Ab wann verstehen Kinder Rassismus?Jugendfilm legt den Finger in die Wunde

Anne (Johanna Götting ) und Faried (Zahel Anwary) kommen sich in der Turnhalle langsam näher. Zuvor waren die beiden beim Lauftraining in heftigen Streit geraten. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Anne (Johanna Götting ) und Faried (Zahel Anwary) kommen sich in der Turnhalle langsam näher. Zuvor waren die beiden beim Lauftraining in heftigen Streit geraten. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Wie erleben Kinder und Jugendliche Rassismus in ihrem Alltag? Der Film „Sprengstoff“ geht dieser mehr als heiklen Frage auf den Grund. Der Titel ist doppeldeutig.

Ab wann verstehen Kinder Rassismus? Und was passiert, wenn ihre politischen Überzeugungen mit denen der Eltern kollidieren? - Bereits in jungen Jahren, so viel ist erforscht, beginnen Kinder, gesellschaftliche Ungleichheiten zu erkennen und entwickeln eigene politische Ansichten, die oft auch im Widerspruch ihrer Eltern stehen können. Der 45-minütige Kurzfilm „Sprengstoff“, ab Freitag, 2. Mai, in der ZDF-Mediathek und am Sonntag, 4. Mai, um 20 Uhr, bei KIKA zu sehen, erzählt davon mit erstaunlichem Tiefgang - und mit einer Geschichte, die unter die Haut geht. Der Spielfilm feiert seine Premiere anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs. Das passt, denn auch 80 Jahre nach Kriegsende sind die Themen Flucht und Gewalt noch immer allgegenwärtig.

Als in ihrer Stadt eine alte Fliegerbombe gefunden wird, müssen Anwohner und Anwohnerinnen vorübergehend in eine Notunterkunft ziehen, die direkt neben einer Unterkunft für Geflüchtete liegt. Dort trifft die 14-jährige Anne (Johanna Götting) erneut auf den afghanischen Jungen Faried (Zahel Anwary), nachdem sie zuvor beim Lauftraining mit ihm aneinandergeraten war. Anfangs geprägt von Vorurteilen beginnt Anne, ihre Sichtweise zu hinterfragen. Doch ihr fremdenfeindlicher Vater Achim (Tim Porath) und ihr eifersüchtiger Freund Tobi (Noah Kraus) sehen das gar nicht gern. Während die Spannungen steigen, wird Anne vor eine Entscheidung gestellt: Folgt sie der Ideologie ihres Vaters oder ihrem Gefühl und nicht zuletzt ihrem eigenen Gerechtigkeitssinn?

Wie ein Familienfilm die Schatten der Vergangenheit entlarvt

Faried (Zahel Anwary) fühlt sich beim Lauftraining von Anne (Johanna Götting) unfair behandelt. Sie hatte ihn vor dem Start angesprochen. Die beiden geraten in Streit. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Faried (Zahel Anwary) fühlt sich beim Lauftraining von Anne (Johanna Götting) unfair behandelt. Sie hatte ihn vor dem Start angesprochen. Die beiden geraten in Streit. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Unter der Regie von Linus Liyas zeigt „Sprengstoff“, wie tief verwurzelte Ressentiments auch 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nachwirken und wie junge Menschen damit umgehen, wie sie etwa lernen, sich Ungerechtigkeiten entgegenzustellen und ihre Umgebung zu hinterfragen. In einem Statement erklärt der Filmemacher: „Durch Annes Perspektive im Kontrast zu Farieds Lebenswelt wird die Auseinandersetzung mit verschiedenen Weltanschauungen kindgerecht, aber nicht vereinfacht erzählt. Die Herausforderung bestand darin, ein komplexes gesellschaftliches Thema verständlich zu vermitteln und dabei eine Balance zu finden zwischen notwendiger Härte, Authentizität und unterhaltsamer Zugänglichkeit.“

Mutiger Schritt im Kinderfernsehen

Die Entschärfung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg erweist sich als schwierig. Die evakuierten Anwohner, darunter Anne (Johanna Götting, zweite von links) und Clara (Nicole Heesters) warten angespannt in der Turnhalle. Faried (Zahel Anwary, links) wohnt in einer Geflüchteten-Unterkunft nebenan und bietet seine Hilfe an. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Die Entschärfung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg erweist sich als schwierig. Die evakuierten Anwohner, darunter Anne (Johanna Götting, zweite von links) und Clara (Nicole Heesters) warten angespannt in der Turnhalle. Faried (Zahel Anwary, links) wohnt in einer Geflüchteten-Unterkunft nebenan und bietet seine Hilfe an. (Bild: ZDF, Leitwolf/Christine Schroeder)

Dass ein Film mit einem solchen Ansatz und einem derart brisanten Thema im Kinderkanal gezeigt wird, mag mutig erscheinen, aber man kann eine solche Ansetzung auch essenziell nennen. Denn nur wenn Kinder früh für Rassismus sensibilisiert werden, können sie lernen, Vorurteile zu erkennen, Empathie zu entwickeln und sich aktiv für eine offene und gerechte Gesellschaft einzusetzen. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung gilt: Aufklärung über relevante Fragen kann nie früh genug beginnen. Auch Schauspielerin Nina Petri, die in dem Film die Kampfmittelbeseitigerin Martina Petersen verkörpert, macht deutlich: „Das Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist in unserer heutigen Zeit brisant. Alles was man tun kann, damit Vorverurteilungen und Ängste abgebaut werden, ist Gold wert, und ich hoffe, dazu kann auch dieser Film mit seiner 'Sprengkraft' beitragen.“

Regisseur Linus Liyas betont: „Mit durchgehend starken Identifikationsfiguren, alltäglichem Konfliktpotenzial und Realitätstreue zeigt der Film, dass Veränderung möglich und wichtig ist. Nie wieder ist jetzt.“

Das Coming-of-Age-Drama bewegt sich mit seinen 45 Minuten in einer ungewöhnlichen Filmlänge. Doch in nur einer Dreiviertelstunde gelingt es dem Film, das Thema Rassismus wirkungsvoll aufzugreifen, ohne an inhaltlicher Tiefe einzubüßen. Ein Film, der unbequem ist, aber gerade deshalb gesehen werden sollte. (tsch)