Aus nach 141 JahrenUnfassbar, wie viel Strom eine einzige Telefonzelle verbraucht

Am 21. November 2022 endet eine Ära: Die letzten Münzfernsprecher Deutschlands werden deaktiviert, wenig später werden sämtliche verbliebenen Telefonzellen verschwinden. Nach mehr als 141 Jahren.

von Andrea Kahlmeier (ak)

Was hätte es vor einigen Jahren noch einen Proteststurm gegeben bei der Ankündigung, dass am Montag (21. November 2022) den Münzfernsprechern der Saft abgedreht – und Anfang nächsten Jahres die letzten Telefonzellen nach mehr als 141 Jahren zu Grabe getragen werden.

In Zeiten, in denen knapp 90 Prozent ein Smartphone besitzen, kräht kaum noch ein Hahn danach. Dennoch werden bei den Älteren Erinnerungen wach – wie bei unserer Redakteurin.

Telefonzelle, Münzfernsprecher: Ohne sie ging früher nichts

Pitschnass vom Regen in die einzige Telefonzelle im Ort geflüchtet, eng umschlungen auf einem Quadratmeter in diesem quietschgelben Häuschen – und dann der erste Kuss. Fast filmreif, wenn es nicht so nach Pippi und kaltem Rauch gestunken hätte.

Dann haben wir Teenies noch zwei Groschen (10-Pfennigstücke) an der rauen Fläche des Apparats gerieben (sonst fielen die ja so gerne durch), kichernd im zerfledderten Telefonbuch geblättert und wahllos einen Menschen angerufen. So sahen Streiche in den 80ern aus.

Telefonzellen waren damals der Heilige Gral, oft die einzige Verbindung zu fernen Verwandten, dementsprechend umlagert – und Dauertelefonierer wurden wüst beschimpft. Was hat die Familie sich gefreut, wenn der Vater, der beruflich weltweit unterwegs war, irgendwo eine Zelle aufgetan hatte.

Die Gespräche beschränkten sich meistens auf „Gut angekommen. Ja, ist heiß. Muss Schluss machen, wird zu teuer“ – und man konnte dabei zuhören, wie die Münzen durch den Schlund des damals noch von der Bundespost betriebenen Münzsprechers ratterten.

So was wie eine Flatrate gab’s natürlich nicht (sparen konnte man nur kurz nach der Währungsumstellung, als noch die D-Mark in den Schlitz passte). Nein, Telefonieren ist kein Luxus mehr, aber Telefonzellen am Leben zu halten schon. 160.000 Telefone gab es Mitte der 90er – mangels Handys ein lukratives Geschäft. Doch schon mehr als die Hälfte der Zehnjährigen besitzt heute ein Smartphone.

Die Kids kennen gelbe Telefonzellen nur noch als Bücherschränke und würden nie zum magentafarbenen Hörer greifen, selbst wenn ihr Handy keinen Saft mehr hätte.

Die Telekom ist deshalb, logo, sehr froh, dass Ende 2021 das Telekommunikationsgesetz geändert wurde – und sie nicht mehr in die Pflicht genommen werden kann, weiterhin öffentliche Telefone bereitzustellen.

„Von den 12.000 Zellen, die heute noch existieren, verdienen wir an 3800 keinen Cent, im Gegenteil“, sagt Telekom-Sprecherin Marion Kessing auf Anfrage von EXPRESS.de. „Das sind die reinsten Energiefresser. Im Schnitt verbraucht ein öffentliches Telefon zwischen 500 und 1250 Kilowattstunden im Jahr – je nach Ausstattung. Mit der Abschaltung der ungenutzten Technik lassen sich zwischen sechs und 15 Millionen Kilowattstunden jährlich einsparen. Das entspricht dem Stromverbrauch von mehreren Tausend Wohnungen.“

In Absprache mit den Gemeinden werde man jetzt prüfen, wo man – statt der Telefone – sogenannte Small Cells installieren werde, also Antennen, die die Mobilfunksignale verstärken – vornehmlich vermutlich an Hotspots wie Bahnhöfen und Flughäfen.

Nachvollziehbar. Selbst für den WDR 2-Hörer, der diese Woche im Radio davon schwärmte, wie er vor vielen Jahren seine Frau an der Telefonzelle kennenlernte. Sie hatte zu wenig Groschen zum Telefonieren im Portemonnaie. Er half großzügig aus. Solche Geschichten schreibt das Leben bald nicht mehr.

Kölner verrät: So lebt es sich ohne Handy und Telefonzelle

Cornel Wachter (60), Künstler und Ehrenamtspreisträger der Stadt Köln, besitzt kein Handy und trauert auch den Telefonzellen nicht nach, wie er  bei EXPRESS.de verrät.

„Es tangiert mich überhaupt nicht, dass die Telefonzellen jetzt abgeschafft werden, ich habe sie eh nicht genutzt. Ich habe den ganzen Tag über so viele Dinge im Kopf, da tut es einfach gut, manches erst sacken zu lassen und erst abends, wenn man in Ruhe zu Hause ist, am Festnetz zum Hörer zu greifen. Es ist eine Wohltat, nicht den ganzen Tag erreichbar zu sein/ jemanden erreichen zu können.“