger: Nun, von Hunden können wir lernen, wieder menschlicher zu sein. Aber ab und zu hat der Hund auch mal von seinem Menschen die Schnauze voll, würde am liebsten sagen: „Schau' mal in deinen Seelenspiegel und guck', was bei dir so los ist!“ Der Hund ist bei dir, wenn du selber bei dir bist.

Hundetraining hat mit Kommunikation zu tun ...

Andreas Ohligschläger: ... und da hakt es! Unsere Kommunikationskultur geht verloren. Eigentlich bräuchten wir einen Menschenführerschein, Stichwort „einfache Benimmregeln“ wie „Hallo“, „Bitte“, „Danke“, „Auf Wiedersehen“ sagen, Mitmenschen mal anlächeln.

Du bist seit 30 Jahren im Geschäft, was stresst Hunde und deren Besitzerinnen und Besitzer am meisten?

Andreas Ohligschläger: Überforderung. Jeder ist im Leistungsdruck gefangen, muss funktionieren und der Hund auch. Ich glaube, wenn das so weitergeht, sollten wir nicht noch neue Hundeschulen aus dem Boden stampfen, sondern Begegnungszentren für Menschen schaffen.

Andreas Ohligschläger als Kind mit Spitz-Mix "Bienchen".

Andreas Ohligschläger als Junge mit Spitz-Mix Bienchen, einem der Familienhunde.

Selber hast Du neun Hunde. Sind die überall dabei?

Andreas Ohligschläger: (lacht) Nein! Ich brauche es, draußen in der Natur zu sein, runterzufahren, durchzuatmen und nicht zu reden. Also: Ich fahre gern Rad, gehe spazieren (auch mal ohne Hunde), liebe es zu reisen. Gern an die Nordsee, aber auch in fremde Länder. Meine Hunde sind dann in ihrem Zuhause gut versorgt. Und ich habe seit 30 Jahren Tierschutz-Hunde, viele davon hatten echt einen an der Mütze. Mit Geduld, Vertrauen, Liebe und Konsequenz legt man die Basis. Die meisten Probleme sind hausgemacht. Auch wenn viele das nicht hören wollen.

Andreas Ohligschläger: Vom Gassi-Geher zum Coach für Mensch und Hund

Andreas Ohligschläger wurde 1967 in (wie er sagt) „ländlicher Umgebung“ geboren und wuchs mit Hunden auf. Während seiner „Schul-, Drang- und Verweigerungszeit“ jobbte er unter anderem als Musiker, Hundepfleger im Tierheim Aachen und verbrachte ein Jahr in Portugal, wo er das Verhalten von Straßenhunden studierte – der Grundstein für sein späteres Schaffen als Coach.

Cover von „Seelenpartner Hund“.

Andreas Ohligschlägers Buch „Seelenpartner Hund“ (GU, 24 Euro) ist am 4. September 2023 erschienen. 

2003 machte er sich mit einem Gassi-Service und einer mobilen Hundeschule selbstständig. 2007 gründete er sein Herzensprojekt, das „Revier für Hunde“ in Eschweiler, das gleichsam Hundetagesstätte und Coachingzentrum ist.

Seit 2019 hat er mit „Hunde verstehen!“ eine eigene Sendung im WDR, im Herbst 2023 ist er in der Jury der Sat.1-Show „Hundetrainer-Champion“ zu sehen. Ohligschläger lebt zusammen mit seiner Freundin Lisa und neun Hunden.