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Ex-Gefängnisdirektor packt aus„Der Knast macht viele erst richtig kriminiell“

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Es ist eine eigene, eine gewalttätige Welt, die Welt hinter Gittern. Studien belegen: Die Häftlinge verrohen immer mehr. (Symbolbild)

Köln – Rund 64.000 Menschen sitzen hierzulande hinter Gittern – vom Schwarzfahrer bis zum Mörder. 16.000 Häftlinge zählt allein NRW, und jeder Gefangene kostet den Staat in unserem Bundesland 138,83 Euro pro Tag. Wahnsinn! Muss das wirklich sein?

Nein, sagt Dr. Thomas Galli (46). Er hat 15 Jahre im Knast gearbeitet, auch als Gefängnisdirektor. Mittlerweile hat er seinen Job an den Nagel gehängt – und arbeitet wieder als Anwalt. Monotonie und bürokratischer Irrsinn ließen ihn verzweifeln.

Ex-Gefängnisdirektor: Häftlinge stellen absurde Anträge

Es gab Tage, da wusste Thomas Galli nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Denn manchmal waren die Anträge eines Gefangenen wirklich zu abstrus. Der Superquerulant wollte ins Freibad oder zu einer Prostituierten gefahren werden, ein bestimmtes Fernsehprogramm und morgens lieber eine Mohnsemmel statt ein normales Brötchen.

„Da kann man nicht einfach »Quatsch« sagen, da musst du als Gefängnisdirektor eine sorgsam ausformulierte Ablehnung ausarbeiten“, ärgert sich der ehemalige Leiter der Justizvollzugsanstalten Zeithain und Torgau noch heute. Wenn es nach ihm ginge, würde eh nur ein Bruchteil der Gefangenen einsitzen.

Ex-Gefängnisdirektor: „Der Knast macht viele junge Männer erst richtig kriminell“ 

Langfristige Haftstrafen machen seiner Meinung nach nur Sinn bei sehr wenigen hochgefährlichen Straftätern. Thomas Galli ist davon überzeugt: „Der Knast macht viele junge Männer erst richtig kriminell.“

Gut, einige von ihnen würden in der Gefangenschaft den Schulabschluss nachholen oder sogar eine Lehre machen. Das sieht erst mal super aus auf dem Papier. Trotzdem ist auch bei denen die Rückfallquote hoch. Warum? „Weil sie nach der Entlassung merken, dass sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Knastzeit steht nun mal in der Biografie“, so Galli.

Viele Häftlinge sind drogensüchtig 

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Dr. Thomas Galli schrieb die Streitschrift „Endstation Knast“ (17,99 €).

Ein weiteres Problem: Rund jeder dritte Inhaftierte in Deutschland ist nach Schätzungen von einer oder mehreren Drogen abhängig. Die Kontakte nach außen nehmen mehr und mehr ab, die engsten Kumpel sind die Mitinsassen. „So wird eine Subkultur herangezüchtet, die ein völlig anderes Werteverständnis hat. Da spielen dann Drogen und Gewalt eine zentrale Rolle.“

Dr. Galli hat als Gefängnisdirektor mehr als einen Schläger erlebt, der sich einem Clan anschloss – und immer tiefer in die Kriminalität rutschte. Er weiß, dass der Knast in manchen Kreisen keine abschreckende Wirkung hat, im Gegenteil.

Ex-Gefängnisdirektor: „Du bist der King, wenn du ein paar Tage gesessen hast“

„In einigen Jugend-Cliquen bist du der King, wenn du ein paar Tage gesessen hast“, erklärt er im Gespräch. Dazu gebe es eine interessante Studie. Die Jugendlichen, denen zur Abschreckung der Knast gezeigt wurde, seien prozentual gesehen später öfter ins Gefängnis gekommen als diejenigen einer Vergleichsgruppe ohne die geringste Knasterfahrung.

Zahl der psychisch Gestörten nimmt zu

Allein 2018 gab es in NRW über 600 Angriffe, Beleidigungen und Bedrohungen gegen Justizvollzugsbedienstete. Die Gründe für die Verrohung sind immer die gleichen: Die Zahl der psychisch Gestörten nimmt zu, Drogenabhängigkeit, Verständigungsschwierigkeiten, Nationalitätenkonflikte und Überbelegung bergen Zündstoff.

Ex-Gefängnisdirektor: Höhere Geldstrafen würden mehr bringen

Doch wie könnte man es schaffen, Heerscharen von Kriminellen von der schiefen Bahn zu holen? „Noch viel mehr gemeinnützige Arbeit und höhere Geldstrafen wären für viele Straftäter die bessere Alternative“, so der Jurist.

„Es sitzen z. B. so viele wegen Vermögensstraftaten ein. Davon hat aber das Ehepaar, das einem Anlagebetrüger aufgesessen ist, rein gar nichts. Das würde sich viel mehr darüber freuen, wenn der Schaden vom Täter mit Zins und Zinseszins ersetzt würde.“

Ex-Gefängnisdirektor: Viele Häftlinge wollen nicht zahlen

Und dann sind da ja auch noch diejenigen, die lieber in den Knast wandern, als Geldstrafen zu zahlen. Zur Zeit sitzen 1176 Häftlinge in NRW ein, weil sie nicht zahlen konnten – oder wollten. Im Rechtsausschuss des Landtags hat inzwischen ein Nachdenken eingesetzt, ob die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe immer ihren Zweck erfüllt.

Für Galli geht das Leipziger Model in die richtige Richtung. Denn es mache Sinn, junge Häftlinge in dezentralen, kleinen Gruppen aus ihrem Milieu herauszuholen und den Weg für einen echten Neuanfang zu ebnen.  

Leipziger Model: Hier leben schwere Jungs ohne Gefängnisgitter

Keine Mauern, keine Gitter, keine Justizvollzugsbeamten. Im Landkreis Leipzig, gut 25 Kilometer südlich der Messestadt, liegen zwei Neubauten direkt am Ufer des Hainer Sees. Nichts, nicht einmal eine verschlossene Tür deutet darauf hin, dass hier junge Strafgefangene ihre Haft absitzen.

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In der Nähe von Leipzig entstanden diese beiden Häuser für straffällig gewordene Jugendliche. 

„Ich war Teil der rechten Hooligan-Szene“, erzählt Ralf. Das hat ihn ins Gefängnis gebracht. Verurteilt wurde der mittlerweile 23-Jährige unter anderem wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung.

Leipziger Model: Leben mit strengen Regeln aber ohne Gitter

Der Knast hätte ihn verrückt gemacht, hier lebt er in einer Familie und mit strengen Regeln. In der Woche beginnt der Tag um halb sechs, Frühsport, Frühstück, Aufräumen und Putzen. Das alles muss vor dem Schul- oder Arbeitsbeginn erledigt sein. Pünktlichkeit, Sozialverhalten und Ordnung werden belohnt.

Auch Ralf hat sich schon Privilegien erarbeitet – anfangs durfte er gerade mal allein auf die Toilette gehen. Seinen Hauptschulabschluss hat er im Haus innerhalb von sechs Monaten nachgeholt. Wenn er entlassen wird, möchte er einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren.