Israel-KriegErkennt jetzt auch Deutschland Palästina als eigenen Staat an?

Wird auch Deutschland Palästina als eigenen Staat anerkennen? Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Ende April 2024 bei einem Ministertreffen in Riad, bei dem es um den Konflikt zwischen Israel und der militanten Hamas ging.AFP

Wird auch Deutschland Palästina als eigenen Staat anerkennen? Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Ende April 2024 bei einem Ministertreffen in Riad, bei dem es um den Konflikt zwischen Israel und der militanten Hamas ging.

Palästina als Staat anzuerkennen, galt im Westen lange als Faustpfand für Zugeständnisse im Friedensprozess. Der Gaza-Krieg bewegt nun mehrere Länder zum Umdenken – bald auch Deutschland? Israel reagiert indes verärgert.

Wird nun bald auch Deutschland folgen? Schließlich setzt sich auch die Bundesrepublik für eine Zweistaatenlösung ein?

Norwegen sowie die beiden EU-Länder Irland und Spanien haben angekündigt, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen.

Der Schritt soll am 28. Mai formell vollzogen werden, teilten der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, Irlands Premierminister Simon Harris und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez in Oslo, Dublin und Madrid mit. Gibt das Vorhaben der Zweistaatenlösung einen Schub oder macht es Frieden in Nahost noch unwahrscheinlicher?

Israel kritisierte den Vorstoß scharf und rief umgehend seine Botschafter aus den drei Ländern zurück. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) begrüßte den Schritt hingegen. PLO-Generalsekretär Hussein al-Scheich sprach von einem „historischen Moment“.

Støre: Prozess der Zweistaatenlösung voranbringen

Die Anerkennung sei „Ausdruck einer uneingeschränkten Unterstützung für eine Zweistaatenlösung, des einzig glaubwürdigen Wegs zu Frieden und Sicherheit für Israel, Palästina und deren Völker“, sagte der irische Regierungschef Harris. Der Schritt könne dazu beitragen, dass der Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung endlich wieder in Gang komme, sagte Norwegens Ministerpräsident Støre.

Die islamistische Hamas, die noch immer Teile des Gazastreifens kontrolliert, lehnt eine Zweistaatenlösung kategorisch ab. Auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte sie zuletzt für obsolet. Die PLO, die im Westjordanland die Autonomiebehörde dominiert, befürwortet den Plan. Die PLO hatte bereits 1988 einseitig die staatliche Unabhängigkeit Palästinas erklärt.

Premier Harris betonte, Dublin erkenne uneingeschränkt auch das Recht Israels an, in Sicherheit und Frieden mit seinen Nachbarn zu existieren. Irland verurteile das von der Hamas am 7. Oktober angerichtete „barbarische Massaker“ und fordere die sofortige Freilassung aller Geiseln. Der Regierungschef fügte jedoch hinzu: „Die Hamas ist nicht das palästinensische Volk.“ Er erinnerte an die Bedeutung der internationalen Anerkennung Irlands als unabhängigen Staat bei dessen Ablösung vom Britischen Empire.

Die israelische Regierung reagierte postwendend

Israel lehnt eine Anerkennung Palästinas strikt ab und rief umgehend seine Botschafter aus Irland, Norwegen und Spanien zu Beratungen zurück. Er sende eine klare und unmissverständliche Botschaft, schrieb Außenminister Israel Katz auf X: „Israel wird angesichts derjenigen, die seine Souveränität untergraben und seine Sicherheit gefährden, nicht schweigen.“ Nach Angaben des Außenministeriums wurden zudem die Botschafter der drei Länder zu einer „ernsten Ermahnung“ einbestellt.

„Die heutige Entscheidung sendet eine Botschaft an die Palästinenser und die Welt: Terrorismus zahlt sich aus“, so Katz. Dieser Schritt sei eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Andenken der Opfer des 7. Oktober, als die islamistische Hamas mit ihrem Terrorangriff in Israel ein Massaker mit mehr als 1200 Getöteten verübte. „Israel wird nicht schweigen - es wird weitere schwerwiegende Folgen haben“, schrieb Katz.

Israelische Friedensbewegung: Palästinensischer Staat unvermeidlich

Die israelische Organisation Peace Now (Frieden jetzt) forderte nach den Erklärungen der drei euroäischen Staaten ein klares Ja zur Zweistaatenlösung. „Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass ein palästinensischer Staat unvermeidlich ist und es wäre besser für Israel, den Prozess zu initiieren, statt hineingezogen zu werden“, schrieb Peace Now auf der Plattform X. Peace Now engagiert sich seit den späten 1970er Jahren für Frieden zwischen Israel und den Palästinenserinnen und Palästinensern.

Nur eine Zweistaatenlösung werde als Teil einer umfassenden regionalen Initiative Sicherheit, die Rückkehr der Geiseln, eine Normalisierung des Verhältnisses Israels mit Saudi-Arabien und ein Ende der internationalen Isolierung Israels bedeuten, hieß es weiter. „Wir müssen den Krieg beenden und Ja sagen zu einer Zweistaatenlösung. Das ist der wahre Sieg.“

Frankreich erteilt sofortiger Anerkennung eine Absage

Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné erteilte einer Anerkennung Palästinas als Staat zum jetzigen Zeitpunkt eine Absage. „Unsere Position ist klar: Die Anerkennung Palästinas ist für Frankreich kein Tabu“, sagte der Minister nach einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Israel Katz in Paris. Die Entscheidung für eine Anerkennung müsse jedoch nützlich sein, was heiße, dass sie einen entscheidenden Fortschritt auf politischer Ebene ermögliche, sagte Séjourné. Sie müsse zum richtigen Zeitpunkt erfolgen.

„Es handelt sich nicht nur um eine symbolische Frage oder um eine Frage der politischen Positionierung, sondern um ein diplomatisches Instrument im Dienste der Lösung mit zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben“, sagte der französische Außenminister. „Frankreich ist nicht der Ansicht, dass die Bedingungen bis zum heutigen Tag gegeben waren, damit diese Entscheidung einen wirklichen Einfluss auf diesen Prozess hat.“ Zuvor hatten Norwegen, Irland und Spanien angekündigt, Palästina als Staat anerkennen zu wollen.

Auch Deutschland setzt sich für Zweistaatenlösung ein

Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennt Palästina inzwischen als Staat an. Das gilt jedoch nicht für die wichtigsten westlichen Nationen wie die USA und die Mehrzahl der EU-Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Eine Anerkennung gilt als wichtiger Anreiz für die palästinensische Seite, bei Friedensverhandlungen Zugeständnisse zu machen. Kritikerinnen und Kritiker einer Anerkennung bemängeln, den Palästinensergebieten fehle es an wichtigen Kriterien für einen solchen Schritt. Beispielsweise ist die Grenze zwischen Israel und den Palästinenserinnen und Palästinensern weiter strittig. Das gilt auch für den politischen Status von Ost-Jerusalem.

Auch Deutschland setzt sich für eine Zweistaatenlösung ein, sieht eine mögliche Anerkennung Palästinas jedoch als Ergebnis direkter Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Schweden hatte Palästina hingegen bereits vor zehn Jahren als Staat anerkannt. Großbritanniens Außenminister David Cameron deutete kürzlich an, dass auch London eine vorgezogene Anerkennung Palästinas erwägen könne, um einen Anreiz für diejenigen Palästinenserinnen und Palästinenser zu setzen, die eine friedliche Lösung befürworten.

Warum kommt die Anerkennung Palästinas jetzt?

Seit den Friedensbemühungen mit den Osloer Verträgen vor etwas mehr als 30 Jahren hätten Norwegen und viele andere Länder versucht, eine Strategie zu verfolgen, bei der die Anerkennung einer Friedenslösung folgen würde, sagte Norwegens Regierungschef Støre am Mittwoch. „Das hat nicht funktioniert.“ Mehrere Gründe führten dazu, dass es richtig sei, Palästina jetzt anzuerkennen. Besonders der anhaltende Krieg in Gaza. Der Krieg sei der Tiefpunkt einer langfristigen negativen Entwicklung zwischen beiden Gebieten.

„Die Zeit zum Handeln ist gekommen“, sagte Spaniens Ministerpräsident Sánchez in Madrid. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe trotz aller Aufrufe die „Zerstörung des Gazastreifens fortgesetzt“ und bestrafe die Palästinenserinnen und Palästinenser weiter „mit Hunger und Terror“, so der sozialistische Politiker.

Wann ist ein Staat ein Staat?

„Staat“ wird im Völkerrecht meist nach der Drei-Elemente-Regel definiert. Dieser international anerkannte Staatsbegriff beschreibt einen politisch und rechtlich organisierten Personenverband (Staatsvolk), der auf abgegrenzter Fläche (Staatsgebiet) einer Bevölkerung eine eigene Ordnung (Staatsgewalt) gibt.

Beim Staatsgebiet ist keine genaue Grenze erforderlich, es genügt ein unstrittiges Kernterritorium. Für ein Staatsvolk reicht ein Mindestmaß an Zugehörigkeitsgefühl. Staatsgewalt bezeichnet die Fähigkeit einer stabilen Regierung, eine Ordnung in dem Gebiet effektiv zu organisieren und nach außen von anderen Staaten unabhängig zu handeln.

Je strittiger die Beurteilung als Staat ist, desto bedeutender ist die Anerkennung durch andere Staaten. Die herrschende Meinung im Völkerrecht geht aber davon aus, dass die Anerkennung nicht Voraussetzung, sondern nur Bestätigung für die Existenz eines Staates ist. (dpa)